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Robert Silverberg

Zeitspringer

1.

Das Visafon klingelte, aber Quellen achtete nicht darauf. Er fühlte sich unbeschreiblich wohl und hatte im Augenblick keine Lust, das Gespräch anzunehmen.

So schaukelte er weiter in seinem Pneumostuhl und sah den Krokodilen zu, die langsam durch das schlammige Wasser des Flusses glitten. Nach einer Weile hörte der Apparat zu klingeln auf. So saß er da — untätig und ganz dem Duft des Wachstums rings um ihn und dem Summen der Insekten in der Luft hingegeben.

Das war das einzige, was er nicht mochte — dieses beständige Summen und Brummen dieser häßlichen Insekten. In gewissem Sinne waren sie wie Eindringlinge — Symbole des Lebens, das er selbst gelebt hatte, ehe er in Klasse Dreizehn aufgerückt war. Damals war das Summen in der Luft freilich von den Myriaden von Menschen gekommen — Menschen, die wie Bienen in einem Bienenstock herumschwirrten — und was war eine Stadt anderes als ein überdimensionaler Bienenstock!

Er warf einen Stein ins Wasser. „Holt ihn!“ rief er, und zwei Krokodile glitten träge auf die Störung zu. Aber der Stein sank, und schwarze Blasen stiegen auf. Die beiden Krokodile stießen mit den Nasen leicht zusammen und schwammen wieder weg.

Er überdachte die Annehmlichkeiten seines Lebens. Marok, dachte er. Kein Marok. Kein Kall, kein Spanner, kein Brogg, kein Mikken, aber besonders Marok. Er seufzte, als er an sie alle dachte. Was für eine Erleichterung, hier zu sein und nicht ihre Stimmen zu hören und nicht zu schaudern, wenn sie in sein Büro kamen. Und Marok nicht um sich zu haben, war das Schönste. Sich nicht mehr über die Stapel unabgespülter Teller ärgern zu müssen, seine Stöße von Büchern, die überall in ihrem gemeinsamen kleinen Zimmer herumlagen, seine trockene tiefe Stimme nicht hören zu müssen, wenn der andere endlos visafonierte, wenn Quellen versuchte, sich zu konzentrieren.

Nein — kein Marok weit und breit!

Und doch, dachte Quellen mit einem Unterton des Bedauerns, hatte sich der Frieden, den er sich beim Bau dieses neuen Heimes erhofft hatte, nicht eingestellt. Viele Jahre lang hatte er mit bemerkenswerter Geduld auf den Tag gewartet, wo er endlich Klasse Dreizehn erreichte und damit auch die Berechtigung, allein zu wohnen. Und jetzt, da er sein Ziel erreicht hatte, bestand das Leben aus einer quälenden Angst nach der anderen.

Wieder warf er einen Stein ins Wasser.

Während die kreisförmigen Wellen sich auf dem Wasser abzeichneten, hörte Quellen erneut die Klingel des Visafons am anderen Ende des Hauses. Eine Ahnung überkam ihn und ließ ihn aufstehen. Er eilte zum Gerät.

Er schaltete ein, ließ aber die Bildplatte dunkel. Es war gar nicht leicht gewesen, es so einzurichten, daß alle Anrufe, die an seine Wohnung in Appalachia gerichtet waren, automatisch nach hier weitergeleitet wurden.

„Quellen“, sagte er.

„Koll“, meldete sich der andere. „Ich konnte Sie vorher nicht erreichen. Warum schalten Sie denn Ihre Kamera nicht ein, Quellen?“

„Funktioniert nicht“, erklärte Quellen. Hoffentlich kam ihm der andere nicht auf die Lüge.

„Kommen Sie sofort herüber, ja?“ sagte Koll. „Spanner und ich haben etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen. Klar, Quellen?“

„Ja, Sir. Natürlich. Noch etwas, Sir?“ fragte Quellen lahm.

„Nein. Alles weitere erfahren Sie, wenn Sie hier sind.“ Koll schaltete ab.

Quellen blickte lange auf den dunklen Bildschirm und kaute auf seiner Unterlippe. Sie konnten es unmöglich erfahren haben. Er hatte alle Vorkehrungen getroffen. Aber, so flüsterte eine drängende innere Stimme, sie mußten Quellens Geheimnis entdeckt haben. Was sollte Koll ihn denn sonst so dringlich auffordern, zu ihm zu kommen? Quellen begann trotz der Klimaanlage, die ihm die brütende Hitze des Kongo fernhielt, zu schwitzen.

Sie würden ihn in Klasse Zwölf zurückstufen, wenn sie es erfuhren. Oder — das war noch wahrscheinlicher — bis in Klasse Acht. Er würde den Rest seines Lebens in einem winzigen Zimmer verbringen — mit zwei oder drei anderen Menschen, den unangenehmsten und am schlechtesten riechenden Menschen, die man sich vorstellen konnte.

