«Aye. Rufen Sie das Boot. «Bolitho überprüfte den Sitz seines Degengurtes und rückte den Hut zurecht.
Pears erschien mit Kapitän Lamb. Sie schüttelten sich die Hände, dann folgte Pears Bolitho in ihr Boot.
Als es abgelegt hatte und in die starke Strömung hinaussteuerte, bemerkte Pears:»Widerlich, das Ganze!»
Drauf verfiel er in Schweigen und bewegte sich nicht, bis sie die erleuchteten Stückpforten der Trojan dicht vor sich hatten. Da erst sagte er abfällig:»Wenn das Diplomatie war, dann danke ich Gott, daß ich ein einfacher Seemann bin!»
Bolitho stand in dem schwankenden Boot neben Hogg, als Pears, der nach der Fallreepskette griff, ausrutschte. Bolitho glaubte ihn fluchen zu hören, war sich aber nicht ganz sicher. Dennoch fühlte er sich irgendwie ausgezeichnet durch Pears, der sich schon wieder vollkommen in der Gewalt hatte, wenn auch nur unter großer Anstrengung. Der Zwischenfall machte ihn menschlicher, als Bolitho ihn je erlebt hatte.
Pears scharfe Stimme kam von oben:»Stehen Sie nicht herum wie eine Salzsäule, Mr. Bolitho! Wenn Sie nichts zu tun haben, so müssen andere doch arbeiten!»
Bolitho blickte Hogg an und grinste. Das klang schon wieder mehr nach Pears.
Unter anderem gehörten die undankbaren Pflichten eines Wachoffiziers im Hafen zum Aufgabenbereich der Leutnants, wenn ihr Schiff in New York lag. Sie wurden dann für volle vierundzwanzig Stunden abgestellt und mußten unter anderem die zahlreichen Boote überwachen, die zwischen den Schiffen und den Anlegestellen verkehrten, damit keine feindlichen Agenten Gelegenheit zu Sabotage oder Spionage fanden. Ebenso mußten sie aufpassen, daß keine Deserteure in einer der vielen Hafenkneipen Unterschlupf suchten.
Seeleute, die an Land zu tun hatten, gerieten leicht in Versuchung, in einer Spelunke einzukehren; Betrunkene aber wurden festgenommen und auf ihre Schiffe zurücktransportiert, wo eine gute Tracht Schläge auf sie wartete.
Zwei Tage nach dem Besuch auf dem Flaggschiff hatte der Dritte Offizier der Trojan, Richard Bolitho, sich zur Verfügung des Hafenkommandanten zu halten. New York machte ihn nervös, diese Stadt, die nur darauf zu warten schien, daß etwas geschah, und zwar etwas Entscheidendes und Endgültiges. Hier herrschte ständig Bewegung. Flüchtlinge kamen aus dem Landesinneren, Menschen drängten sich vor den Regierungsgebäuden und suchten nach Angehörigen, andere wiederum brachen bereits auf, um das Land zu verlassen und nach England oder Kanada zu fliehen. Manche warteten auch darauf, vom Sieger reichen Lohn zu kassieren, gleichgültig, wer es auch sein würde. Nachts war New York ein gefährliches Pflaster, besonders in der übervölkerten Hafengegend mit ihren Kneipen, Bordells, Spielhöllen und billigen Absteigen. Alles war dort zu haben, wenn nur genügend Geld dafür geboten wurde.
Gefolgt von einem Trupp bewaffneter Seeleute, ging Bolitho langsam an einigen von der Sonne gebleichten Holzgebäuden entlang, wobei sie sich vorsichtigerweise dicht an den Wänden hielten, um nicht von oben — absichtlich oder unabsichtlich — mit Unrat beworfen zu werden.
Er hörte Stockdales keuchenden Atem und das gelegentliche Klirren von Waffen, als sie jetzt zur Hauptanlegebrücke kamen. Menschen waren kaum zu sehen, obwohl hinter den geschlossenen Fensterläden Musik und grölende oder fluchende Stimmen zu hören waren.
Ein Haus hob sich dunkel gegen das strömende Wasser ab, vor der Tür standen Marinesoldaten Posten, und ein Unteroffizier ging auf und ab.
«Halt, wer da?»
«Offizier der Wache!»
«Ihren Ausweis!»
Es war immer dasselbe, obwohl die Marineinfanteristen die me i-sten Flottenoffiziere vom Sehen kannten.
Der Unteroffizier stand stramm.»Zwei Leute von der Vanquis-her, Sir. Betrunken und streitsüchtig.»
Bolitho ging durch ein paar Türen in eine größere Wachstube. Das Gebäude war einmal der Stadtsitz eines Teehändlers gewesen. Nun residierte die Marine darin.
