In meiner Arbeit gibt es in Zürich schon bald keine Versicherung oder Bank mehr, bei der ich noch nicht vorstellig war. In Basel habe ich es sogar geschafft, am gleichen Tag einen Termin bei der Chemiefirma Sandoz und am Nachmittag bei Hoffmann La Roche zu bekommen. Das muss mir erst mal jemand nachmachen, denke ich zufrieden. Mitte März besuche ich spontan eine Bank, mit der ich ausgemacht hatte, dass ich alle drei Monate vorstellig werden kann. Die zuständige Einkäuferin hatte auch immer eine ganze Menge der teuren Markenfoulards bestellt. Ich betrete das Gebäude und frage nach ihr. Ganz überrascht erscheint sie und sagt: »Ja, wissen Sie denn nicht, dass ich vor drei Wochen in Ihrem Laden war und dort die Bestellung aufgegeben habe? Ich brauchte schnell einige Tücher und habe versucht, Sie telefonisch zu erreichen. Man hat mir angeboten, doch gleich selber im Geschäft vorbeizuschauen und deshalb habe ich dort alles ausgesucht und bin wieder für ein paar Monate eingedeckt.« Das erstaunt mich, denn davon habe ich nichts gewusst. Ich lasse mir aber nichts anmerken, verabschiede mich freundlich und verlasse die Bank. Zu Hause schaue ich meine Abrechnungen durch, finde aber keinen Vermerk über die Bestellung. So rufe ich am nächsten Tag meinen Chef an und frage nach. Erst versucht er, sich herauszuwinden, aber dann erklärt er, diese Bestellung gehe mich nichts an, weil die Dame im Geschäft nachbestellt hätte und nicht bei mir. Ich bin anderer Meinung, da es sich um eine von mir aufgebaute Kundschaft handelt und ihre Nachbestellungen meinem Umsatzkonto gut geschrieben werden müssten. Schließlich machen die Provisionen einen Bestandteil meines Lohnes aus. Er sieht das nicht ein und ich werde immer wütender, da ich annehmen muss, dass Ähnliches schon mehrmals geschehen ist. Es entsteht ein unschönes Wortgefecht. Ich kann nicht begreifen, dass er so uneinsichtig ist und stattdessen versucht, mir meine Kundschaft abspenstig zu machen. Da habe ich mit den Personalverkäufen zusätzlich oft bis in die Nacht hinein gearbeitet und nun fällt er mir derart in den Rücken. Ich bin furchtbar enttäuscht und fühle mich auf unverschämte Weise ausgenützt. So etwas kann ich nur schwer ertragen, reagiere dementsprechend und kündige auf der Stelle. »Ja, ja, dann machen Sie das doch!«, lacht er höhnisch und legt den Hörer auf. Nach kurzem Überlegen wird mir klar, dass er mich wirklich loswerden möchte, da ich ihm alle Kontakte hergestellt habe und er mein Gehalt nun einsparen könnte. Ich bin so wütend und enttäuscht, dass mir die Tränen hochsteigen. Verzeihen kann ich vieles, aber nicht, wenn mich jemand ungerecht behandelt. Also schreibe ich nur acht Monate, nachdem ich so erfolgreich meinen ersten Job begonnen hatte, meine Kündigung. Ich werde wieder etwas finden, davon bin ich überzeugt. Ein Zeugnis muss er mir auf jeden Fall schreiben und wehe, wenn das nicht korrekt ist! Schließlich haben sich eine ganze Reihe von Firmen, bei denen ich Personalverkäufe durchgeführt habe, schriftlich für die gute Organisation und meinen persönlichen Einsatz bedankt. Eine Woche später bringe ich den Wagen und die Kollektion zurück, nicht ohne vorher ausgemacht zu haben, dass ich mein ausstehendes Gehalt erhalten werde. Außerdem möchte ich mein Arbeitszeugnis vorab zum Gegenlesen bekommen. Es klappt erstaunlich gut und so trennen wir uns mit wenigen Worten. Obwohl ich in meinem ersten Job bis zu diesem Zwischenfall eine gute und glückliche Zeit hatte, bin ich froh, die Konsequenzen gezogen zu haben. Denn mir ist klar, dass es später ein noch unschöneres Ende genommen hätte.
Jetzt stehe ich also ohne Auto und ohne Arbeit da, aber mit einer Wohnung, die es neben allem anderen zu zahlen gilt. Am Abend fahre ich nach Rapperswil. Ich brauche Ablenkung und muss nachdenken.
Napirai schläft das erste Mal bei den Nachbarsmädchen, was ihr sehr gefällt. Im Laufe des Abends treffe ich alte Bekannte und erzähle von meiner Kündigung. Einer von ihnen gibt mir den Tipp, bei einer ihm bekannten Firma, die Werbeartikel vertreibt, nachzufragen. Wenige Tage später treffe ich mich mit den zuständigen Leuten. Das Angebot ist nicht überwältigend, doch es ist besser als nichts und man könnte einiges daraus machen. Es handelt sich um verschiedene Werbeprodukte wie bedruckte Feuerzeuge, Kugelschreiber, Mappen etc. In Bezug auf die Kundschaft sind keine Grenzen gesetzt. Jede Firma ist ein potentieller Kunde. Aber ich muss wieder ganz von vorne anfangen, da in meinem Gebiet noch keine Kundschaft aufgebaut ist.
