»Ich will ihn verhören. Holen Sie ihn raus.«
Der Techniker gehorchte. Lanoy wurde abgehängt, gefiltert und ins Bewußtsein zurückgeholt. Dienstroboter rollten ihn in Quellens Büro. Nach kurzer Zeit funktionierten seine Reflexe wieder, und er konnte sich aus eigener Kraft bewegen.
Quellen schaltete alle Aufzeichnungsanlagen in seinem Büro ab. Er hatte stark das Gefühl, daß es ihm lieber war, dieses Gespräch ganz inoffiziell zu führen. Da nur sie beide im Zimmer waren, drehte er auch den Sauerstoffschieber zurück.
»Lassen Sie auf, Quellen«, sagte Lanoy. »Ich atme gerne frei. Geht ja auf Kosten des Staates.«
»Dann führen wir unser Gespräch zu Ende. Was für ein Spiel treiben Sie?« Quellen war zornig. Lanoy war ein völlig unmoralisches Geschöpf, nicht einmal bösartig in seinem Verbrechertum. Das verstieß gegen Quellens Stolz und persönliche Würde.
»Ich will ganz offen sein, Quellen«, sagte Lanoy. »Ich will wieder auf freien Fuß gesetzt werden und mein Geschäft weiterführen. Mir gefällt es so, wie es ist. Das ist, was ich will. Sie wollen mich einsperren und dem Staat oder vielleicht der Hohen Regierung mein Unternehmen zuschanzen. Das ist, was Sie wollen. Richtig?«
»Richtig.«
»In einer solchen Lage haben wir es also mit einem Wechselspiel von gegenseitig unvereinbaren Wünschen zu tun. Die stärkere Seite gewinnt demnach — immer. Ich bin stärker, also müssen Sie mich gehen lassen und alles unterdrücken, was Sie herausgefunden haben.«
»Wer sagt, daß Sie stärker sind, Lanoy?«
»Ich weiß es. Ich bin stark, und Sie sind schwach. Ich weiß vieles über Sie, Quellen. Ich weiß, wie Sie die Massen verabscheuen und frische Luft und Weite lieben. Das sind sehr unangenehme Eigenheiten in einer Welt wie der unsrigen, nicht wahr?«
»Weiter«, sagte Quellen. Innerlich verfluchte er Brogg. Niemand sonst konnte Lanoy sein Geheimnis verraten haben. Und ganz offenkundig wußte Lanoy zuviel über ihn.
»Sie werden mich also als freien Mann gehen lassen«, fuhr Lanoy fort, »oder Sie sitzen wieder in einer Wohnung Stufe Neun oder auch Elf. Da wird es Ihnen nicht gefallen, KrimSek. Sie müssen sich dann ein Zimmer mit jemandem teilen und mögen Ihren Wohngenossen vielleicht nicht, aber es gibt nichts, was Sie dagegen tun können. Und wenn Sie einen Wohngenossen haben, können Sie nie mehr davonlaufen. Er wird Sie melden.«
»Was heißt davonlaufen?« Quellens Stimme war nur noch ein heiseres Wispern.
»Nach Afrika, meine ich, Quellen.«
Jetzt ist es also passiert, dachte Quellen. Jetzt ist es vorbei, Brogg hat mich verraten und verkauft. Er wußte, daß er Lanoy völlig ausgeliefert war. Er stand regungslos vor dem kleinen Mann und kämpfte gegen die Versuchung an, ein Televektorkabel zu packen und Lanoy damit zu erwürgen.
»Ich mache das ungern, Quellen«, sagte Lanoy. »Ganz ehrlich gesagt. Das ist durchaus nicht persönlich gemeint. Sie sind ein ganz ordentlicher Kerl, gefangen in einer Welt, die Sie nicht gemacht haben und nicht sonderlich mögen. Aber ich kann nicht anders. Entweder Sie oder ich, und Sie wissen, wer in solchen Fällen Sieger bleibt.«
»Wie sind Sie dahintergekommen?«
»Brogg hat es mir gesagt.«
»Warum sollte er so etwas tun? Er bekam viel Geld von mir.«
»Ich habe ihm etwas Besseres gegeben«, sagte Lanoy. »Ich habe ihn in Hadrians Zeit zurückgeschickt, vielleicht auch zu Trajan. Er ist jedenfalls 2400 Jahre zurückgegangen.«
Quellen hatte das Gefühl, daß der Boden unter ihm sich in klebrigen Gummi verwandelte, sich warf und wand und vor Hitze pulsierte. Er klammerte sich an seinen Schreibtisch, um nicht ins Nichts abzurutschen. Brogg ein Springer? Brogg verschwunden? Brogg ein Verräter?
»Wann war das?« fragte Quellen.
