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Trotz dieser Aufregungen kehrt langsam der Alltag zurück und ich verdränge mögliche schlechte Nachrichten. Irgendwie wird sich auch dieses Problem lösen lassen.

Ein paar Wochen vor Weihnachten laufen meine Personalverkäufe prächtig, da sich die Produkte hervorragend als Geschenke eignen. Mein Chef ist mit mir sehr zufrieden und least für mich einen schönen neuen Wagen, weil mein alter Ford immer häufiger mitten in der Stadt stehen bleibt, wodurch sich schon etliche Terminprobleme ergeben haben. Bei jeder Autopanne jedoch bin ich beeindruckt, wie schnell und unkompliziert geholfen wird. Entweder hält ein anderer Autofahrer oder man ruft den Pannendienst und erhält innerhalb kürzester Zeit Hilfe. Wie anders waren doch die Probleme in Kenia! Da standen wir oft stunden-, wenn nicht tagelang draußen im Busch und niemand kam vorbei, um zu helfen. Mit der Zeit musste ich lernen, allein am Motor herumzubasteln oder die ewigen Reifenpannen selbst zu reparieren. Nur wenn der Landrover einmal im Schlamm oder in tiefem Sand stecken blieb, konnten mir die Einheimischen helfen, indem sie im Busch Holz für eine harte, griffige Unterlage schlugen. Stolz fahre ich mit dem neuen Wagen zu meiner Arbeitsstelle. Über Nacht hat es geschneit und die Straßen sind voller Matsch. Ich fühle mich sicher, da mir mein Chef beteuert hat, dass ich mit den Allwetter-Reifen auch bei winterlichen Verhältnissen fahren könne. Dennoch fahre ich vorsichtig und langsam. In einer Rechtskurve jedoch gehorcht mir der Wagen nicht mehr, rutscht auf dem matschigen Schnee einfach geradeaus und bleibt erst nach dem Aufprall auf ein geparktes Autos stehen. Ich bin geschockt. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Unfall. Dabei bin ich weiß Gott in Kenia die verrücktesten Wege gefahren, auf die sich sonst kaum jemand wagte. Ich kann mir nicht erklären, wie das passieren konnte, zumal ich um die Kurve förmlich geschlichen bin. Das schöne neue Auto ist an der vorderen Seite schwer beschädigt und das geparkte Auto sieht auch nicht besser aus. Es öffnen sich verschiedenen Wohnungstüren und Fenster und bald steht eine aufgebrachte Frau vor ihrem neuen, nun aber demolierten Auto. Alles tut mir schrecklich leid und ich muss ständig daran denken, dass mir mein Chef den Kopf abreißen wird. Als der Mann der Geschädigten erscheint, der sich, welch eine Ironie, als Karosseriespengler erweist, sieht er gleich, dass ich keine Winterreifen auf dem Wagen habe. Ich glaube, ich höre nicht richtig und werde langsam hysterisch. Er beruhigt uns zwei Frauen und meint: »So schlimm, wie alles aussieht, wird es schon nicht sein.« Auch mein Chef reagiert am Telefon gelassen und sagt, er schicke einen Abschleppwagen vorbei. So endet meine erste Woche mit dem neuen Wagen. Ich erhalte einen Ersatz, bis mein Auto repariert ist. Den Rest würden die Versicherungen erledigen, beruhigt mich mein Chef. So einfach geht das hier.

