Pears knurrte:»Alle Mann an Deck, Royals und Leesegel setzen!«Er ging nach achtern, wo jetzt der Master auftauchte, den Bolitho schroffen Tones sagen hörte:»Mehr Segel, das ist alles, was ihm einfällt, verdammt!»
Cairns eilte herbei, als die Pfeifen die Freiwache auf ihre Stationen riefen.
«Klar zum Royals setzen! Enter auf!»
Cairns sah Bolitho und hob die Schultern.»Der Captain ist schlechter Laune, Dick. Wir setzen jeden Morgen den Kurs ab, aber ich weiß so wenig wie Sie, wo es hingeht. «Er vergewisserte sich, daß Pears nicht in Hörweite war.»Es war doch sonst immer seine Art, uns die Aufgaben zu erklären, seine Ansicht mit uns zu erörtern. Doch wie es scheint, hat unser Admiral eine andere Auffassung.»
Bolitho dachte an des Admirals jugendlichen Enthusiasmus. Vielleicht war Pears schon zu alt und stand den Dingen etwas fern?
Allerdings lag nichts Altes in seiner Stimme und in seinen Augen, als er jetzt schrie:»Mr. Cairns! Treiben Sie die Leute nach oben, lassen Sie sie auspeitschen, wenn es nicht anders geht. Ich will mich nicht noch einmal vom Flaggschiff ermahnen lassen!»
Es wurde Mittag, bis die Royals und die großen, Fledermausflügeln ähnlichen Leesegel gesetzt waren. Das Flaggschiff hatte ebenfalls alles Tuch gesetzt und wurde fast begraben unter der ungeheuren Segelpyramide.
Probyn löste Bolitho ohne seinen sonstigen Sarkasmus ab. Er bemerkte nur:»Ich sehe keinen Sinn in der ganzen Geschichte. Tag für Tag dasselbe, ohne e in Wort der Erklärung. Das wird allmählich unheimlich!»
Zwei weitere Tage sollten jedoch verstreichen, ehe jemand etwas über ihr Ziel erfuhr.
Konteradmiral Coutts kleines Geschwader behielt zunächst den südlichen Kurs bei und drehte dann nach Südosten, um bei dem jetzt günstigeren Wind Cape Fear in genügendem Abstand zu umrunden, dieses Kap mit dem so treffenden Namen: Angst.
Bolitho war gerade abgelöst worden, als er völlig unerwartet zum Kommandanten befohlen wurde.
Es fand jedoch keine Konferenz statt, der Kommandant saß allein an seinem Schreibtisch. Sein Rock hing über der Stuhllehne, Halstuch und Hemd hatte er geöffnet.
Bolitho wartete. Kapitän Pears wirkte ruhig, es schien sich also nicht um die Erteilung einer Rüge zu handeln für etwas, das er getan oder nicht getan hatte.
Schließlich blickte Pears hoch.»Der Master und jetzt auch der Erste Offizier kennen unseren Auftrag. Sie werden es seltsam finden, daß ich Ihnen jetzt Einzelheiten anvertraue, noch bevor die anderen Offiziere unterrichtet sind, aber unter den gegebenen Umständen halte ich es für angebracht. «Er nickte in Richtung eines Stuhles.»Nehmen Sie Platz.»
Bolitho setzte sich, plötzlich erregt durch Pears Vorrede.
«In New York gab es vor unserem Auslaufen Aufregung und Unruhe. Sie spielten dabei keine geringe Rolle — «, Pears lächelte knapp — ,»was mich natürlich nicht wundert.»
Bolitho spitzte die Ohren. Er hatte doch geahnt, daß die Affäre mit dem toten Mädchen noch einmal zur Sprache kommen würde, ja sogar, daß ihr Auslaufen irgendwie damit zusammenhing.
«Ich will nicht in Einzelheiten gehen, aber das Mädchen, das Sie in diesem Bordell aufgescheucht haben, war die Tochter eines hohen New Yorker Regierungsbeamten. Das Ganze hätte sich zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt ereignen können. Sir George Helpman kam mit Aufträgen von Parlament und Admiralität aus London, um zu untersuchen, womit der Krieg vorangetrieben, aus der augenblicklichen Pattsituation herausgezwungen werden kann. Wenn erst die Franzosen in voller Stärke in den Kampf eingreifen, haben wir hier nicht mehr viel zu bestellen.»
«Ich dachte, wir tun alles, was in unserer Macht liegt, Sir?»
Pears sah ihn mitleidig an.»Wenn Sie etwas mehr Erfahrung hätten, Bolitho…«Er blickte ärgerlich zur Seite.»Helpman wird es schon selbst merken. Die korrupten Beamten, diese Laffen beim
Militärgouverneur, die tanzen und trinken, während unsere Soldaten draußen die Köpfe hinhalten. Und jetzt dieser Skandaclass="underline" Die Tochter eines wichtigen Regierungsbeamten arbeitet Hand in Hand mit den Rebellen. Stets fuhr sie in einer Kutsche von zu Hause weg, zog sich Männerkleider an und traf sich mit einem Agenten Washingtons. Alle geheimen Pläne, derer sie habhaft werden konnte, hat sie verraten.»
