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Ja, und heute lesen Millionen Menschen unsere Geschichte und ich bin glücklich und stolz, dass ich ihnen damit Freude und Mut schenken kann.

Im Mai 2001 verbringe ich ein paar Tage in München, um das Drehbuch zu besprechen, das die Grundlage für einen Kinofilm über mein Leben in Kenia sein soll. Die Verhandlungen und Gespräche über diesen Film ziehen sich nun schon lange hin. Zum einen geht es der gesamten Filmbranche seit einiger Zeit nicht besonders gut, zum anderen stellen sich immer wieder Schwierigkeiten bei der Regie und vor allem bei der Besetzung der beiden Hauptfiguren, Lketinga und mir, ein. Für mich ist es manchmal nicht einfach, ja zuweilen fast ein Schock, im Drehbuch Szenen zu lesen, die nicht meinem Buch und den eigenen Erlebnissen in Kenia entsprechen. Die Dramaturgie eines Films folgt offensichtlich anderen Gesetzen als die eines Buches und auch in Zukunft wird es noch viel Arbeit und Gespräche geben, um allen an der Geschichte Beteiligten einigermaßen gerecht zu werden. Ich kann nur hoffen, dass, wenn ein Teil meines Lebens eines Tages auf der Kinoleinwand erscheint, Napirai und ich stolz sein können. Schließlich müssen sie und ich damit leben. Doch bin ich voller Zuversicht, dass es gelingen wird, einen schönen, authentischen Film zu drehen. Wir sind gespannt auf diesen Moment. Mit Sicherheit jedoch wird es eine seltsame Erfahrung sein, wenn Fremde mein Leben nachspielen werden.

Zukunftspläne

Unsere kleine Familie wächst immer mehr zusammen. Mittlerweile haben wir einen gemeinsamen Urlaub mit allen Kindern auf der Insel Bali verbracht, wovon die Mädchen heute noch schwärmen. Manchmal verbringen wir ein Wochenende mit ihnen auf einem kleinen Campingplatz. Dies sind für uns alle erholsamen Tage und wir freuen uns immer wieder aufs Neue, wenn Markus' Töchter bei uns das Besuchswochenende verbringen dürfen.

Während sich die Anzahl der im deutschen Sprachraum verkauften Taschenbücher der Millionengrenze nähert, mache ich mir immer intensiver Gedanken, wie meine weitere berufliche Zukunft aussehen könnte. Inzwischen habe ich wieder Kontakt zu Anna aus der Gruppe der allein Erziehenden aufgenommen und besuche sie des Öfteren auf ihrem Bauernhof. Ihre Art zu leben beeindruckt mich. Da ich mich bei ihr immer sehr wohl fühle und auch am Umgang mit ihren Tieren Gefallen finde, kann ich mir auf einmal gut vorstellen, ebenfalls ein zurückgezogenes Leben auf einem Bauernhof zu führen. Napirai und Markus aber können sich für diese Idee überhaupt nicht begeistern. So denke ich weiter nach und allmählich setzt sich in mir der Gedanke fest, dass ich ein Hotel oder ein Restaurant betreiben könnte. Um mir alle Möglichkeiten offen zu halten, habe ich mittlerweile in diversen Kursen und Lehrgängen gelernt, wie man mit Computern und Buchhaltung umgeht, wie man Käse herstellt und wie man ein Hotel oder Restaurant führt. Trotzdem weiß ich aber immer noch nicht genau, was, wann und vor allem wo ich Neues beginnen könnte. Am reizvollsten jedoch erscheint mir die Idee, ein kleines Hotel — eventuell in Partnerschaft mit anderen — zu erwerben. In meiner Fantasie hat es bereits den Namen »Zur weißen Massai« und ist in afrikanischem Stil eingerichtet. Auf der Suche nach einem geeigneten Objekt fahre ich quer durch die Schweiz bis ins Tessin und spüre sofort, dass ich mich in dieser Umgebung sehr wohl fühlen könnte.

Kurz darauf bleibt mein Blick an einem Zeitungsinserat hängen: »Vierwöchiger Italienisch-Intensivkurs im Tessin, Beginn in einer Woche.« Da zu dieser Zeit Napirai gerade Schulferien hat, melde ich uns beide spontan an. Jetzt heißt es eine geeignete Ferienwohnung zu finden, was im Februar kein Problem ist. Ich stelle es mir ziemlich lässig vor, dass Mutter und Tochter zusammen die Schulbank drücken. Na ja, für Napirai ist es dann doch nicht immer so toll. Nachmittags unternehmen wir verschiedene Ausflüge und Besichtigungen. Für die Jahreszeit ist das Klima im Tessin erstaunlich mild, fast frühlingshaft. Nach einer Woche bin ich schon so begeistert von der kleinen Stadt Lugano, dem See, den nahen Bergen, ja vom ganzen Panorama, das ein wenig an Rio de Janeiro erinnert, dass ich den Gedanken nicht mehr los werde, hier könnte meine, unsere nahe Zukunft liegen.

