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Bolitho fühlte, wie seine Füße in Sand und Schlamm einsanken, je mehr sie sich der wartenden Gruppe näherten. Hier und da zeigten sich Spuren des Kampfes: ein zerbrochener Säbel, ein zerschossener Hut, ein Beutel mit Gewehrkugeln. Im tieferen Wasser sah er ein Paar Beine sanft schaukeln, als ob der dazugehörige Körper jeden Augenblick wieder auftauchen würde.

D'Esterre sagte:»Näher können wir nicht heran.»

Die beiden Gruppen standen einander jetzt gegenüber, und obgleich der Mann neben der Flagge keinen Rock anhatte, wußte Bolitho doch gleich, daß es der Offizier von gestern war. Wie um dies zu beweisen, saß der schwarze Hund neben ihm im nassen Sand und ließ die rote Zunge heraushängen.

Ein wenig dahinter stand Fähnrich Huyghue, klein und zerbrechlich gegen die großen, sonnengebräunten Soldaten.

Der Offizier hielt die hohlen Hände vor den Mund und rief mit tiefer, volltönender Stimme, die mühelos die Entfernung überbrückte:»Ich bin Oberst Brown von der Charlestown-Miliz. Mit wem habe ich die Ehre?»

D'Esterre rief:»Hauptmann d'Esterre, Marineinfanterie Seiner Britannischen Majestät.»

Brown nickte langsam.»Ich bin bereit, mit Ihnen zu verhandeln. Ich gestatte Ihren Leuten, das Fort unversehrt zu verlassen, wenn Sie die Waffen niederlegen und keinen Versuch machen, die Vorräte zu zerstören. «Er machte eine Pause und fuhr dann fort:»Andernfalls wird meine Artillerie das Feuer eröffnen und eine Evakuierung verhindern, selbst auf die Gefahr hin, daß wir dabei das Magazin in die Luft sprengen.»

D'Esterre rief:»Verstanden!«Bolitho flüsterte er zu:»Er will Zeit gewinnen. Wenn es ihm gelingt, Geschütze auf den Steilhang zu schaffen, wird er sicherlich ein paar Weitschüsse auf die Schiffe abfeuern können, wenn sie geankert haben. Es bedarf nur eines glücklichen Treffers an der richtigen Stelle. «Laut rief er wieder:»Und was hat der Fähnrich damit zu tun?»

Brown zuckte mit den Schultern.»Ich biete ihn zum Austausch gegen den französischen Offizier an.»

Bolitho sagte leise:»Verstehe. Er wird das Feuer auf jeden Fall eröffnen, möchte aber vorher den Franzosen in Sicherheit wissen, damit er bei der Beschießung weder getroffen noch von uns getötet wird.»

«Ja«, flüsterte d'Esterre, und laut sagte er:»Ich kann in diesen Austausch nicht einwilligen!»

Bolitho sah, wie der Fähnrich einen Schritt nach vorn machte, die Hände wie flehend halb erhoben.

Brown rief:»Das werden Sie noch bedauern!»

Bolitho hätte sich gern umgedreht, um zu sehen, wie weit die Schiffe jetzt waren; aber jedes Zeichen von Unsicherheit konnte sich fatal auswirken, vielleicht sofort einen neuen Frontalangriff bringen. Wenn der Feind gewußt hätte, daß die Kanonen bereits vernagelt waren, dann wäre er längst auf der Insel gewesen. Bolitho fühlte sich plötzlich sehr verwundbar. Aber wieviel schwerer mußte es für Huyghue sein. Mit sechzehn Jahren in einem fremden Land unter Feinden zurückgelassen zu werden, wo sein Verschwinden oder sein Tod kaum Staub aufwirbeln würde.

D'Esterre rief hinüber:»Ich würde lieber Ihren stellvertretenden Kommandeur austauschen.»

«Nein. «Oberst Brown streichelte beim Sprechen den Kopf des Hundes, wie um sich zu beruhigen.

Offensichtlich hat er seine Befehle — wie wir alle, dachte Bolitho.

Die Erwähnung des stellvertretenden Kommandeurs hatte lediglich beweisen sollen, daß Paget seine Gefangenen noch in Gewahrsam hatte und daß sie am Leben waren. Diese Erkenntnis konnte Huyghue vielleicht das Leben retten.

Ein Geschütz bellte plötzlich auf, seltsam hohl und wie erstickt. Die Miliz hat also ihre Kanonen bereits in Stellung gebracht, dachte Bolitho. Die Enttäuschung gab ihm einen Stich ins Herz, bis er ferne Jubelrufe hörte.

Stockdale keuchte:»Eins der Schiffe hat geankert, Sir!»

D'Esterre blickte Bolitho an und sagte:»Wir müssen gehen, ich will des Jungen Elend nicht noch verlängern.»

