Die Brigg hatte jetzt Marssegel und Fock gesetzt und war ihnen hart auf den Fersen. Sie versuchte offensichtlich, den Schoner in einem langen Schlag auszuluven. Ihre beiden Buggeschütze feuerten Schuß auf Schuß, die Luft war erfüllt von schauerlichem Geheul, was auf die Verwendung von Kartätschen oder Kettenkugeln hindeutete. Traf auch nur eine einzige von ihnen einen Mast, so war dies der Anfang vom Ende.
Ein weiteres Geschütz mußte jetzt auf die flüchtende Faithful gerichtet sein, denn eine Kugel fegte über das Achterdeck, zerfetzte Tauwerk und traf beinahe einen Gefangenen, der sich aufgerichtet hatte, um besser sehen zu können.
«Siehst du, Freund, das Yankeeblei ist für euch genauso gefährlich«, höhnte ein Seemann.
Ein weiterer Einschlag dicht neben der Bordwand überschüttete sie mit Spritzwasser.
Balleine kam nach achtern gerannt und fragte:»Soll ich die Bootsleinen kappen, Sir? Das macht uns sicher eine halbe Meile schneller.»
Plötzlich schrie ein Seemann ungläubig:»Der Yankee geht über Stag, Sir!»
Sparke gestattete sich ein kurzes Lächeln der Genugtuung. Durch den sich immer mehr lichtenden Nebel tauchte wie ein Geist die Trojan auf, unter vollen Segeln und mit bereits ausgefahrener Breitseite, zwei Linien schwarzer Mündungen.
Sparke rief:»Mr. Bolitho! Sie wird uns aufs Korn nehmen, wenn wir nicht vorsichtiger sind!»
Midshipman Libby flitzte bereits wie ein Kaninchen nach achtern, und Sekunden später wehte die britische Flagge frei von der Gaffel, so leuchtend rot wie die über dem vergoldeten Heck der Trojan.
Unten in der winzigen Kabine wischte Stockdale Quinns Stirn mit einem feuchten Tuch ab und blickte hinauf zum Oberlicht.
Langsam bewegte Quinn die trockenen Lippen.»Was war das für ein Geräusch?»
Stockdale betrachtete ihn traurig.»Hurrarufe, Sir. Sie scheinen die gute alte Trojan gesichtet zu haben!»
Dann verlor Quinn wieder das Bewußtsein, hinweggeschwemmt von einer Woge Schmerz. Wenn er am Leben blieb, dachte Stock-dale, war er wohl nie wieder derselbe wie vorher. Dann dachte er wieder an das Klatschen, mit dem die Leichen, Freund wie Feind, über Bord gegangen waren, und er sagte sich, daß Quinn immer noch besser dran war.
IV Rendezvous
Bolitho schritt nach achtern und hielt vor der Treppe zur Schanze inne. Er fühlte die vielen Augen auf sich gerichtet, die ihm schon auf dem Weg über das Deck gefolgt waren, nachdem er an Bord gekommen war. Er war sich auch seines schmutzigen und abgerissenen Aufzuges bewußt, des Loches im Ärmel, der getrockneten Blutflecken auf seinen Breeches.
Noch einmal blickte er sich um und betrachtete die Prise, die aus dieser Entfernung noch hübscher wirkte, wie sie da schmuck an Trojans Leeseite lag. Nur schwer konnte er sich vorstellen, was sich letzte Nacht auf ihr abgespielt, noch schwerer, daß er es überlebt hatte.
Sparke war sofort auf die Trojan übergestiegen, nachdem zwischen beiden Schiffen Signalkontakt bestand, und hatte Bolitho den Transport der Verwundeten und die Bestattung des Unglücksschützen mit der weggerissenen Gesichtshälfte überlassen, der inzwischen seinen Verletzungen erlegen war.
Bevor er sich beim Kommandanten meldete, war Bolitho ins Lazarett hinabgestiegen, voller Angst, was er dort vorfinden würde. Wieder empfand er seine Verantwortung für das Geschehene, als er die wie gekreuzigt auf dem Operationstisch liegende Gestalt erblickte, die im Licht der schwankenden Decklampen wie ein Leichnam schimmerte. Quinn war nackt, und als Thorndike den verfilzten Verband entfernt hatte, sah Bolitho zum erstenmal die klaffende Wunde. Von Quinns linker Schulter lief sie diagonal über die Brust, öffnete sich wie ein obszöner Mund.
Quinn war bewußtlos; Thorndike hatte kurz gesagt:»Nicht schlecht, aber wir müssen abwarten.»
Auf Bolithos Frage:»Können Sie ihn retten?«hatte sich Thorn-dike in seiner blutigen Schürze ihm zugewandt und geknurrt:»Ich tue, was ich kann. Einem Mann habe ich bereits ein Bein abgenommen, ein anderer hat einen Splitter im Auge.»