Auch Napirai gefällt es gut, obwohl ihr die Trennung von ihren Klassenkameradinnen schwer fallen würde. Auf der anderen Seite reizt auch sie das Kleinstadtleben, das einem Mädchen in der beginnenden Pubertät mehr Möglichkeiten bietet als unser jetziges Dorfleben. Wir besprechen das Für und Wider und ich bin überzeugt, dass Napirai mit ihren dreizehn Jahren einen Umzug gut bewältigen wird. Sie ist ein Mädchen, das mit ihrer eher ruhigen, manchmal fast leisen Art doch erstaunlich schnell Anschluss findet, was ich in unseren Urlauben immer wieder beobachten konnte. Selbst die Sprachhindernisse ging sie mit Händen und Füßen an. Allerdings ist sie auch sehr sensibel. Auf traurige Ereignisse reagiert sie extrem. Wenn wir durch die Straßen schlendern, bleibt sie bei jedem Bettler oder Musiker stehen und legt ihm ein Geldstück in die Mütze. Wenn sie das Geld nicht von mir bekommt, spendet sie es von ihrem Taschengeld. Selbst Restaurantbesitzer, die keine Gäste haben, möchte sie unterstützen, indem sie sagt:

»Mama, schau, da ist kein Mensch drin, willst du nicht einen Kaffee trinken? Ich habe sowieso großen Durst.« Schon als kleines Mädchen hat sie den noch kleineren Kindern geholfen, wenn sie hingefallen waren, egal ob sie sie kannte oder nicht. Schlimm ist es, wenn sie Tiere leiden sieht. Solche Ereignisse vergisst sie manchmal jahrelang nicht.

Mit ihrer Größe von 1,79 in wirkt sie optisch älter, als sie ist, und wird deshalb manchmal überfordert. Ich hoffe, ihr mit einem Wohnortwechsel nicht zu viel zuzumuten, und glaube fest daran, dass sie schnell wieder Anschluss finden wird. Obwohl Napirai sich gut mit sich selbst beschäftigen kann, ist sie sehr kommunikativ und braucht Menschen, die sie mag, um sich. Sie ist kreativ, malt, schreibt Briefe und hört dabei stundenlang Musik. Ihr Musikgehör ist sehr sicher und ihre Stimme wunderschön. Sportliche Betätigung dagegen ist nicht unbedingt ihre Sache. Die einzige Bewegung, die sie liebt, ist das Tanzen, dafür hat sie eine Menge Energie. Ja, ich bin stolz auf mein anschmiegsames, feinfühliges und aufgeschlossenes Mädchen.

Wir werden die Veränderung schon meistern und auch glücklich sein, denn ich spüre es tief im Herzen, dass unsere Zeit am jetzigen Wohnort abgelaufen ist. Als größte Hürde kommt die italienische Sprache auf uns zu, vor allem für Napirai in der Schule. Aber andere Familien mit drei oder vier Kindern schaffen einen Umzug ins Ausland auch. Warum sollen wir es nicht wagen? Zumal Napirai ein ausgeprägtes Gedächtnis hat und sehr sprachbegabt ist. Später wird sie noch eine Sprache mehr beherrschen und darüber froh sein.

Zuerst ist Markus von meinen Plänen gar nicht begeistert, da er befürchtet, im Tessin keinen Job zu finden, und äußert sich dementsprechend ablehnend. Nach den ersten zwei Wochen Italienischkurs bringe ich Napirai wieder nach Hause, fahre zurück ins Tessin und beende die Schule. Die ersten italienischen Sätze bleiben haften und mir fällt es plötzlich unendlich schwer, Abschied zu nehmen. Zu Hause finde ich keine Ruhe mehr und so steht für mich definitiv fest: Ich muss umziehen, denn auf mich wartet dort in der Südschweiz irgendeine Aufgabe.

Markus ist hinreißend. In der Zwischenzeit hat er sich nämlich erfolgreich um eine Stelle im Tessin beworben und ist nun schon vor uns vorläufig in eine Ferienwohnung umgezogen, damit er die neue Arbeit beginnen kann. Napirai kann noch fast bis zu den Sommerferien die Schule besuchen, bevor wir nach langem Suchen in unsere neue schöne Wohnung ziehen können. Sie zu finden war wieder mit einer großen Portion Glück verbunden. Hatte ich zuvor alle möglichen Tessiner Zeitungen studiert sowie täglich im Internet Ausschau gehalten und wöchentlich bis zu zwei Mal eine sechsstündige Hin- und Rückfahrt auf mich genommen, nur um festzustellen, dass die entsprechenden Wohnungen zu klein oder nicht am gewünschten Standort lagen, so fand ich unsere Traumwohnung bei einem zufälligen Blick in eine Zürcher Zeitung. Wochenlang war ich nicht auf die Idee gekommen, in dieser Zeitung zu suchen. Doch als Markus schon zwei Monate im Tessin lebte und wir wieder eine Wohnungsabsage erhalten hatten, weil der Vermieter eine einheimische Familie bevorzugte, schaute ich ohne große Hoffnung in jene Zeitung und entdeckte unter der Rubrik Tessin lediglich ein einziges, und wie sich herausstellte, nur einmal geschaltetes Inserat unserer heutigen Wohnung: Mietbeginn ab sofort.