Bolitho rief hinüber:»Hören Sie, Mr. Huyghue, alles wird gutgehen. Sie werden bestimmt bald ausgetauscht!»

Huyghue mußte wohl bis zum letzten Augenblick an Rettung geglaubt haben. Jetzt versuchte er, ins Wasser zu laufen, und als ein Soldat ihn am Arm ergriff, fiel er auf die Knie und rief schluchzend:»Helft mir doch, laßt mich nicht zurück, bitte, helft mir!»

Selbst der Oberst schien von des Jungen Verzweiflung gerührt; trotzdem bedeutete er den Soldaten, ihn wieder den Strand hinauf zu bringen.

Bolitho und seine Gefährten wandten sich um und gingen zum Fort zurück; Huyghues verzweifelte Schreie folgten ihnen wie ein Fluch.

Die Fregatte hatte ziemlich weitab vom Land geankert, ihre Segel waren aufgegeit, und bereits strebten Boote der Insel zu.

Die kleinere Spite segelte näher heran, die Lotgasten lagen im Netz unter dem Klüverbaum und hielten Ausschau nach Riffen oder Sandbänken.

Die Schiffe sahen so sauber, so fern aus, daß Bolitho sich plötzlich vom Land angewidert fühlte, von dem schweren Geruch des Todes, der sogar noch den des nächtlichen Feuers überlagerte.

Quinn stand am Tor und studierte Bolithos Gesicht, als dieser wieder zu den anderen zurückkehrte.

«Ihr habt ihn zurückgelassen?»

«Ja. «Bolitho blickte ihn ernst an.»Ich hatte keine andere Wahl. Wenn wir ihn gegen diesen Gefangenen ausgetauscht hätten, wäre es sinnlos gewesen, überhaupt hierher zu kommen. «Er seufzte.

«Aber ich werde sein Gesicht so bald nicht vergessen.»

Paget blickte auf die Uhr.»Die ersten Verwundeten hinunter zum Strand!«Er blickte Bolitho an.»Meinen Sie, daß die Burschen noch einen Angriff versuchen werden?»

Bolitho hob die Schultern.»Unsere Schwenkgeschütze könnten sie jetzt bei Tageslicht in Schach halten, Sir, aber es würde uns die Arbeit nicht gerade erleichtern.»

Paget blickte auf, als noch mehr Jubelrufe vor dem Fort ertönten.»Einfache Seelen. «Er wandte sich ab.»Gott segne sie!»

Ein Marineinfanterist kam die Leiter vom Wall herabgeeilt.»Mr. Raye hat Soldaten und Artillerie auf dem Hügel gesichtet, Sir.»

Paget nickte.»Richtig. Wir müssen uns beeilen. Signal an Spite: schleunigst ankern und die Boote schicken. «Während Quinn mit dem Soldaten zum Turm eilte, fügte Paget, zu Bolitho gewandt, hinzu:»Das wird heiße Arbeit für Sie, fürchte ich, aber was auch geschieht, jagen Sie aufjeden Fall das Magazin in die Luft!«»Was wird mit den Gefangenen, Sir?»

«Wenn Platz und Zeit reichen, lasse ich sie auf die Fregatte bringen. «Er verzog den Mund zu einem verkniffenen Grinsen.»Wenn ich als Nachhut zurückbliebe, würde ich sie mit dem Magazin zusammen hochgehen lassen, diese verdammten Rebellen. Aber da Sie die Nachhut führen, bleibt es Ihnen überlassen.»

Die Boote der Vanquisher waren inzwischen am Strand, Seeleute hoben bereits die Verwundeten an Bord und schienen entsetzt über die geringe Zahl der Überlebenden.

Nun kamen auch die Boote der Spite und übernahmen Verwundete, um sie in Sicherheit und ärztliche Obhut zu bringen.

Bolitho stand auf dem Wall oberhalb des Tores, das Stockdale in dieser ersten, furchtbaren Nacht, als Quinn die Nerven verlor, geöffnet hatte.

Das Fort wirkte schon leerer, nur unten bei den beiden Geschützen am Damm sah er noch eine kleine Gruppe von Rotröcken. Sobald er den Befehl zum endgültigen Rückzug gab, würden Sergeant Shears und seine Leute an den Geschützen befestigte Zündschnüre in Brand setzen. Zwei kräftige Sprengladungen sollten dann die Kanonen unbrauchbar machen.

Bolitho überlegte. ob man in England jemals von all diesen Ereignissen erfahren würde, von all den kleinen, aber tödlichen Aktionen, die das Ganze ausmachten. Wenig wurde über die wirklichen Helden geschrieben, dachte er. Über die einsamen Männer der Angriffsspitze oder diejenigen, die zurückgelassen wurden, um einen Rückzug zu decken. Sergeant Shears mochte im Augenblick vielleicht dasselbe denken.