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Wir fahren fast fünf Stunden, bis wir den Tarangire-Nationalpark erreichen. Unterwegs sehe ich viele Kuhherden, die von Massai oder deren Kindern betreut werden. Mich würde interessieren, was Napirai bei diesem Anblick empfinden und denken würde. Erstaunt beobachte ich Krieger, die sich in ihrer traditionellen Kleidung, geschmückt, bemalt und mit Speeren bewaffnet auf Fahrrädern fortbewegen. Das kommt mir sehr seltsam vor. Überhaupt erlebe ich alles ganz anders als früher und in gewisser Weise als Fremde. Ich versuche, in mich hineinzuhören, um längst Vergessenes hervorzuholen, aber es gelingt mir nicht. Stattdessen vermisse ich meine Tochter und Markus.

Im Nationalpark werden wir zuerst zu unserer Zeltlodge gefahren, um unser Mittagessen einzunehmen. Von hier aus hat man während des Essens einen phantastischen Blick auf eine Elefantenherde, die sich am weiter unten gelegenen Fluss aufhält. Ab und an ertönt das Trompeten einzelner Tiere. Nachmittags geht es auf Pirsch durch die heiße Savanne. Wir haben Glück und treffen auf Giraffen, Gazellen, Affen, Zebras und Büffel. Der Anblick der vielen Tiere rührt nun doch etwas in mir an, das mich an meine frühere Afrika-Faszination erinnert. Bis zum Abend vermissen wir nur die Löwen, aber uns bleibt ja noch der morgige Tag. Jeder geht in sein Zelt und macht sich frisch für das Abendessen. Das Büffet ist köstlich und ich lange kräftig zu, weil ich nicht weiß, was wir später am Berg noch alles bekommen werden.

Gegen zehn Uhr verlasse ich die Runde, da das Gespräch nur dahinplätschert. Bisher ist keine richtige Stimmung aufgekommen. Der Weg zum Zelt ist nur spärlich beleuchtet, dafür hängt vor jedem eine Petroleumlampe. Als ich vor meinem Eingang stehe, bemerke ich, dass mindestens 50 verschiedene Käfer, Insekten und Heuschrecken in jeder Größe an der erleuchteten Zeltwand kleben. Es sieht nicht gerade appetitlich aus. Ich überlege, wie ich durch diesen Eingang hineingelangen und die Tierchen dabei draußen lassen kann. Als Erstes lösche ich die Lampe und schüttle dann die ganze Zeltwand frei. Ich kontrolliere kurz mit der Taschenlampe, schlüpfe möglichst rasch ins Zelt und lege mich sofort ins Bett, um nichts mehr zu sehen. Inzwischen ist auch das junge Paar bei seinem Zelt angekommen. Ich kann sie aus dem Fensterchen beobachten und bin gespannt, wie ihre Reaktion auf die zahlreichen Insekten sein wird. Beide stehen sicherlich fünf Minuten wie angewurzelt vor ihrem Eingang und überlegen wohl, was zu tun ist. Ich muss ein Lachen verkneifen. Dann endlich geht er, der Mann, zwei weitere Schritte zurück, als sich die tapfere Frau entschließt, die Zeltwand mit den Füßen zu traktieren, damit das Ungeziefer herunterfällt. Endlich können sie eintreten und bei vollem Licht das Zelt inspizieren. Kurz darauf ertönen zwei unterdrückte Schreie. Jetzt kann ich mich nicht mehr beherrschen und lache lauthals los, während ich nachfrage, ob alles in Ordnung ist. Sie empfinden das Ganze anscheinend nicht komisch. Ich lausche den zirpenden Grillen und schlafe recht schnell ein.

Am Morgen erwache ich sehr früh, da ständig irgendetwas um das Zelt hüpft. In der Morgendämmerung schleiche ich mich hinaus und sehe vier Tic Tic, eine Art kleiner Rehe, um die Zelte springen. Sie sind so schnell und elegant, dass es Spaß macht, ihnen zuzusehen. Gleichzeitig vernehme ich das Trompeten nahender Elefanten. Langsam erwachen Tiere und Menschen und schon bald befinden wir uns wieder auf der Pirsch. Wir begegnen Unmengen von Elefanten jeder Größe. Auch ganze Affenherden und ein paar Wildschweine sind heute Morgen bereits unterwegs zum Fluss. Jede Regung wird fotografiert. Nach dem Mittagessen müssen wir den Rückweg zur ersten Lodge antreten. Der Fahrer fragt uns, ob wir noch ein Massai-Dorf besichtigen wollen. Ich bin sofort begeistert, weil ich gerne wieder einmal in eine Manyatta kriechen würde. Ich wäre neugierig, welche Reaktionen das in mir hervorrufen würde. Doch meine Mitreisenden zeigen keinerlei Interesse und antworten einstimmig, sie seien wegen den Tieren hier und nicht, um irgendwelche Menschen zu betrachten. Da ich mich nicht zu erkennen geben möchte, verzichte ich auf dieses Erlebnis.