Bolitho hatte verlegen geantwortet:»Tut mir leid, ich werde Sie nicht länger aufhalten.»
Jetzt, auf dem Weg zur Kajüte, wo ein scharlachrot gekleideter Seesoldat stand, fühlte Bolitho dumpfen Schmerz von Selbstvorwürfen und Verzweiflung. Sie hatten eine Prise genommen, aber der Preis dafür war zu hoch.
Der Seesoldat knallte seine Stiefel zusammen, und Foley, adrett wie immer, öffnete die äußere Tür. Seine Augen weiteten sich in offensichtlicher Mißbilligung, als er Bolithos abgerissene Ersche i-nung wahrnahm.
In der Kajüte saß Kapitän Pears an seinem papierübersäten Schreibtisch, ein großes Glas Wein in der Hand.
Bolitho starrte Sparke an. Der war so sauber gekleidet, gewaschen und rasiert, als hätte er das Schiff niemals verlassen.
Pears befahclass="underline" »Wein für den Vierten Offizier!»
Er beobachtete Bolitho, als dieser dem Steward das Weinglas abnahm, sah die Überanstrengung, die bleierne Müdigkeit in seinem Gesicht.
«Mr. Sparke hat mir von Ihren eindrucksvollen Taten erzählt, Mr. Bolitho. «Pears Miene blieb ausdruckslos.»Der Schoner ist ein guter Fang.»
Bolitho ließ sich vom Wein den Magen wärmen, den Schmerz in seiner Seele lindern. Sparke war schon früher an Bord gekommen, hatte sich gewaschen und frisch gemacht, bevor er sich beim Kommandanten meldete. Wieviel hatte er ihm wohl über den ersten Teil des Unternehmens erzählt? Über den unglückseligen Gewehrschuß, der so viel zur Erhöhung ihrer Verluste beigetragen hatte?
Pears fragte:»Wie geht es übrigens Mr. Quinn?»
«Der Arzt hat Hoffnung, Sir.»
Pears betrachtete ihn seltsam.»Gut. Ich hörte, daß sich auch beide Fähnriche wacker gehalten haben. «Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zu und sagte:»Diese Dokumente fand Mr. Sparke in der Kajüte der Faithful. Sie sind von noch größerem Wert als die Prise selbst. «Mit grimmigem Gesicht fuhr er fort:»Sie enthalten Einzelheiten über die Aufgaben des Schoners, die er nach der Erbeutung von Waffen und Munition aus unserem Konvoi hätte erfüllen sollen. Die Geleitfahrzeuge hätten es bei diesem Wetter schwer gehabt, den gesamten Konvoi zu schützen, und oben bei Halifax scheint es noch schlimmer gewesen zu sein. Jetzt muß die Brigg Revenge allein zurechtkommen, obwohl anzunehmen ist, daß noch andere Wölfe diese fette Beute umschleichen. «Bolitho fragte:»Wann erwarten Sie, den Geleitzug zu sichten,
Sir?»
«Mr. Bunce und ich erwarten das für morgen. «Er sprach, als ob es jetzt nicht mehr wichtig sei.»Aber etwas müssen wir sofort in Angriff nehmen. Die Faithful sollte zu einem Rendezvous mit anderen Feindschiffen am Ausgang der Delaware Bay segeln. Die britischen Streitkräfte in Philadelphia haben es schwer, ihren Nachschub flußaufwärts bis zur Garnison zu sichern. Auf dem ganzen Weg werden unsere Boote und Schuten von feindlichen Spähtrupps beschossen. Stellen Sie sich vor, wie das erst würde, wenn der Feind eine größere Lieferung von Waffen und Munition erhielte.»
Bolitho nickte und nahm noch ein Glas Wein von Foley entgegen. Die Delaware Bay lag rund vierhundert Seemeilen südlich. Ein rasches Fahrzeug konnte den Treffpunkt bei günstigem Wetter in drei Tagen erreichen.
Sie waren so selbstsicher gewesen, dachte er. Der rote Flicken auf dem Großsegel war das Signal für die Wachen an Land. Auch der Ort war gut ausgesucht: sehr flach und tückisch bei Ebbe; keine Fregatte würde sich aus Angst vor Grundberührung dort hinwagen.
Er fragte:»Sie wollen die Faithful zum Rendezvous schicken,
Sir?»
«Ja. Es ist natürlich ein gewisses Risiko dabei. Die Fahrt könnte länger dauern als vorgesehen, und da der Feind nun weiß, daß die Faithful gekapert worden ist, wird er alles daran setzen, um diese Nachricht so schnell wie möglich in den Süden weiterzuleiten: Signale, schnelle Reiter, nichts wird er unversucht lassen.»