Quellen warf einen langen Blick auf die grünen, dichten Bäume, die unter dem Gewicht ihrer Blätter zusammenzubrechen drohten. Seine Augen schweiften bedauernd über seine beiden geräumigen Zimmer, die luxuriöse Terrasse, den unbehinderten Ausblick nach allen Seiten. Einen Augenblick war ihm sogar das Summen der Fliegen angenehm, ja er liebte es beinahe, jetzt, da alles verloren schien. Er warf einen letzten Blick auf seinen Besitz und trat in den Transmat.

Er traf in dem winzigen Zimmer für Appalachier der Klasse Dreizehn ein, von dem jedermann annahm, daß er es bewohnte. In einer Folge schneller Bewegungen schlüpfte er aus seiner Freizeitkleidung und vertauschte sie mit seiner Amtsuniform, löschte das ,Privat’-Radion von der Tür, und damit war die Verwandlung von Joe Quellen, Besitzer eines illegalen Privatheims im Herzen einer afrikanischen Reservation in Joseph Quellen, Kriposek, Verteidiger von Recht und Ordnung, abgeschlossen.

Er nahm sich ein Schnellboot und fuhr damit in die Innenstadt, zu einer Besprechung mit Koll, innerlich vor Angst und Sorge zitternd.

Als er eintrat, warteten sie schon auf ihn. Koll, klein, mit einer scharfen, spitzen Nase, vergleichbar einer großen Ratte, saß der Tür gegenüber und blätterte in ein paar Akten. Spanner saß ihm gegenüber am Tisch, ebenfalls scheinbar intensiv mit dem Studium von Aktennotizen und Berichten beschäftigt.

Als Quellen eintrat, griff Koll an die Wand und schaltete den Sauerstoffspender für drei Personen um.

„Hat lange gedauert“, meinte Koll, ohne aufzublicken.

„Tut mir leid“, murmelte Quellen. „Mußte mich erst umziehen.“

„Wir können ja doch nichts ändern“, sagte Spanner, als wäre Quellen überhaupt nicht vorhanden. „Was geschehen ist, ist geschehen, und was wir auch tun — es wird nicht die geringste Wirkung haben.“

„Setzen Sie sich, Quellen“, sagte Koll. Er wandte sich Spanner zu. „Ich dachte, das hätten wir alles schon geklärt. Wenn wir uns einmischen, gibt es ein heilloses Durcheinander. Schließlich sind es beinahe tausend Jahre!“

Quellen atmete erleichtert auf — natürlich ohne sich etwas anmerken zu lassen. Offensichtlich galt ihre Besorgnis nicht seinem illegalen Heim in Afrika. Er sah jetzt seine beiden Vorgesetzten etwas aufmerksamer an, seit nicht mehr Angst und Besorgnis seinen Blick verschleierten.

Sie debattierten offensichtlich schon eine ganze Weile.

„Also gut, Koll, ich gebe zu, daß es die Vergangenheit aus dem Lot bringen könnte. Zugegeben.“

„Und ist das etwa nichts?“ fragte der kleinere von beiden.

„Unterbrechen Sie mich nicht. Ich bin der Ansicht, daß dem ein Ende gemacht werden muß.“

Koll warf Spanner einen wütenden Blick zu, und Quellen sah ganz deutlich, daß nur seine, Quellens, Anwesenheit den anderen daran hinderte, seinem Ärger Luft zu machen. „Aber warum, Spanner, warum? Wenn wir nichts unternehmen, bleibt die Sache so, wie sie ist. Viertausend sind bereits verschwunden, aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Sehen Sie doch selbst — hier heißt es, daß mehr als eine Million in den ersten drei Jahrhunderten aufgetaucht sind, und nachher stiegen die Zahlen. Bedenken Sie doch die Bevölkerung, die wir verlieren! Das ist doch wunderbar! Wir können es uns gar nicht leisten, diese Leute hierzubehalten, solange wir eine Möglichkeit haben, sie loszuwerden. Noch dazu, nachdem ja in den Geschichtsbüchern steht, daß wir sie losgeworden sind.“

Spanner knurrte und sah die Blätter an, die er in der Hand hielt. Quellens Augen huschten zwischen den beiden hin und her.

„Also schön“, sagte Spanner langsam. „Ich gebe zu, daß es ganz gut ist, all diese Proleten loszuwerden. Aber ich glaube, man streut uns gleichzeitig Sand in die Augen. Meine Idee ist folgendermaßen: Wir müssen es, wie Sie sagen, weitergehen lassen, um die Vergangenheit nicht zu ändern. Darüber will ich mich nicht mit Ihnen streiten, nachdem Sie Ihrer Sache so sicher zu sein scheinen. Außerdem halten Sie das für eine gute Methode, unsere Bevölkerung zu reduzieren.