In der Lodge angekommen, bereiten wir uns für den morgigen Aufstieg vor und sortieren das Gepäck. Was am Berg nicht benötigt wird, deponieren wir hier. Es wundert mich, dass einige der Herren noch Bier konsumieren. Ich selbst habe schon seit Weihnachten nahezu keinen Alkohol mehr getrunken. Es wird diskutiert, dass sich am Berg jeder der Nächste ist. Der, der sich noch fit fühlen wird, geht hinauf, auch wenn der andere schlapp macht, und dergleichen. Das betrifft natürlich nur die, die zu zweit unterwegs sind, also das junge Paar sowie Vater und Sohn. Ich wende einmal ein, dass ich meinen Partner in einer schwierigen Situation nicht alleine lassen würde, und ernte dafür sofort belustigte Blicke und den Satz: »Du kennst wohl die Gesetze am Berg nicht!« Jeder träumt euphorisch vom Gipfel und schätzt seine Mitstreiter konditionell ein. Ich bin da nicht anders.

Am nächsten Morgen um acht Uhr brechen wir auf. Zuerst fährt der Bus auf der recht guten, geteerten Straße Richtung Moshi und biegt dann plötzlich beim Wegweiser »Machame« nach links ab. Jetzt wird die Straße holpriger und nach einigen Minuten erinnert mich ihr Zustand an die Straßenverhältnisse in Kenia. Links und rechts sehen wir große Bananenplantagen, Gärten und Kaffeesträucher. Alles hier ist enorm grün und saftig. Wir passieren einige einfachere Hütten, doch ab und zu erkennt man abseits der Straße auch wunderschöne Häuser. Diesen Menschen geht es sicherlich im Verhältnis zu denen in anderen Gegenden recht gut. Unter anderem ist dies auch daran zu erkennen, dass an diversen Shops frisch geschlachtetes Fleisch, an einem Haken hängend und natürlich umzingelt von den obligaten Fliegen, zum Verkauf angeboten wird. Anscheinend ist also Geld für Fleisch vorhanden. Als ich meine Begleiter auf die »Metzgereien« aufmerksam mache, wird es einigen fast übel.

Am frühen Vormittag treffen wir am Machame Gate auf 1.840 in Höhe ein. Wir sind nicht die einzige Gruppe, die sich auf den Weg machen möchte. Es herrscht ein wildes Durcheinander. Die verschiedenen Gruppen müssen angemeldet, Träger organisiert und Essenspakete verteilt werden. Ich freue mich auf den Beginn der Wanderung. Da ich zu Hause nahezu täglich mehrere Stunden unterwegs war, fehlt mir die Bewegung, nachdem ich nun drei Tage »auf der faulen Haut« gelegen bin. Endlich ist alles geregelt. Wir bekommen für unsere sechsköpfige Gruppe 24 Träger, einen einheimischen Führer und drei Hilfsführer zugewiesen. Wahnsinn, was für ein Tross nun an uns vorbeizieht, wobei jeder Träger zwischen 20 und 25 Kilogramm auf dem Kopf mitschleppt.

Wir marschieren langsam los. Es ist heiß, aber erstaunlich trocken in diesem wunderschönen Regenwald. Der Weg besteht aus roter getrockneter Lehmerde sowie Wurzeln und Steinen. Bei nassem Wetter ist das Fortbewegen sicherlich sehr mühsam. Ich bin ganz begeistert von der Vegetation und knipse natürlich schon bald die ersten Fotos. Ab und zu bitte ich einen meiner Reisebegleiter, ein Foto von mir zu machen. Doch nach einigen Bildern frage ich nicht mehr, ich werde das Gefühl nicht los, die Gruppe zu belästigen. Ich laufe gemütlich hinter dem Führer her und muss mich erst dem extrem langsamen Tempo anpassen, da ich gewöhnlich in unseren Schweizer Alpen schneller unterwegs bin. Mein neu erworbener Wasserbeutel mit integriertem Trinkschlauch ist eine große Hilfe. So kann ich während des Laufens ständig meinen Durst löschen und bin auch sicher, dass ich genug Flüssigkeit zu mir nehme.

Wir steigen höher und höher, vorbei an Bäumen mit Lianen, Riesenfarnen und von Moos überwucherten Holzstämmen. Es riecht erdig und feucht. Tiere sind nicht in Sicht. Ich habe gar nicht das Gefühl, dass ich mich langsam der 3.000-Meter-Grenze nähere, weil in der Schweiz in dieser Höhe weder Busch noch Strauch anzutreffen sind. Nach ein paar Stunden wird es lichter und der Dschungel verwandelt sich langsam in eine Busch- und Strauchlandschaft und endet beim Erreichen unseres Lagers nach 1.160 Höhenmetern und fünf Stunden Gehzeit in der Erikazone.