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Dan wagte es in dieser Nacht nicht mehr, seine Arbeit fortzusetzen. Gab es eine Erschütterung in der Wand, wenn er daran kratzte, hatte jemand die leisen Geräusche gehört? Hatte er sich verdächtig gemacht? Oder beurteilte er sie falsch? (Er merkte, daß er immer wieder darüber nachgrübelte, wie er in den Augen seiner früheren Kollegen erscheinen mußte. Konnte ihm deren Meinung überhaupt noch etwas bedeuten?) Haßten sie ihn? Fürchteten sie ihn? War er ihnen gleichgültig?

War es wirklich nur eine Routineüberprüfung, ein Sicherheitstest, mit voraussehbaren Ergebnissen? Oder wollten sie etwas Neues hören?

Und wenn sie einen Schimmer von Teilnahme durchblicken ließen – galt sie ihm oder war es die geheime Furcht, daß sich ihre Sicht verzerren, ihre festgefügte Meinung brüchig werden könnte?

Wie so oft grübelte er über seine Situation nach. Gewiß hatte er sich verdächtig gemacht – durch seine Antworten, durch seine Geschichte. Sie verstanden ihn nicht, und das durfte man ihnen nicht übelnehmen; es waren nüchterne Politiker und Militärs, Wissenschaftler, kühle Rechner, Leute ohne Phantasie, starr im Denken, auf ihre Linie eingeschworen. Es war klar, daß er ihnen suspekt vorkam – sie konnten nicht verstehen, daß man lernen kann, neue Standpunkte beziehen, andere Perspektiven gewinnen. Er war ihnen unheimlich, ein Wesen, aus einer fremden Welt zurückgekehrt, mit dem Makel behaftet, das diese Welt in sich trägt. Sie verstanden ihn nicht, sie trauten ihm nicht, und er konnte froh sein, wenn sie noch nicht geargwöhnt hatten, er könnte fliehen.

In ihren Verhören hatten sie seine Geschichte von Anfang bis Schluß durchgekaut, unbewegt und unpersönlich wie stets, aber zuletzt doch manchmal merklich aggressiv, immer mehr aufs Weltanschauliche zielend. Allmählich lief es darauf hinaus, daß man seine Linientreue prüfte, und er wußte, daß er schon jetzt verloren hatte. Vielleicht brauchten sie eine Rechtfertigung für das, was sie vorhatten.

In der nächsten Nacht drang die Spitze der Schere durch. Er kratzte noch einige Male die Rille entlang, vertiefte sie soweit, daß er Loch um Loch nebeneinander setzen konnte. Als er so weit war, daß es nur noch einiger trennender Schnitte bedurfte, um die Platte völlig herauszuheben, hielt er inne und wartete. Er wollte sich noch ein wenig auszuruhn. Zuerst fürchtete er einzunicken, doch dann merkte er, daß sein Herz schlug, daß er viel zu aufgeregt war, um zu schlafen. Er überlegte, ob er eine Beruhigungstablette nehmen sollte, doch er verzichtete darauf – die Erregung machte ihn hellhörig und wach, und das kam ihm zugute. Immer wieder sah er auf die Leuchtziffern seiner Uhr. Um vier Uhr früh zog ein neuer Posten auf, ein Mann, der die Gewohnheit hatte, die Station langsam zu umrunden.

Er wartete noch zwanzig Minuten, dann zog er sich an, schob den Tisch beiseite, löste die letzte Verbindung zwischen der ovalen Platte und der übrigen Wand. Wieder wartete er – wenn der Posten an der andern Seite verschwand, war es Zeit für ihn. Jetzt, da er seiner Freiheit so nahe war, fühlte er sich wieder so gut wie schon lange nicht mehr – gesund, kräftig, unternehmungslustig. Skrupel, aus der Quarantänestation auszubrechen? Niemand glaubte noch an gefährliche Krankheitskeime. Das, was ihn für andere gefährlich machte, war sein Wissen.

