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Ich bin überrascht, schon vor unserem Camp zu stehen. Die meisten meiner Mitwanderer sehen das anders, sind erschöpft und schimpfen, dass der Führer viel zu schnell unterwegs war. Da wir ja noch drei weitere Hilfsführer haben, verstehe ich nicht, dass dies nicht vorher geklärt wurde. Auch Hans ist meiner Ansicht. Alle verkriechen sich in die Zelte, die bereits unter den letzten vorhandenen Büschen aufgebaut sind, und richten sich ein. Ich bin froh, ein Zweierzelt alleine nutzen zu können, weil das Gepäck schon ein Drittel des Zeltes ausfüllt. Kurze Zeit später erhält jeder von uns einen knappen Liter warmes Wasser in einer kleinen orangenen Schüssel vor das Zelt gestellt, um sich waschen zu können. Da sich niemand von unserer Gruppe blicken lässt, knüpfe ich mit einer Amerikanerin Kontakt. Ihre Gruppe besteht nur aus ihr, drei Trägern und einem Guide. Über die Möglichkeit, den Kilimandscharo so zu besteigen, habe ich nie nachgedacht. Interessant ist auch, das emsige Treiben im Lager zu beobachten. In einigen Zelten wird gekocht. Mehrere Personen sitzen auf der Erde, trinken Tee und essen etwas dazu. Bald werden wir gerufen und betreten unser Essenszelt. Die Tatsache, dass wir hier oben an einem gedeckten Tisch, inklusive blau-rot gestreifter Tischdecke, auf Klappstühlen Platz nehmen sollen, erscheint mir mehr als seltsam. Sozusagen als Aperitif bekommen wir einen heißen Tee oder Kaffee und eine Platte mit gesalzenem Popcorn. Dann bleibt noch eine gute Stunde, bis das richtige Abendessen serviert wird.

Ich beobachte wieder das Treiben im Lager, als sich plötzlich gegen halb sieben der Nebel um den Kilimandscharo kurz hebt und ich den Berg zum ersten Mal sehen kann. Er scheint ganz nahe zu sein! Der Schnee am Gipfel sieht aus, als wäre ein Kübel mit weißer Farbe, die da und dort hinunterläuft, über den Berg gegossen worden. Es dauert nur kurz, wie ein Spuk, dann ist er wieder im Nebel und der anbrechenden Dunkelheit versunken. Das reichliche Essen wird auf echten Porzellanplatten und -tellern serviert. Als Vorspeise gibt es eine herrliche Suppe, danach den Hauptgang und anschließend Früchte. Ich komme mir wie in der Kolonialzeit vor. Die ganze Situation erscheint mir ein wenig absurd. Schließlich habe ich einmal unter Afrikanern gelebt und gearbeitet und nun schleppen sie für mich, die zahlende »Weiße«, Tische und Stühle durch die Gegend und bedienen mich. Mir ist klar, dass dadurch viele für kurze Zeit einen Job haben, aber ich muss mich trotzdem erst daran gewöhnen. Um acht Uhr sind wir alle schon in unseren Zelten, doch schlafen kann ich nicht, in jedem der umliegenden Zelte wird gequatscht oder geschnarcht. Ich denke über unsere Gruppe nach und hoffe, dass sich morgen vielleicht etwas mehr Zusammenhalt und Witz einstellen. Denn freiwillig hätte sich wohl bis jetzt niemand den anderen ausgesucht.

Um Mitternacht schlafe ich immer noch nicht, dafür schnarchen der Franz oder der Hans wunderbar. Ich krieche noch einmal aus dem warmen Schlafsack, um meine Blase zu entleeren. Die Nacht ist kühl und klar. Die Sterne sind zum Greifen nah und auch der Kilimandscharo ist an seiner weißen Krone erneut erkennbar. In diesem Augenblick kann ich einen gewissen Zauber, der von ihm ausgeht, nicht leugnen. Doch ich muss ins Zelt zurück, bevor die Kälte in mich kriecht. Eine leichte Schlaftablette verhilft mir endlich zu einem wohlverdienten Schlaf.

Gegen sechs Uhr werde ich von lauten Diskussionen zwischen Vater und Sohn geweckt. Sie haben anscheinend nasse Schlafsäcke, da sie im Zelt keine Luftklappen offen gelassen haben. Außerdem haben sie fürchterlich gefroren, wie ich höre, und fühlen sich wegen der Kälte und des harten Bodens ganz steif. Ich selbst kann über solche und ähnliche Probleme nicht klagen. Zum einen bin ich an das Schlafen am Boden gewöhnt und zum andern haben sich mein für diese Tour neu angeschaffter Schlafsack, der auch bei extremer Kälte warm halten soll, und die neue Isomatte gut bewährt. Nach der Begrüßung frage ich die beiden, wie es denn mit ihren Schlafsäcken bestellt sei. Von Komfort- oder Extrembereich haben die zwei noch nie etwas gehört. Ihre Schlafsäcke sind von Aldi und waren sehr günstig, wie Franz, ein bekennender Aldi-Fan, erzählt. Nun schaut er auf der Beschreibung nach und liest zum ersten Maclass="underline" »Komfortbereich +5°, Extrembereich -10°«. Ich frage mich, was die zwei sich auf 4.600 Höhenmeter zum Schlafen einfallen lassen wollen!

