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... Soweit das Leben nur ein bloßer Prozeß zwischen Mensch und Natur ist, bleiben seine einfachen Elemente allen gesellschaftlichen Entwicklungsformen gemein. Aber jede bestimmte historische Form dieses Prozesses entwickelt die materiellen Grundlagen und gesellschaftlichen Formen weiter. Auf einer gewissen Stufe der Reife angelangt, wird die bestimmte historische Form abgestreift und macht einer höheren Platz. Daß der Moment einer solchen Krise gekommen ist, zeigt sich, sobald der Widerspruch und Gegensatz zwischen der materiellen Entwicklung und der gesellschaftlichen Form Breite und Tiefe gewinnt.

Eine Minute lang hatten sie geschwiegen und jener gedacht, die nicht zurückgekehrt waren. Dann hatten sie wieder auf Jubel umgestellt, ihn durch das Glas wie ein seltenes Tier betrachtet, und schließlich waren sie abgezogen. Das Fernsehen war einige Male gekommen, Regisseure, Fotografen, Beleuchter, die Kameras hatten ihn mit starren Augen eingekreist, später hatte man ihm sein Bild auf den Titelseiten gezeigt, wie er am Fenster saß, höflich lächelnd, den Telefonhörer am Ohr. So wurde er der Freien Welt bekannt.

Inzwischen schien ihn die Öffentlichkeit vergessen zu haben. Nur die Offiziere erschienen täglich, die Ärzte, Psychologen, Soziologen, die Biologen und Physiker, die schweigenden Männer vom IKD, stets kamen sie in Rudeln, setzten sich vor den Lautsprecher, klopften auf die Mikrophone, schalteten ihre Geräte ein, und er saß im Schaufenster, mit Elektroden am Schädel, an der Brust und am Rücken, mit Hygrosonden an den Handflächen, sie fragten, er antwortete, und ihre starren Mienen verrieten nicht, ob sie ihm glaubten. Es bestand auch keine Notwendigkeit dafür, ihm zu glauben oder nicht zu glauben; an den Lügendetektoren konnten sie ablesen, ob er die Wahrheit sprach. Ja, noch mehr: ob er befangen war oder nervös, ob er sich ängstigte, ein schlechtes Gewissen hatte oder etwas verschwieg. Und wenn die Befragung vorbei war, eher ein Verhör, dann steckten sie ihre Notizblöcke ein, schoben die Kugelschreiber in die Taschen der Uniformjacken, reckten sich und gingen hinaus. Noch keiner hatte ihn gegrüßt.

Zuerst hatte er es geduldig ertragen, später ließ er eine leichte Gereiztheit erkennen, zu der er sich berechtigt glaubte, doch dann begann er an seinen Rechten zu zweifeln und bekam Angst davor, sie könnten ihn noch länger in seinem Käfig festhalten, und er wurde wieder höflich, hilfsbereit, zuvorkommend, aber sein Verdacht erhärtete sich bis zur Gewißheit: 40 Tage sollte die Quarantäne dauern – jetzt waren es 43 Tage. Er war ein Gefangener.

*

Sie setzten hart auf, aber nicht härter als sonst, die Federn fingen den Impuls ab, sie schwangen auf und nieder. Der Bremsmechanismus rüttelte sie durch, die Wände klappten hoch...

Sie sprangen, rannten los, zehn Meter weit, warfen sich zu Boden... es blieb still. Der Boden, den sie durch die Scheiben ihrer Helme unter sich sahen, bestand aus Grus von glasigen Massen – ähnlich dem Bruch von Sicherheitsglas. Es gab weder Gras noch Bäume, weder Tiere noch Menschen – außer den Angehörigen der Landetrupps. Auch die Geigerzähler schlugen nicht aus. (Das war das wichtigste, hier lag das große Risiko der Aktion.)

Sie mußten liegen bleiben, bis das Manöver beendet war. Die Fähren setzten dicht nebeneinander auf, und man konnte nicht erwarten, daß alle glatt landeten. Bei den Übungen hatte der Mechanismus gelegentlich versagt, und einzelne Gleiter waren wie Steine zu Boden gefallen. (Nur wenige wußten, daß sie unbemannt gewesen waren; es handelte sich um eine psychologische Maßnahme – die Vorbereitung auf den Ernstfall, bei dem nicht unbedingt alles glatt gehen mußte.)

