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Von der Back ertönten sechs Glasen, während ein Schiffsjunge das Halbstundenglas umdrehte. Noch eine Stunde bis Mittag…

Bolitho zuckte zusammen, als die Sonne ihn voll traf und seine Schultern versengte. Aus der Halterung nahm er das Teleskop und richtete es nach vorn, wo das Flaggschiff Resolute gerade in der langen Dünung auftauchte. Wie rasch hatten sich doch die Dinge geändert, dachte er. Am Tag nach dem Tod des mysteriösen Mädchens hatten sie Befehl bekommen, mit dem ersten günstigen Wind auszulaufen. Über ihr Ziel war nicht das geringste erwähnt worden, und bis zuletzt hatten die Zyniker in der Messe behauptet, es handle sich wieder nur um eine Übung oder darum, zur moralischen Unterstützung des Heeres Flagge zu zeigen.

Das war vor vier Tagen gewesen, vor vier mühevollen Tagen des langsamen Dahinkriechens in südlicher Richtung. Kaum zeigten ein paar Kräusel rund um das Ruder an, daß sie überhaupt Fahrt machten; in der ganzen Zeit hatten sie nicht mehr als vierhundert Meilen zurückgelegt.

Bolitho schwenkte das Teleskop weiter herum und sah die Sonne auf den Bramsegeln der Fregatte Vanquisher leuchten, die sich luvwärts von ihnen zum sofortigen Eingreifen bereit hielt, wenn ihre schwerfälligen Begleiterinnen sie benötigen sollten. Er richtete sein Glas wieder nach vorn auf das Flaggschiff. Gelegentlich, wenn es gerade auf einem Dünungskamm ritt, sah er noch ein kleineres Segel weit voraus, das» Auge «des Admirals.

Beim Passieren von Sandy Hook hatten sie bemerkt, daß auch die Korvette Spite Segel setzte und ohne jedes Aufsehen ihren Ankerplatz verließ. Sie segelte jetzt weit vor ihnen und würde durch Flaggensignale alles melden, was für den Admiral von Interesse sein konnte.

Es war ein prächtiges kleines Schiff, bestückt mit achtzehn Kanonen. Bolitho hatte es wiedererkannt: Es war dasselbe, das kurz vor Sparkes vergeblichem Versuch, die Brigantine zu bergen, auf die Faithful gefeuert hatte. Ihr Kommandant war erst vierundzwanzig Jahre alt, aber ebenso wie die anderen drei genau im Bilde darüber, was gespielt wurde.

Geheimhaltung hatte sich in ihre Welt eingeschlichen wie die ersten Zeichen einer Krankheit.

Das Deck zitterte, als sich steuerbords jetzt die Stückpforten des unteren Batteriedecks öffneten und kurz darauf dreißig Zweiund-dreißigpfünder ausgefahren wurden, als ginge es ins Gefecht. Wenn sich Bolitho über die Reling beugte, konnte er sie sehen; aber schon bei dem Gedanken, das heiße, zundertrockene Holz zu berühren, war ihm, als habe er sich verbrannt. Was Dalyell — jetzt Kommandierender des unteren Batteriedecks — auszuhalten hatte, wagte er sich kaum vorzustellen.

Die Segel flappten müde, aber vom Wimpel an der Mastspitze las er ab, daß der Wind sich keineswegs drehte. Es wehte weiterhin gleichmäßig aus Nordwest, aber zu schwach, um die brütende, feuchte Hitze aus den Decks zu vertreiben.

Die Geschütze wurden mit lautem Gepolter wieder eingefahren, und er sah im Geiste Dalyell auf die Uhr blicken und feststellen, daß es zu lange gedauert hatte. Kapitän Pears hatte seine Forderung eindeutig formuliert: Gefechtsklar in zehn Minuten oder weniger, beim Feuern drei Salven in zwei Minuten. Die letzte Übung hatte fast doppelt so lange gedauert.

Er konnte sich die Geschützbedienungen vorstellen, wie sie sich schwitzend und mit entblößten Oberkörpern abmühten, die schweren Geschütze auszufahren. Jedes wog über drei Tonnen, und wenn das Schiff auf Backbordbug segelte, mußten sie dieses Gewicht das schrägliegende Deck aufwärts wuchten. Es war nicht das richtige Wetter für eine derartige Arbeit, aber — wie Cairns oft betonte — das war es nie.

Bolitho blickte durch die Netze zur unsichtbaren Küste hinüber, deren Verlauf er sich vor Antritt jeder Wache auf der Karte einprägte. Cape Hatteras mit seinen Untiefen lauerte etwa zwanzig Meilen querab, und dahinter lagen der Pamlico Sound und die Flüsse North Carolinas.

