„Ja, Sir“, sagte Brogg resigniert. „Kommen Sie, Mikken.“ Der zweite Assistent stand widerstrebend auf und folgte Brogg hinaus. Quellen sah ihnen durch sein Guckfensterchen nach, bis sie auf der Straße standen und anfingen, sich durch die dortigen Menschenmengen hindurchzuwühlen. Dann drehte er mit beinahe perverser Freude das. Sauerstoffventil auf Höchstleistung und lehnte sich zurück.
Nach einer Weile beschloß Quellen, sich selbst über die Situation zu informieren. Es war gar nicht leicht, seine Apathie zu überwinden, war doch nach wie vor der Wunsch, Appalachia zu verlassen und sich wieder nach Afrika zu begeben, in ihm beinahe übermächtig.
Er knipste den Projektor an und das Geschichtsbuch begann vor ihm abzurollen. Er sah träge auf die Lichtfläche.
Die ersten Anzeichen der Invasion aus der Zukunft erschienen im Jahre 1973, als einige Männer in seltsamer Kleidung in jenem Teil Appalachias auftauchten, der damals als Manhattan bekannt war. Nach den damaligen Aufzeichnungen erschienen sie mit steigender Häufigkeit während des ganzen folgenden Jahrzehnts. Alle erklärten auf Befragen, sie stammten aus der Zukunft.
In dem Buch stand noch vieles mehr über die ,Springer’, wie man die ,Invasoren’ aus der Zukunft nannte, aber Quellen reichte es schon. Er knipste das Gerät aus. Die Hitze in dem kleinen Raum war drückend — trotz Klimaanlage und Sauerstoffventil. Quellen blickte verzweifelnd auf die ihn beengenden Wände, und wieder flog sein Sehnen zu jenem trüben Strom im Inneren Afrikas, vor der Terrasse seines Hauses.
„Ich habe getan, was ich konnte“, sagte er und trat aus dem Fenster, um das nächste Schnellboot zu nehmen, das ihn in seine Wohnung zurückbrachte. Flüchtig spielte er mit dem Gedanken, den ganzen Fall Brogg zu übertragen und selbst wieder nach Afrika zurückzugehen — aber damit würde er selbst das Unheil auf sein Haupt beschwören.
Quellen hatte übersehen, seine Lebensmittelvorräte auf dem laufenden zu halten, stellte er fest, und da sein Aufenthalt in Appalachia lang, vielleicht sogar permanent zu werden drohte, beschloß er, seine Vorräte aufzufüllen. Er hängte das ,Nicht Stören’-Radion an die Tür und eilte die lange, gewundene Rampe hinunter, um sich für eine lange Belagerung zu verproviantieren.
Unterwegs sah er einen Mann mit mürrischen Zügen, der die andere Rampe heraufkam. Quellen kannte ihn nicht, aber das war kein Wunder; in dem Menschengewirr von Appalachia kannte man nie besonders viele Leute, nur den Lagerhalter im Vorratsladen und ein paar Nachbarn.
Der Mann sah ihn seltsam an und schien mit seinen Augen etwas sagen zu wollen. Er streifte an Quellen vorbei und schob ihm ein zusammengeknülltes Stück Papier in die Hand. Quellen faltete es auseinander, nachdem der andere die Rampe hinauf verschwunden war und las.
Keine Arbeit? Sprich mit Lanoy. Mehr stand nicht darauf. Und jetzt erwachte der Kriposekretär in Quellen. Wie die meisten Beamten, die selbst keine ganz reine Weste haben, war er besonders scharf darauf bedacht, andere @Gesetzesgeber zur Strecke zu bringen, und an diesem Handzettel war etwas, das nach Ungesetzlichkeit roch. Quellen wandte sich um, in der Absicht, den schnell entschwindenden Mann zu verfolgen, aber der war bereits verschwunden. Er konnte überallhin gegangen sein. Keine Arbeit? Sprich mit Lanoy. Quellen fragte sich, wer dieser Lanoy wohl sein mochte, und worin sein Wundermittel bestand. Er beschloß, Brogg mit dieser Sache zu beauftragen.
Quellen schob den Zettel vorsichtig in die Tasche und betrat den Vorratsladen. Der rotgesichtige kleine Mann, der ihn verwaltete, begrüßte Quellen mit seiner üblichen aufdringlichen Freundlichkeit.