Eine Woche nach unserem Gespräch beginne ich mit der neuen Arbeit. Es erweist sich als nahezu unmöglich, Termine zu bekommen. Also klappere ich mit einem geleasten Auto Handwerksbetriebe, Büros, Restaurants etc. ab und versuche, die Artikel mit der entsprechenden Firmenwerbung zu verkaufen. Da unsere Preise eher im unteren Bereich liegen, läuft es recht gut und viele bestellen gleich an Ort und Stelle. Nach zwei bis drei Monaten hat es sich herumgesprochen, dass ich gute und brauchbare Sachen anbiete. Deshalb werde ich weiterempfohlen und bald rufen die ersten Kunden von sich aus an. In dieser Branche ist es unkomplizierter, Kontakt zu den Leuten zu finden. Es kommt vor, dass ich bei einer Firma hineinschneie, in der die Angestellten gerade Pause haben. Dann werde ich fröhlich begrüßt und zum Kaffee eingeladen, während sie sich die Produkte anschauen. Der Verkaufsstil unterscheidet sich sehr von dem in meinem vorherigen Job, doch ich fühle mich wohl und lerne viele Menschen kennen.
Mein Bekanntenkreis hat sich mittlerweile beträchtlich erweitert, vor allem kenne ich eine Reihe mir sympathischer Frauen, und es fällt mir nicht schwer, Begleitung für eine abendliche Unternehmung zu finden. Am liebsten gehe ich tanzen. In den Lokalen beobachte ich die Menschen, wie sie dicht gedrängt um die Bars stehen oder sitzen und sich bei der lauten Musik kaum unterhalten können. Mir scheint, alle warten auf etwas. Zwischen mir und der Menschenmenge ist eine unsichtbare Wand. Ich habe das Gefühl, ich sei da, aber nicht dabei. Ich fühle mich nicht wie mittendrin, sondern eher wie außen vor. Ich kann mir dieses Empfinden selbst kaum erklären, da mir viele Leute vorgestellt werden und sich hin und wieder sogar ein Flirt entwickelt. Aber es erscheint mir alles unwirklich und oberflächlich. Andererseits staune ich und bin zeitweise fasziniert, wie sich die Szene und die Musik verändert haben.
Wenn ich dagegen an die Busch-Disco denke, die ich ein paar Mal in Barsaloi veranstaltet habe, muss ich beim Vergleich fast lachen. Da genügte der hintere Teil unseres Ladens, aus dem wir die Maissäcke entfernten. Ein Transistorradio, das an die Autobatterie des alten Landrovers angeschlossen wurde, war die einzige Musikquelle. Es gab Cola, Bier und gegrilltes Ziegenfleisch. Die Leute, ob jung oder alt, strömten in diese improvisierte Disco. Die meisten waren zum ersten Mal bei solch einer Veranstaltung und staunten wie große Kinder. Sogar die Alten hockten in ihre Wolldecken gehüllt am Boden und lachten. Nur die Frauen blieben draußen, was aber die Männer nicht vom ausgelassenen Tanzen abhielt. Alle waren glücklich und es gab ein Gefühl von »Miteinander«. Damals empfand ich diese Mauer zwischen mir und den anderen nicht. Es war ein tiefes Erleben, hier erscheint es mir jedoch wie ein weiteres Konsumieren. Trotzdem gehe ich aus, lasse mich von der neuen Musik berauschen und tanze manchmal stundenlang.
Napirai wächst heran und ist ein sehr aufgewecktes und fröhliches Mädchen. Wir haben eine tiefe Beziehung zueinander, obwohl ich sie schon seit langem nicht mehr stille. Aber wir teilen uns immer noch das Schlafzimmer und das große Bett.
An einem Wochenende fahre ich mit ihr nach Biel, um mein ehemaliges Brautkleidergeschäft, das ich vor meiner Auswanderung nach Afrika einer Freundin verkauft hatte, aufzusuchen. Während der Fahrt überlege ich hin und her, ob ich auch Marco, meinen damaligen Lebenspartner, den ich wegen Lketinga verlassen hatte, anrufen soll. Weil ich mich bis Biel nicht entscheiden kann, parke ich zuerst in der Bieler Altstadt, wo sich meine ehemalige Boutique befindet. Meine Nachfolgerin Mimi weiß nichts von meiner Rückkehr, da wir uns schon vor längerer Zeit aus den Augen verloren haben. Ich steige die Treppen zum Laden hinunter und bemerke, dass sich einiges verändert hat. Im Geschäft stehen zwei Kundinnen, mit denen sich Mimi unterhält. Als sie zu uns aufschaut, entweicht ihr ein ungläubiges: »Non, c'est pas vrai! Corinne, bist du es wirklich? Ich glaube es nicht! Wie kommst du denn hierher?« Irritiert und fassungslos starrt sie mich an, während ich sie mit einem Kuss begrüße.