Diesmal ging alles glatt. Der weißblaue Himmel war von schwarzen Punkten übersät, die zuerst schnell, dann langsamer tiefer sanken. Von jenen Fähren, die in der Nähe herabkamen, hörte man das Sausen der beiden Kränze gegenläufiger Flügelräder, die durch den Aufwind bewegt wurden und die gewonnene Energie über ein Düsenaggregat in Auftrieb umsetzten.

Nach fünf Minuten war alles beendet. Sie hatten die Erlaubnis bekommen aufzustehen – es drohte keine unmittelbare Gefahr – und nun lungerten sie in ihren unförmigen Kombinationen untätig herum. Nur ein Trupp entwickelte roboterhafte Geschäftigkeit, eine Fernsehkamera wurde aufgestellt, der Boden gelockert, und dann ordneten sich 50 Soldaten in Reih und Glied.

Es knackte im Helmlautsprecher. »Das kann doch nicht wahr sein – der Marinechor in Paradeuniform!« Das war Tibor.

»Ein Strafpunkt für L 10/6. Funkgeräte nur für Dienstgebrauch und in Notfällen.«

Und dann kamen die denkwürdigen zehn Minuten, in denen die Freie Welt von der Aktion erfuhr.

Sondermeldung: Heute, drei Uhr früh, begann das bedeutendste Unternehmen in der Geschichte der Freien Welt. Die vereinigten Verbände haben eine Landeaktion begonnen, die um vier Uhr sechsundzwanzig planmäßig abgeschlossen war. Das Ziel ist die Integration der Zone Null, die Säuberung der verseuchten Landstriche. Ein Team aus Angehörigen der Wissenschaftlichen Akademie, bestehend aus Strahlenmedizinern, Humangenetikern, Virologen, Geologen, Botanikern und Ökologen, hat einen Plan zur Sanierung und späteren Besiedlung ausgearbeitet. Die Bevölkerung, die noch unterdrückt und hermetisch abgeschlossen in den Städten lebt, wird vom Joch der jetzigen Machthaber befreit werden. Die Vorbereitungen für die Umschulung sind getroffen.

Über Rundfunk und Fernsehen wird laufend über das Unternehmen berichtet werden. Wir schalten um zur ersten Übertragung.

CS: Es ist ein stolzer Augenblick für die Menschheit: Bald wird es auf der Erde keinen Zwang mehr geben. Der Preis dafür ist hoch – die Gefahr, der sich unsere Truppen aussetzen. Doch die schwerste Hürde ist genommen, es gibt keine Gegenwehr. Dort, wo sonst jeder Versuch, die Grenze zu überschreiten, rücksichtslos niedergeschlagen wurde, schweigen heute die Waffen. An mehreren Stellen des Sperrgebiets gleichzeitig gelang die Landung. Der Augenblick rückt näher, da wir den restlichen Teil der Welt, der sich unseren Bemühungen zur Verständigung bisher entzogen hat, in Besitz nehmen werden. Wir schalten um in den Distrikt K ul U 16. Dort wurde soeben eine Fernsehkamera aufgestellt, die den entscheidenden Akt übermitteln wird. Wir blenden uns in die direkte Verbindung zwischen der Befehlsstelle und dem Landekommando ein:

S: »... keine Verluste, eine Bilderbuchlandung.«

HQ: »Radioaktivität?«

S: »Geringfügig – wir messen laufend.«

HQ: »Krankheitskeime? Viren?«

S: »Schwer festzustellen. Bis jetzt nichts Auffälliges. Aber wir behalten die Schutzanzüge an.«

HQ: »In Ordnung. Eben hat sich das öffentliche Funksystem zugeschaltet. Vielleicht schildert ihr einmal, wie man sich fühlt, wenn man als erster einen neuen Teil der Welt betritt.«

S: »Wir sind stolz! Und ergriffen! Wir alle wissen, was das bedeutet. Die schwerste Arbeit steht freilich noch bevor – es wird lang dauern, bis dieses Land besiedelt ist. Aber wir freuen uns, daß wir einen Beitrag dazu geleistet haben.«

HQ: »Habt ihr keine Bedenken wegen der Verseuchung?«

S: »Alle sind ruhig. Die Radioaktivität ist nicht höher als normal. Die Schutzanzüge sind gut; sie lassen keine Keime durch. Vorderhand atmen wir noch mitgebrachten Sauerstoff, doch wenn die ersten Analysen negativ sind – also nichts Gefährliches festgestellt ist –, schalten wir auf Filter um. Das Licht ist außerordentlich grell, aber das Glas unserer Helme absorbiert alle schädliche Strahlung. Sonst tut sich hier nichts Besonderes, öd ist es hier und langweilig. Keine Mädchen« (lacht).