Der Posten war nicht mehr zu sehen, nur noch sein Schatten auf dem Betonboden, dann nichts mehr.

Dan durchstieß die Stege. Er zog die Platte zu sich herein, lehnte sie geräuschlos gegen die Stuhllehne, er legte sich auf den Bauch, kroch hindurch. Von außen griff er noch einmal hinein, zog den Tisch vor... vielleicht bemerkten sie die Öffnung nicht, suchten ihn zunächst innerhalb der Station...

Mit seinen leichten Schuhen bewegte er sich lautlos. Er brauchte keine zehn Sekunden, um bis zum Tor zu laufen. Es war nicht verschlossen.

Er sah sich um. Der Posten befand sich noch auf der gegenüberliegenden Seite, im Hintergrund der Halle.

Dan öffnete das Tor einen Spalt, schlüpfte hindurch, zog es hinter sich zu... vor ihm lag eine weite ebene Fläche, die Schatten von großen, quaderförmigen Bauwerken zeichneten sich gegen den Himmel ab. Im Osten graute der Morgen.

Das Gebäude der militärwissenschaftlichen Akademie; er kannte jeden Stein, jeden Winkel. Er wußte, wie man hier herauskam, ohne gesehen zu werden.

Er atmete die frische, kühle Luft einige Male tief ein und lief dann geduckt den Schatten einer Mauer entlang.

*

CS... bei einer ferngesteuerten Bohrung in der Zone Null wurden in einer Tiefe von 4600 Metern erdölhaltige Sande angefahren. Es besteht gute Aussicht, daß sich das Terrain als fündig erweist. Auch die Kultivierungsarbeiten gehen planmäßig voran. Ein Trupp von Biologen, der für kurze Zeit mit Schutzanzügen abgesetzt wurde, stellte die Ausbreitung von Flechten fest – erste Anzeichen einer Besiedlung durch Pflanzen und damit einer Urbarmachung des Bodens. Daran zeigen sich die ersten positiven Auswirkungen der Klimatisierungsmaßnahmen, insbesondere der Erhöhung der Feuchtigkeit. Nach wie vor ist der Aufenthalt in der Zone Null für Menschen gefährlich und deshalb verboten.

Geschwächt durch die Folgen radioaktiver Verbrennungen ist heute der letzte Überlebende des Expertenteams unter Oberst Kunsky in der Isolier Station der Akademie der Infektion durch einen unbekannten Virus erlegen, die er sich während der Forschungsarbeiten in der Zone Null zugezogen hatte. Die Verbreitung des Virus wurde verhindert, Grund zur Besorgnis unter der Bevölkerung besteht nicht.

Basisliteratur

K. Alsleben, W. Wehrstedt (Herausgeber): Praxeologie, Schnelle-Verlag, Quickborn, 1966

H. Frank: Kybernetik und Philosophie, Verlag Duncker und Humblot, Berlin, 1966

E. H. Graul, H. W. Franke: Futurologie und Medizin (Artikelfolge), Deutsches Ärzteblatt, Köln, 1968/69

E. H. Graul (Herausgeber): Gegenwartslexikon 36/1969

A. Kaufmann: Entscheidungstechnik im Management, Kindler-Verlag, München, 1968

G. Klaus (Herausgeber): Wörterbuch der Kybernetik, Dietz-Verlag, Berlin, 1968

H. M. Mirow: »Die Kybernetik als Grundlage einer allgemeinen Theorie der Organisation«, Dissertation Universität Frankfurt/Main, 1968

H. R. Rapp: Mensch, Gott und Zahl, Furche-Verlag, Hamburg, 1967

Sammelband: Information, Computer und künstliche Intelligenz, Umschau-Verlag, Frankfurt/Main, 1967

K. Steinbuch: Automat und Mensch, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, 1965

N. Wiener: Mensch und Menschmaschine, Metzner-Verlag, Frankfurt/Main, 1952