„Oh, Herr Kriposek“, sagte der rundliche Mann. „Ich hatte schon gedacht, Sie wären ausgezogen. Aber das ist natürlich unmöglich, nicht wahr? Sie hätten es mir doch gesagt, wenn man Sie befördert hätte.“
„Ja, Greevy, natürlich. Ich war nur in der letzten Zeit sehr beschäftigt, viel Arbeit. Sie wissen ja, wie es ist.“ Quellen runzelte die Stirn. Er mochte es gar nicht, wenn es in der ganzen Gegend herumposaunt wurde, daß er oft nicht da war. Er gab seine Bestellung auf, schickte die Waren per Transmat hinauf und ging wieder.
Er trat einen Augenblick auf die Straße hinaus und warf einenBlick auf die vorüberströmenden Massen. Ihre Kleider gehörten allen Stilarten und Moderichtungen an. Und alle redeten unablässig.
Die Welt war ein riesiger Bienenstock und jeden Tag stärker übervölkert als am Tage zuvor. Quellen sehnte sich nach der ruhigen Zuflucht, die er mit so hohen Kosten und mit soviel Angst im Herzen erbaut hatte. Je mehr er von der unberührten Natur sah, desto weniger hatte er für die rastlos drängenden Menschenmassen übrig, die die überfüllten Städte bevölkerten.
Und ringsum geschahen verbotene Dinge — nicht wie im Falle Quellens der entschuldbare Versuch, einer unerträglichen Existenz zu entrinnen, sondern böse, unverzeihliche Dinge.
Wie dieser Lanoy zum Beispiel, dachte Quellen und fuhr in Gedanken mit dem Finger über den Zettel in der Tasche. Wie er es nur fertigbrachte, seine Tätigkeit, worin auch immer sie bestehen mochte, vor seinen Zimmergenossen zu verbergen? Und er war doch bestimmt kein Angehöriger von Klasse Dreizehn.
Quellen fühlte ein seltsames Gefühl der Einheit mit diesem Lanov. Auch er setzte sich über die Spielregeln hinweg. Vielleicht würde es ganz interessant sein, seine Bekanntschaft zu machen. Und dann ging Quellen weiter.
3.
Brogg rief ihn an und hetzte ihn in Windeseile ins Büro zurück. Quellen fand seine beiden Assistenten in Gesellschaft eines dritten Mannes vor, eines eckigen, schäbig gekleideten Burschen mit gebrochener Nase, die wie ein Raubtierschnabel aus seinem Gesicht vorsprang. Brogg hatte das Sauerstoffventil auf Höchstleistung geschaltet.
„Das ist also der Bursche?“ fragte Quellen. Es war wirklich kaum vorstellbar, daß dieser jämmerliche Prolet — offenbar zu arm, um sich eine Plastikbehandlung für seine Nase leisten zu können — die treibende Kraft hinter den Springern sein sollte.
„Das kommt darauf an, was für einen Burschen Sie meinen“, sagte Brogg. „Sagen Sie dem Kriposek, wer Sie sind“, sagte er dann und stieß den Proleten unsanft mit dem Ellbogen.
„Brand heiß’ ich“, sagte der Prolet mit dünner, seltsam hoch klingender Stimme. „Klasse Vier. Ich habe nichts Böses gewollt, Sir — er hat mir nur ein Haus für mich ganz allein versprochen, und einen Job und frische Luft …“
Brogg brachte ihn zum Schweigen. „Wir haben diesen Burschen in einer Trinkhalle erwischt. Er hatte ein oder zwei zuviel intus und sagte jedem, er würde bald einen Job haben.“
„Das hat der andere auch gesagt“, murmelte Brand. „Ich sollte ihm nur dreihundert Kredite geben, dann wollte er mich an einen Ort schicken, wo jeder seinen Job hatte. Und ich sollte dann auch meiner Familie Geld schicken können. Das klang so schön, Sir.“
„Und wie hieß dieser andere?“ fragte Quellen scharf.
„Lanoy, Sir.“ Quellen zuckte förmlich zusammen, als er den Namen hörte. „Jemand gab mir das und sagte, ich sollte mit ihm Verbindung aufnehmen.“
Brand streckte einen zerknitterten Zettel hin. Quellen entfaltete ihn und las: Keine Arbeit? Sprich mit Lanoy. „Sehr interessant.“ Er griff in seine eigene Tasche und holte den Zettel heraus, den der mürrisch blickende Mann ihm auf der Rampe gegeben hatte. Keine Arbeit? Sprich mit Lanoy. Sie waren völlig identisch.
„Lanoy hat eine ganze Menge von meinen Freunden dorthin geschickt“, sagte Brand. „Er sagte mir, es ginge ihnen allen gut, und sie seien glücklich dort, Sir …“