Bolitho stellte sich die Bestürzung vor, die hierdurch ausgelöst worden war. Mit der rotgesichtigen Hure, die ihm ins Gesicht hatte spucken wollen, verspürte er jetzt beinahe Mitleid. Wenn derartig viel auf dem Spiel stand und es um so wichtige Personen ging, mußte man bei ihrer Vernehmung skrupellos jedes Mittel angewendet haben.
Pears fuhr fort:»Durch ihren Verrat waren die Brüder Tracy ständig in der Lage, unsere Bewegungen zu verfolgen. Ohne die Eroberung der Faithful, beziehungsweise Mr. Bunces gute Verbindungen zum Wettergott hätten wir niemals etwas davon erfahren. Es sind alles Glieder einer Kette. Noch etwas: Diese verdammte Hure hatte wohl ständig ein Ohr am Schlüsselloch. Jedenfalls haben die Kolonisten eine neue Festung errichtet, mit dem ausdrücklichen Auftrag, Waffen und Munition darin zu lagern und von dort aus ihre Truppen und Schiffe zu versorgen.»
Bolitho befeuchtete seine Lippen.»Und dorthin segeln wir jetzt,
Sir?»
«Das ist die Absicht, ja. Nach Fort Exeter in South Carolina, etwa dreißig Meilen nördlich von Charlestown.»
Bolitho erinnerte sich an das, was sich vor etwa einem Jahr bei einem anderen Rebellenfort südlich von Charlestown abgespielt hatte. Ein großes Geschwader mit eingeschifften Truppen war damals hingesegelt, um das Fort zu erobern, da dieses den Wasserweg nach Charlestown, dem wichtigsten Hafen südlich von Philadelphia, blockierte. Doch statt eines Sieges hatte es eine schmähliche Niederlage gegeben. Einige Schiffe waren infolge der ungenauen Seekarten bei dem Versuch, die Truppen zu landen, auf Grund gelaufen. An anderen Stellen war das Wasser für die Soldaten zu tief, um wie beabsichtigt an Land zu waten. Und die ganze Zeit über waren die Schiffe dem mörderischen Bombardement der Kolonisten ausgesetzt, die geschützt hinter ihren dicken Festungsmauern hervor feuerten. Schließlich hatte Kommodore Parker, dessen Flaggschiff am stärksten beschädigt worden war, den Rückzug befohlen. Die Trojan — auf dem Wege dorthin, um Verstärkung zu bringen — traf auf das bereits geschlagen zurückkehrende Geschwader.
Der Marine, die bis dahin weder Fehlschläge noch Niederlagen gekannt hatte, mußte dies wie eine Katastrophe erscheinen.
Pears, der Bolithos Gesicht beobachtet hatte, sagte plötzlich:»Ich sehe, Sie haben es nicht vergessen. Ich hoffe nur, daß wir später ebenfalls Gelegenheit haben werden, uns an dieses neue Abenteuer zu erinnern.»
Bolitho merkte, daß die Unterhaltung beendet war, und erhob sich. Pears fügte noch hinzu:»Ich habe Ihnen das alles wegen der Rolle erzählt, die Sie dabei spielten. Ohne Ihr Eingreifen hätten wir dieses Mädchen wahrscheinlich niemals entlarvt. Sir George Help-man hätte nicht Himmel und Hölle in Bewegung setzen können. «Er lehnte sich lächelnd zurück.»Und ohne Sir George würde unser Admiral nicht zu beweisen versuchen, daß er schafft, was andere nicht schafften. Alles Glieder in einer Kette, Bolitho, wie ich vorhin schon sagte. Denken Sie daran!»
Bolitho trat ins Freie und prallte beinahe gegen Hauptmann d'Esterre.»Dick, du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen«, scherzte er.
Bolitho zwang sich zu einem Lächeln.»Ja, das habe ich auch: meinen eigenen.»
Als Cairns später die Aufgabe erhielt, den anderen Offizieren den Einsatzbefehl in vollem Umfang zu erläutern, wunderte sich wohl selbst der phantasieloseste unter ihnen über des Admirals Kühnheit.
Noch bevor sie von Land aus gesehen werden konnten, sollte die Korvette Spite sämtliche Marineinfanteristen der beiden großen Schiffe übernehmen und bei Dunkelheit, mit mehreren Booten im Schlepptau, in die Bucht segeln. Die beiden Zweidecker Resolute und Trojan, begleitet von der Vanquisher, würden ihre Fahrt entlang der Küste fortsetzen und das Fort ansteuern, das vor einem Jahr Kommodore Parkers Angriff abgeschlagen hatte.