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Quellen spürte die Wahrheit von Lanoys Warnung. Er bemühte sich um Ruhe und verlor den Kampf. Die Muskeln in seiner Kehle schienen sich zu verknoten.

»Ich stecke Sie in den Tank, bis Sie verfaulen«, fauchte er.

»Und was haben Sie davon? Ich wäre verfaultes Fleisch, und Sie könnten der Hohen Regierung das Zeitverfahren trotzdem nicht übergeben.« Lanoy zog die Schultern hoch. »Würde es Ihnen übrigens etwas ausmachen, mir ein bißchen mehr Sauerstoff hier zukommen zu lassen? Ich ersticke nämlich.«

In seiner Verblüffung über diese kühne Forderung öffnete Quellen den Lüftungsschacht weit. Leeward ließ Erstaunen über die Geschmacklosigkeit Lanoys erkennen. Ohne Zweifel würden auch die Beobachter im Nebenraum von Quellens abrupter Kapitulation verblüfft sein.

»Wenn Sie mich einsperren, vernichte ich Sie, Quellen. Ich sage Ihnen, an meiner Tätigkeit ist nichts Ungesetzliches. Sehen Sie her — ich bin zugelassener Vokat.« Lanoy zeigte einen gültigen Ausweis.

Quellen wußte sich nicht mehr zu helfen. Lanoy hatte ihn völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Gewöhnlich war er fähiger, mit Verbrechern umzugehen, aber die Ereignisse der letzten anstrengenden Tage hatten ihn geschwächt. Quellen kaute an seiner Unterlippe, während er den kleinen Mann scharf beobachtete, und wünschte sich inbrünstig, wieder an seinem Fluß im Kongo zu sein und den Krokodilen Steine hinzuwerfen.

»Auf jeden Fall mache ich Ihren Zeitreisen ein Ende«, sagte Quellen schließlich.

Lanoy lachte leise.

»Das würde ich Ihnen nicht empfehlen, Quellen.«

»Für Sie KrimSek.«

»Ich würde Ihnen nicht raten, mir Schwierigkeiten zu machen, Quellen«, wiederholte Lanoy. »Wenn Sie den Strom der Springer jetzt unterbrechen, geht in der Vergangenheit alles durcheinander. Diese Leute sind zurückgegangen. Das ist geschichtlich verzeichnet. Manche haben geheiratet und Kinder bekommen, und die Nachkommen dieser Kinder leben in der Jetztzeit.«

»Das weiß ich alles. Wir haben die Theorie ausführlich besprochen.«

»Sie wissen gar nicht, ob Sie der Nachkomme eines Springers sind, den ich nächste Woche zurückschicken soll, Quellen — und wenn dieser Springer nicht zurückgeht, erlischt Ihre Existenz wie eine ausgeblasene Kerze, Quellen. Ich nehme an, das ist eine angenehme Art des Sterbens. Aber wollen Sie sterben?«

Quellen starrte düster vor sich hin. Lanoys Worte jagten sich in seinem schmerzenden Schädel. Nun zeigte sich, daß das Ganze eine Verschwörung war, ihn in den Wahnsinn zu treiben. Marok, Koll, Spanner, Brogg, Judith, Helaine und nun Lanoy — sie waren alle entschlossen, ihn unentrinnbar in den Irrsinn zu stoßen. Eine stillschweigende, unausgesprochene Verschwörung. Stumm verfluchte er die Hunderte Millionen dichtgedrängter Einwohner von Appalachia und fragte sich, ob er jemals wieder einen Augenblick der Einsamkeit erleben würde.

Er atmete tief ein.

»Die Vergangenheit wird nicht verändert werden, Lanoy. Wir sperren Sie ein und nehmen Ihnen die Maschine weg, sorgen aber selbst dafür, daß die Springer zurückgehen. Wir sind keine Dummköpfe, Lanoy. Wir sorgen dafür, daß alles so abläuft, wie es ablaufen soll.«

Lanoy sah ihn eine Zeitlang beinahe mitleidig an, wie jemand einen sehr seltenen aufgespießten Schmetterling betrachtet.

»Ist das Ihre Absicht, KrimSek? Glauben Sie wirklich, Sie könnten lernen, die Maschine zu bedienen?«

»Davon bin ich überzeugt.«

»Dann muß ich Maßnahmen ergreifen, um mich zu schützen.«

Quellen hätte sich am liebsten verkrochen.