Beim Organisieren und Durchführen der Personalverkäufe komme ich immer mehr mit anderen Menschen zusammen. Auch werde ich öfter von dem einen oder anderen Mann zum Essen oder auf einen Drink eingeladen. Bisher habe ich immer abgelehnt. Doch nun habe ich jemanden getroffen, der mir gefällt, und ich nehme seine Einladung an. Wir verabreden uns zum Essen und so gehe ich zum ersten Mal seit meiner Rückkehr aus Kenia mit einem Mann aus, während Napirai bei meiner Mutter übernachtet. Schon während des Essens, beim Erzählen, merke ich, dass mein Vorleben nicht auf allzu viel Begeisterung stößt. »Ach, du hast auch schon ein Kind?«, ist eine der spannenden Bemerkungen seinerseits, wobei der Tonfall alles sagt und der Abend entsprechend schnell endet. Ein anderes Mal muss ich mir anhören: »Aha, du stehst wohl eher auf Schwarze?« Auch wenn ich erzähle, dass ich nur einen afrikanischen Mann kenne, nämlich meinen Ehemann, bleibt doch ein komischer Beigeschmack hängen. Einmal kommt gar die Frage: »Hast du schon einen Aids-Test gemacht?« Ich bin jedes Mal total ernüchtert und so enden die »Affären« meist, bevor sie richtig beginnen können. Bald bin ich es leid, nur wegen eines Abendessens mit oft unerfreulicher Unterhaltung meine Tochter zum Übernachten wegzugeben. Eher genieße ich es, für Freundinnen zu kochen und unsere Feste zu Hause zu feiern. Oder ich treffe mich ab und zu mit früheren Kolleginnen und Kollegen aus Rapperswil, wenn dort in einem Restaurant Live-Musik gespielt wird. Da kann ich Napirai mitnehmen, worüber sie sich immer freut. Sie liebt es, inmitten vieler Menschen zu sein, und im Restaurant steht sie direkt vor der spielenden Band und tanzt fröhlich vor sich hin. Die Leute amüsieren sich über sie. Manchmal geht sie von Tisch zu Tisch und schaut die Menschen einfach nur an. Wenn sie wieder an unseren Platz zurückkommt, bringt sie oft ein kleines Geschenk mit. Ich muss lachen, obwohl ich mich manchmal frage, ob diese Sympathie ihrer Hautfarbe gilt oder der Tatsache, dass sie so neugierig und fröhlich ist. Sitzen wir aber um elf Uhr nachts immer noch zufrieden im Lokal, höre ich hin und wieder die Bemerkung: »Ein Kind gehört um diese Zeit ins Bett!« Ja, und die Mutter wohl gleich mit, denke ich mir. Meine Tochter ist glücklich, bei mir zu sein und freut sich wie ich an der Musik und unserem Zusammensein. Außerdem können wir am Wochenende ausschlafen. Im Süden nehmen die Menschen die Kinder auch mit und bekanntlich sind dort die meisten Leute lustiger. Ich lasse mich nicht beeindrucken und bleibe mit meinem Kind sitzen, bis ich merke, dass sie wirklich müde wird. Zufrieden fahren wir dann nach Hause. Bei einem der nächsten Gruppen-Treffen erwähne ich diese Bemerkungen und sofort entwickelt sich eine rege Diskussion. Viele verunsicherte, allein stehende Frauen haben nicht genügend Mut und bleiben deshalb mit ihren kleinen Kindern allen Veranstaltungen fern, bis ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Nein, ich lebe und erziehe meine Tochter so, wie es mir mein Gefühl sagt.

Wieder stecken wir mitten in der Vorweihnachtszeit und alles ist tief verschneit. In unserer Wohnsiedlung werde ich gefragt, ob ich mit Napirai den Nikolaustag in einer Waldhütte mitfeiern möchte. Es werde ein Nikolaus mit Esel und allem, was dazu gehört, vorbeikommen. Jeder beteiligt sich mit einem geringen Betrag. Ich sage zu und bin gespannt, wie Napirai darauf reagieren wird. Zehn Erwachsene treffen sich mit ihren Kindern in der Hütte. Alles ist festlich dekoriert und gedeckt mit Nüssen, Mandarinen, Kerzen und Wein. Nach etwa einer Stunde hören wir das Bimmeln von Glöckchen und dann ein Poltern an der Tür. Die Kinder sind aufgeregt und springen zu ihren Eltern. Napirai schaut mich überrascht an und dann wieder wie gebannt auf die Tür. Es erscheinen zwei rote Nikoläuse und ein schwarz gekleideter Schmutzli, der Knecht Rupprecht, mit Rute. Einen Moment lang wird es still in der Hütte. Erst als wir Erwachsenen die Nikoläuse begrüßen, fangen die Kinder an zu lachen oder sie verkriechen sich schnell bei ihren Eltern. Napirai staunt und fragt: »Mama, wer ist das?« Spielerisch erkläre ich ihr das Ganze und dann hören wir uns die Sprüche für die jeweiligen Kinder an, bevor sie ihre gefüllten Säckchen beim Nikolaus abholen können. Napirai aber will nur zu dem schwarz gekleideten Mann hin. Sie hat keinerlei Interesse an den roten Nikoläusen, sondern stellt sich vor den Knecht Rupprecht hin und versucht, ihm in den aufgeklebten langen, schwarzen Bart zu fassen. Die Situation ist für alle so komisch, dass ein Riesengelächter entsteht. Die meisten Kinder machen einen Bogen um diesen Mann, und Napirais Interesse gilt ausschließlich ihm. Wir lachen Tränen. Mir ist klar, dass dies etwas mit Afrika zu tun hat. Sicher erinnert sie sich an ihre afrikanische Herkunft und immer noch sind ihr dunkle Menschen vertraut.