Die See ringsum war leer. Nur ihre vier Schiffe, weit auseinander, um Wind und Sicht am günstigsten zu nutzen, bewegten sich langsam südwärts, einem unbekannten Ziel entgegen. Die vier Besatzungen zusammen, schätzte Bolitho, mußten rund tausendachthundert Mann zählen.

Kurz vorher hatte er Molesworth, den Zahlmeister und Proviantverwalter, mit seinem Gehilfen den Niedergang hinuntergehen sehen, Molesworth mit seinem großen Hauptbuch unter dem Arm, sein Gehilfe mit dem Werkzeugkasten, den sie zum Öffnen von Fässern und Kisten benötigten.

Es war Montag, und Bolitho konnte sich die gekritzelten Notizen in Molesworths Buch vorstellen: Pro Mann ein Pfund Schiffszwieback, ein halbes Pfund Hafermehl, zwei Unzen Butter, vier Unzen Käse und einen Liter Leichtbier. Danach war es dann Sache von Triphook, dem Koch und seinen Kochsmaaten, was sie aus dieser Tageszuteilung machten.

Kein Wunder, daß Zahlmeister immer sorgenvoll oder unehrlich waren. Wenn man die Tagesration eines Mannes mit der Zahl der Besatzung und dann mit der Zahl der Tage auf See multiplizierte, bekam man eine Vorstellung von ihren Problemen.

Fähnrich Couzens, der diskret mit seinem Glas an der Leereling stand, zischte:»Der Kommandant, Sir!»

Bolitho drehte sich rasch um; schon diese Bewegung ließ Schweiß zwischen seinen Schulterblättern herabrinnen, der sich über dem Gürtel sammelte wie heißer Regen.

Er legte die Hand an den Hut:»Südsüdwest, Sir, voll und bei!»

Pears musterte ihn unbewegt.»Der Wind scheint während der letzten Stunde gedreht zu haben, aber nicht genug, um etwas zu verändern.»

Weiter sagte er nichts, und Bolitho ging hinüber zur Leeseite, um seinem Kommandanten das Luvdeck zu überlassen.

Pears schlenderte langsam auf und ab, anscheinend in tiefe Gedanken versunken. Woran mochte er denken, überlegte Bolitho? An seine Segelorder, an Frau und Kinder in England?

Pears blieb stehen und wandte sich ihm zu.»Lassen Sie ein paar Leute nach vorn pfeifen, Mr. Bolitho. Die Luvfockbrasse ist so schlapp wie diese ganze Wache! Das muß erheblich besser werden!»

Bolitho nickte.»Aye, Sir, sofort!»

Er gab Couzens ein Zeichen, und einen Augenblick später holten einige Seeleute kräftig die Lose der Brasse durch; jeder von ihnen wußte, daß der Kommandant sie beobachtete.

Bolitho grübelte über Pears Benehmen nach. Die Brasse war nicht loser gewesen als bei diesem schwachen und unregelmäßigen Wind zu erwarten. Wollte Pears sie nur in Bewegung halten? Er dachte plötzlich an Sparke und an sein: Notieren Sie den Namen dieses Mannes!

Die Erinnerung stimmte ihn traurig.

Er sah Quinn vom Batteriedeck heraufkommen und nickte grüßend, fügte jedoch ein rasches Kopf schütteln hinzu, um ihn vor Pears Anwesenheit zu warnen.

Quinn hatte sich rascher erholt, als Bolitho zu hoffen gewagt hatte. Er sah schon wieder frischer aus und konnte aufrecht gehen, ohne das Gesicht vor Schmerzen zu verzerren.

Bolitho hatte die große Narbe auf Quinns Brust gesehen. Wenn sein Angreifer nicht noch im selben Augenblick gestört worden wäre, hätte die Klinge Muskel und Knochen durchbohrt und wäre ins Herz vorgedrungen.

«Mr. Quinn!»

Die Stimme schnellte nach dem jungen Fünften Offizier wie ein Lasso.

«Sir!«Er eilte über das Deck, in seinem Gesicht arbeitete es, als er überlegte, was er falsch gemacht habe.

Pears betrachtete ihn grimmig.»Freut mich, daß Sie wieder auf den Beinen sind.»

Quinn lächelte erfreut.»Danke, Sir.»

Pears nahm seinen täglichen Spaziergang wieder auf.»Sie werden mit Ihren Leuten heute nachmittag das Abschlagen eines Enterangriffs üben. Dann, wenn wir diesen Kurs beibehalten, gehen Sie mit den neuen Leuten in die Takelage zum Exerzieren. «Er nickte kurz.»Das wird Ihnen besser helfen als alle Pillen.»

Couzens rief aufgeregt:»Signal vom Flaggschiff, Sir!«Er blickte angestrengt durch das große Glas und runzelte die Stirn wie ein alter Mann, während er die bunten Flaggen an der Signalrah der Resolute entzifferte. »Setzt mehr Segel, Sir!»