»Gestern abend, gegen Sonnenuntergang. Brogg und ich besprachen das Problem, wie ich es vermeiden wollte, aus dem Geschäft gedrängt zu werden. Er deutete an, daß Sie einen verwundbaren Punkt hätten. Ich bekam ihn im Austausch für das eine genannt, was er sich wirklich wünschte. Er ist zurückgegangen, um Rom mit eigenen Augen zu sehen.«
»Das ist unmöglich«, widersprach Quellen. »Es gibt Aufzeichnungen über die bekannten Springer, und Brogg stand nicht auf der Liste.« Noch während er das sagte, sah er ein, wie unsinnig es war. Die Aufzeichnungen reichten nur bis 1979 zurück. Wenn Lanoy nicht nur bluffte, war Brogg um fast neunzehn Jahrhunderte zurückgegangen. Es gab keine Dokumente.
Quellen fühlte sich krank. Er wußte, daß Brogg automatisierte Meldegeräte in ganz Appalachia verteilt hatte, die Bandaufzeichnungen von Quellens Verbrechen enthielten. Die Geräte waren darauf programmiert, im Falle von Broggs Tod oder Verschwinden zur Zentrale zu marschieren. Die kleinen, federnden Beine würden seit gestern nacht in Marsch sein. Ich bin erledigt, dachte Quellen. Außer, Brogg hat den Anstand besessen und die Geräte abgeschaltet, bevor er gesprungen ist. Das hätte er ohne Mühe tun können. Die Geräte reagierten auf Fonanrufe. Ein Anruf hätte sie abgestellt. Aber hatte er es wirklich so gemacht? Im anderen Fall kannte die Hohe Regierung schon jetzt die Wahrheit über Joseph Quellen.
Quellen hatte aber erst heute morgen mit Koll gesprochen, und Koll hatte ihm zu seiner Beförderung gratuliert. Koll war verschlagen, doch nicht in einem solchen Maß. Er wäre ganz gewiß einer der Empfänger von Broggs kleinen Anzeigern gewesen und hätte seine Wut und den Neid angesichts der Entdeckung, daß Quellen die ganze Zeit im Luxus eines Zweiers gelebt hatte, nicht unterdrücken können.
Brogg hatte die Geräte also möglicherweise abgeschaltet. Oder er war gar kein Springer geworden.
Mit finsterer Miene drückte Quellen auf die Sprechtaste und sagte: »Geben Sie mir Brogg.«
»Bedaure, UnterSek Brogg hat sich heute nicht gemeldet.«
»Nicht einmal, um den Verbleib mitzuteilen?«
»Wir haben nichts von ihm gehört, Sir.«
»Rufen Sie in seiner Wohnung an. Erkundigen Sie sich im Bezirksamt. Wenn in den nächsten fünfzehn Minuten nichts zu erfahren ist, beginnen Sie mit einer Televektor-Suche. Ich will wissen, wo er ist!«
Lanoy strahlte ihn an.
»Sie werden ihn nicht finden, Quellen. Glauben Sie mir, er ist in Rom. Ich habe die Versetzung selbst ausgeführt — zeitlich und geographisch. Wenn alles gut verlaufen ist, muß er knapp südlich der Stadt angekommen sein, irgendwo an der Via Appia.«
Quellens Lippen zuckten. Er umklammerte die Schreibtischkante jetzt so fest, daß seine Fingerspitzen Vertiefungen in der Platte hervorriefen, die wärmeempfindlich war und eine solche Behandlung nicht vertrug.
»Wenn Sie jemanden in der Zeit so weit zurückschicken können, woher kommt es dann, daß 1979 das Enddatum für die Springererscheinung war?«
»Dafür gibt es viele Gründe.«
»Zum Beispiel?«
»Zum einen war das Verfahren bis vor kurzem über fünfhundert Jahre hinaus nicht verläßlich. Wir haben es verbessert. Neue Forschungsarbeit. Jetzt können wir zuverlässig Leute zweitausend Jahre zurückfeuern und wissen, daß sie ankommen.«
»Die Schweine im zwölften Jahrhundert?«
»Ja«, sagte Lanoy. »Das waren unsere Probeschüsse. Also: Zufällig wurde eine solche Menge von Springern zum Nexus von 1979 zurückgeschickt, daß die Erscheinung den Behörden zu Ohren kam. Jede Springerlandung in einer anderen Zeit führte im allgemeinen dazu, daß der Betreffende wegen Wahnsinns oder Zauberei festgenommen wurde. Wir versuchten deshalb, unsere Springer auf die Zeit zwischen 1979 und 2106 zu beschränken, weil jede Landung dort als das erkannt wurde, was sie war, so daß der Springer nur geringe Schwierigkeiten hatte. Wir sind über diesen Zeitraum nur auf besondere Bitten oder manchmal durch unbeabsichtigtes Danebentreffen hinausgegangen. Verstehen Sie?«
»Ja«, sagte Quellen dumpf. »Und Brogg ist nach Rom gegangen?«
»Ja, wirklich. Gegen einen Preis. Und jetzt lassen Sie mich besser gehen und versprechen, daß Sie die Ergebnisse Ihrer Ermittlungen nicht nach oben dringen lassen, sonst stelle ich Sie bloß und lasse bekannt werden, daß Sie eine Zuflucht in Afrika haben.«