«Sie scheinen sich jetzt ruhig zu verhalten, Sergeant.»
Der Unteroffizier grinste.»Aye, Sir, jetzt. «Er zeigte auf zwei schlaffe Körper in Eisen.»Wir mußten sie erst beruhigen.»
Bolitho setzte sich an einen zerkratzten Tisch und lauschte auf die Geräusche draußen — das Rattern von Rädern auf dem KopfSteinpflaster, das gelegentliche Kreischen einer Hure. Er blickte auf die Uhr. Kurz nach Mitternacht. Noch vier Stunden! In solchen Situationen sehnte er sich nach der Trojan, wenn er auch kurz vorher noch gewünscht hatte, frei von ihrer Routine zu sein.
Als die Flotte seinerzeit vor Staten Island angekommen war, hatte jemand diese Ansammlung von Schiffen als» schwimmendes London «beschrieben. Jetzt war dies schon zu selbstverständlich geworden, um noch erwähnt zu werden. Bolitho hatte zwei ihm flüchtig bekannte Offiziere von einer der Fregatten gesehen und ein paar Worte ihrer Unterhaltung aufgeschnappt, als sie in einem Spielsalon verschwanden.
. Auslaufen mit der Ebbe, nach Antigua mit Kurierpost. Was es doch bedeutete, frei zu sein, von diesem schwimmenden Durcheinander hier wegzukommen!
Der Unteroffizier erschien wieder und betrachtete ihn zweifelnd.»Ich habe einen Spitzel draußen, Sir. «Er deutete mit dem Daumen zur Tür.»Kenne ihn schon länger, ein Gauner, aber zuverlässig. Er behauptet, ein paar Leute seien von der Brigg Diamond desertiert, kurz bevor sie vorgestern auslief.»
Bolitho stand auf und griff nach seinem Dolch.»Was hat die Diamond hier gemacht?»
Der Unteroffizier grinste breit.»Keine Sorge, Sir. Sie hatte keinen Freibrief, brachte nur Stückgut von London.»
Bolitho nickte. Eine englische Brigg, das verhieß erfahrene Seeleute, Deserteure oder nicht.
«Bringen Sie den — äh — Spitzel herein.»
Der Mann war typisch für sein Gewerbe: klein, schmierig, hinterhältig. Sie waren in allen Häfen der Welt gleich, diese Besitzer von Absteigequartieren, die an die Preßkommandos Informationen über Seeleute verkauften, die angeblich greifbar waren.
«Nun?»
Der Mann jammerte:»Es ist doch nur meine Pflicht, Sir, des Königs Marine zu helfen.»
Bolitho musterte ihn kalt. Der Schurke sprach noch immer den Dialekt der Londoner Slums.»Wie viele?»
«Sechs, Sir!«Seine Augen glitzerten.»Feine, kräftige Kerle allesamt.»
Der Unteroffizier bemerkte beiläufig:»Sie stecken in Lucys Haus. «Er zog eine Grimasse.»Vermutlich inzwischen mit Syphilisblattern bis über die Augen besät.»
«Lassen Sie meine Leute antreten, Sergeant. «Bolitho versuchte, nicht an die dadurch entstehende Verzögerung zu denken. Wahrscheinlich wurde es nichts mehr mit Schlaf.
Der Gauner ließ sich vernehmen:»Kommen wir ins Geschäft,
Sir?»
«Nein. Du wartest hier. Kriegen wir die Leute, bekommst du dein Geld. Wenn nicht — «, er blinzelte den grinsenden Marineinfanteristen zu — ,»gibt es eine Tracht Prügel.»
Er trat hinaus in die Nacht und verfluchte insgeheim sowohl den Seelenverkäufer wie überhaupt diese erbärmliche Methode, Seeleute zu pressen. Trotz der Härte des Bordlebens meldeten sich viele Freiwillige, jedoch niemals genug, um die Verluste durch Tod oder Verwundung auszugleichen.
Stockdale fragte:»Wohin, Sir?»
«Zu Lucys Haus, dem Bordell.»
Einer der Seeleute kicherte.»Ich kenne es, Sir, bin schon dort gewesen.«»Dann führen Sie uns, vorwärts!»
Als sie in der engen, abschüssigen und übelriechenden Gasse angekommen waren, teilte Bolitho seinen Trupp in zwei Gruppen. Die meisten Leute der Stammbesatzung hatten schon an ähnlichen Aktionen teilgenommen, und selbst die gepreßten Leute machten mit, sobald sie sich einmal an ihr neues Leben gewöhnt hatten. Wenn ich dienen muß, warum nicht auch du? Dies schien ihre Maxime zu sein.
Stockdale war auf der Rückseite des Hauses verschwunden; das Messer hatte er im Gürtel stecken lassen und statt dessen einen Knüppel in der Hand.