Auf dem Weg zur Toilette merke ich, dass meine Beine schwer wie Blei sind, und kann mir das nicht erklären. Zu meinem Entsetzen muss ich feststellen, dass trotz Vorkehrungen meine Menstruation eingesetzt hat. Das kann ich hier am Berg am allerwenigsten gebrauchen! Mir schlägt dieser Umstand augenblicklich aufs Gemüt. Ich schlucke erneut Tabletten, damit sich das Ausmaß in Grenzen hält. In meinem Zelt erwartet mich schon der »Good Morning-Tea«. Normalerweise werden wir von drei Personen geweckt, indem sie vor dem geschlossen Zelt »Teatime, Coffeetime!« rufen. Dann öffnet man das Zelt und kann sich vom hingehaltenen Tablett einen Tee oder Pulverkaffee anrühren lassen. Unglaublich feudal! Kurze Zeit später erscheint das obligate Waschschüsselchen mit angewärmtem Wasser für die Morgentoilette. Um halb acht wird »Full Breakfast« eingenommen. Wir erhalten unter anderem Rührei, Würstchen, getoastete Brotscheiben, Butter, Marmelade und frische Früchte, von der Minibanane bis zur Ananas. Ich glaube, keiner von uns würde zu Hause jemals so gut und reichhaltig frühstücken.

Um zirka neun Uhr machen wir uns auf den Weg zum Shiraplateau, das auf 3.850 Höhenmeter in einer gewaltigen Hochsteppe liegt. Zu Beginn geht es recht gemütlich los. Bäume und Sträucher werden allmählich weniger. An den letzten Bäumen hängen Moosfetzen wie Spinnweben herab und verleihen dem Ganzen einen Hauch von Fantasiewelt a la Jurassic Park. Durchziehende Nebelfelder verstärken diesen Eindruck. Zwischendurch tauchen violette Distelarten oder rosa-weiße Blumensträucher auf. Leider wird der Weg immer steiler und der gewaltige Aufstieg bereitet mir heute mit meinen schweren Beinen extreme Mühe. Dafür sind die anderen wieder fit. Zum Teil ist das Gelände so steil, dass ich die Stöcke nicht mehr gebrauchen kann. Sie sind eher hinderlich. Dafür werde ich mit einem tollen Ausblick auf den Mount Meru belohnt und wenn ich zurückschaue, überblicke ich den ganzen Dschungel, den wir gestern durchquert haben. Doch ich muss mich förmlich vorwärts kämpfen und bin froh, als wir kurz nach zwölf Uhr endlich Mittagspause haben. Als wir im Windschatten eines Felsens am gedeckten Tisch, inklusive Tischtuch, auf unseren Stühlen Platz nehmen, ist es neblig und kühl. Ich ziehe mir den Regenschutz über, damit ich besser vor dem Wind geschützt bin. Uns erwartet heißer Tee, Brot und Käse sowie warme Pfannkuchen. Letztere geben mir wieder etwas Kraft. Dennoch ist es grotesk, hier oben auf diese Art zu pausieren. Ich werde diesen Anblick jedenfalls nie vergessen!

Danach wandern wir weiter und ich fühle mich etwas besser. Am frühen Nachmittag erreichen wir das Shiraplateau. Es ist ein riesiges Camp und an den zum Teil weit verstreuten Toilettenhäuschen kann man erkennen, dass hier manchmal viel Betrieb herrscht. Nach und nach treffen andere Gruppen ein, unter denen auch die allein reisende Amerikanerin ist. Obwohl wir uns bereits in einer Höhe von 3.850 Meter befinden, gibt es noch vereinzelte Sträucher, so dass ich nach wie vor kein richtiges Gefühl für diese Höhe bekommen habe. Doch heute bin ich froh, endlich ausruhen zu können und warte ungeduldig auf meinen Liter Waschwasser. Meine Beine sind immer noch schwer und Bauchschmerzen haben ebenfalls eingesetzt.

Ich versuche per Handy Verbindung mit zu Hause zu bekommen. Meine kleine Familie fehlt mir und ich komme mir plötzlich sehr egoistisch vor. Ich klettere auf diesen Berg, warum weiß ich bald auch nicht mehr, während Markus zusätzlich zu seinem harten Job auch noch für Napirai mitsorgen muss. Irgendwie stecke ich in einem moralischen Tief. In unserer Gruppe ist wieder jeder mit sich beschäftigt und so bleibt der Kontakt eher spärlich auf die Zeit begrenzt, in der man sich im Essenszelt begegnet. Ich habe mir das alles etwas lustiger und unterhaltsamer vorgestellt.