»Was können Sie schon tun?«

»Das werden Sie sehen. Vielleicht stecken Sie mich wieder in den Tank, während Sie sich überlegen, welche Wege Ihnen offenstehen. Dann holen Sie mich wieder. Zu einem Gespräch unter vier Augen. Ich habe Ihnen interessante Dinge zu erzählen. Sie werden aber nicht wollen, daß jemand anderer sie hört.«

Im Himmel gähnte ein Schlitz, als hätte eine schnelle Hand ihn aufgezogen. Norm Pomrath stürzte hindurch. Sein Magen protestierte, als er rasch hinunterfiel, zwei, drei Meter, ohne Vorwarnung. Lanoy hätte mir sagen können, daß ich mitten aus der Luft herunterfalle, dachte er. Im letzten Augenblick drehte er sich herum und landete auf Hüfte und linkem Bein. Seine Kniescheibe prallte auf die Straße. Pomrath ächzte und blieb kurze Zeit liegen. Es war nicht ratsam, lange liegenzubleiben, das wußte er. Er nahm sich zusammen, stand schwankend auf und wischte sich ab. Die Straße war bemerkenswert schmutzig. Pomraths ganze linke Körperseite schmerzte. Er hinkte an eine Hauswand, lehnte sich dort an, biß die Zähne zusammen und führte eine der empfohlenen Neuralübungen zur Förderung der Durchblutung aus. Die Schmerzen vergingen, als sich die Blutgefäße, die er sich geprellt hatte, leerten.

So. Schon besser.

Nun hatte er zum erstenmal Gelegenheit, die Welt von A. D. 2050 zu betrachten.

Beeindruckt war er nicht. Die Stadt sah zusammengedrängt aus, wie sie viereinhalb Jahrhunderte später aussehen würde, aber das Dichtgedrängte wirkte zufällig und asymmetrisch. Überall ragten Turmgebäude in archaischem Baustil empor. Es gab keine Schnellboote und keine Brücken über Etagenstraßen. Das Pflaster war von Rissen durchzogen. Die Straßen waren vollgestopft mit Fußgängern, nicht auffallend weniger, als er auf den Straßen zu sehen gewohnt war, obwohl er wußte, daß die Weltbevölkerung nur ein Drittel dessen ausmachte, was in seiner eigenen Zeit vorhanden war. Die Art, sich zu kleiden, interessierte ihn. Obwohl Frühling herrschte und die Luft warm war, verdeckte man alles. Die Frauen waren eingehüllt von den Fußknöcheln bis zum Kinn, die Männer bevorzugten weite Umhänge, um die Körperumrisse zu verdecken. Pomrath erkannte daran, daß Lanoy ihn annähernd in die richtige Zeit geschickt hatte.

Pomrath hatte sich mit den Dingen vorher befaßt. Er wußte, daß die Mitte des 21. Jahrhunderts eine Zeit neupuritanischer Reaktion gegen die fleischlichen Exzesse der unmittelbaren Vergangenheit gewesen war. Das gefiel ihm. Nichts langweilte ihn mehr als eine Epoche schamlos nacktbrüstiger Frauen und Männer mit Hosenbeuteln. Wahre Sinnlichkeit gedieh nur in einer Zeit erotischer Zurückhaltung, soviel wußte er. Sinnlichkeit gehörte zu den Dingen, die er suchte. Nach einem Jahrzehnt als braver Vater und treuer Ehemann freute Pomrath sich auf die Gelegenheit, sich einmal austoben zu können.

Er wußte ferner, daß die neupuritanische Phase bald wieder von einem gegensätzlichen Pendelschlag ausgelöscht werden würde. Er konnte also von beiden Kulturen das Beste nehmen: zuerst die verstohlenen Lüste der inneren Auflehnung gegen die öffentliche Moral, dann, wenn er älter wurde, die Freuden, den völligen Zusammenbruch dieser Moral zu erleben. Er hatte sich eine gute Zeit ausgesucht. Keine nennenswerten Kriege, keine schweren Krisen. Hier konnte man sein Leben genießen, vor allem dann, wenn man über nützliche Fähigkeiten verfügte. Ein Medizintechniker wie er würde in dieser Zeit primitiver Medizin günstige Aussichten haben.

Niemand hatte ihn auftauchen sehen. Zumindest war jeder Zeuge für sein plötzliches Erscheinen rasch verschwunden, um sich um eigene Angelegenheiten zu kümmern, ohne sich einzumischen. Gut.

Nun mußte er sich orientieren.

Er befand sich in einer Stadt, mutmaßlich New York. Überall Geschäfte und Büros. Pomrath ließ sich vom Strom der Passanten mittreiben. Ein Kiosk an der Ecke verkaufte, was die Entsprechung der Fakbänder in dieser Zeit zu sein schien. Pomrath riß die Augen auf. Da stand ein Datum: 6. Mai 2051. Tüchtiger Bursche, Lanoy. Innerhalb eines Jahres um die gewünschte Zeit. Das gelbe Band tickerte aus dem Schlitz der Maschine. Pomrath hatte Mühe, die antiquierte Grotesk-Druckschrift zu lesen. Er war sich nicht bewußt gewesen, wie sehr die Form der Buchstaben verändert worden war. Aber er hatte es bald heraus.