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Hans geht es ähnlich und außerdem ist er kreidebleich. Er bedauert nur, dass er anstelle seines Vaters hier steht. Er hatte nie geglaubt, jemals auf dem Gipfel anzukommen, zumal er Raucher ist. Wir müssen aufbrechen. Während wir am Kraterrand zurückgehen, kommen uns die nächsten »Zombies« entgegen. Auch sie reagieren auf nichts und stapfen einfach weiter Richtung Gipfel. Während des Abstiegs erhole ich mich erstaunlich schnell. Wir rennen und rutschen über einen steilen Aschenhang hinunter. Es kommt mir wie ein Hinunterspringen im Tiefschnee vor, nur ist es staubig.

Hans hat starke Kopfschmerzen und stolpert über seine eigenen Füße. Ich mache mir Gedanken, ob er es überhaupt noch bis zum Camp schafft, da wir mehr als 1.200 Höhenmeter hinunter müssen. Mir kommt hier mein Training zugute, doch nach einer Stunde habe ich enormen Durst. Obwohl es nun schon sehr warm ist, zieht Hans weder seine Handschuhe noch die Mütze noch die Jacke aus. Er macht mir weiterhin Sorgen, weil er etwas verwirrt redet. Immer wieder höre ich den Satz: »Das kann nicht gesund sein, so schlecht wie es mir geht.« Wir pausieren und trinken etwas. Dazu gebe ich ihm eine Tablette gegen Kopfschmerzen und zusätzlich zwei Aspirin zum Verdünnen des Blutes. Gemeinsam verzehren wir meine Trockenfrüchte. Nach einigen Minuten geht es ihm besser. Ausziehen will er aber nach wie vor nichts, obwohl er schwitzt. Der Führer hakt sich bei ihm unter und so rennen sie zu zweit weiter. Nach fast zwei Stunden Rutschpartie sehen wir weiter unten unser Camp. Ich erkenne die Leute aus unserer Gruppe, die zu uns hoch schauen, und winke nach unten. Es kommt kein Gruß zurück. Neun Stunden nach unserem Aufbruch erreichen wir erschöpft das Camp.

Die Stimmung ist eher gedrückt. Die einheimischen Hilfsführer kommen als Erste, um uns zu gratulieren. Dann erscheint Petras Freund und gratuliert trocken. Sie hingegen ruft einen Glückwunsch aus dem Zelt heraus. Noch wortkarger ist der pensionierte Zahnarzt. Außer dem Wort »Gratulation« gibt er keine weitere Silbe von sich. Fürchterlich! Immerhin macht er auf meine Bitte hin ein Foto von mir. Hans kriecht in sein Zelt und schläft vor Erschöpfung sofort ein. Wir haben nicht viel Zeit, um unsere Sachen zusammenzuräumen und unser Mittagessen einzunehmen. Noch heute müssen wir fast 1.800 Höhenmeter über die Mwekaroute zum gleichnamigen Camp absteigen.

Nun sitze ich allein vor meinem Zelt und warte auf das Essen. Mit niemandem kann ich mich über meine Erfahrung austauschen, weil sich keiner dafür interessiert. Wenigstens kann ich meinen Lieben eine SMS senden. Zum Telefonieren reicht die Batterie nicht mehr. Napirai schreibt: »Super Mama, ich habe immer gewusst, dass du es schaffen wirst!« Markus ist ebenfalls stolz auf diese Leistung und sorgt für die Verbreitung der Neuigkeit in der Familie.

Der Abstieg führt in umgekehrter Reihenfolge durch die verschiedenen Klimazonen. Als wir in den immer üppiger werdenden Urwald eintauchen, erfreut mich der Anblick der verschiedensten blühenden Pflanzen. Doch geht das Absteigen gewaltig in Knie und Beine. Nach zwei Stunden habe ich kaum ein Auge mehr für die schönen blühenden Büsche und die weiten Täler, sondern spüre nur noch, wie sich an meinen Füßen an mehreren Stellen Blasen zu bilden beginnen. Ich versuche, das Schlimmste mit Blasenpflaster zu beheben und bange nun wirklich dem Lagerplatz entgegen. Je weiter wir absteigen, desto schwüler wird es, und allmählich klebt alles am Körper. Nach drei Stunden erreichen wir unser Camp und können gerade noch vor einem Wolkenbruch in die Zelte schlüpfen. Es schüttet etwa 15 Minuten und danach ist so ziemlich alles feucht und der Zeltboden teilweise nass. Mir ist es egal, wenn ich nur nach den zwölf Stunden reinem Fußmarsch heute nicht mehr weiterlaufen muss. Es ist früher Nachmittag und uns bleibt noch viel Zeit bis zum Abendessen. Sehnsüchtig wie noch nie warte ich auf das orangene Waschschüsselchen mit dem angewärmten Wasser. Außerdem muss ich mich um meine Füße kümmern, weil wir morgen noch einmal eine lange Abstiegsstrecke vor uns haben.

Langsam freue ich mich auf die Rückkehr nach Hause. Auch im Lager spürt man, dass alle dem Ende der Wanderung entgegenfiebern. Für die Führer und Träger ist es die letzte Tour bis zum Sommer, da jetzt die Regenzeit einsetzen wird. Auch fürchten sie den bevorstehenden Krieg Amerikas gegen den Irak, denn dann werden die Touristen noch zahlreicher ausbleiben. Sie alle wissen nicht, wann sie ihr nächstes Geld verdienen werden, und sind trotzdem fröhlich und um unser Wohl besorgt. Ich liege im Zelt und lausche den Stimmen der Einheimischen. Sie haben sich ständig etwas zu erzählen. Den ganzen Tag wird geredet und gelacht und dennoch die schwere Arbeit verrichtet. Diese Unbekümmertheit und Kommunikationsfähigkeit haben sie uns Weißen ganz offensichtlich voraus. Von unserer Gruppe sitzt wieder jeder in seinem Zelt und hat seinen Mitreisenden auch nach elf Tagen noch nichts zu berichten. Es ist traurig.

Beim Abendessen wird über das Trinkgeld diskutiert. Für mich steht fest, dass ich zum üblichen Betrag zusätzlich 100 Dollar für die Träger abgeben möchte. Eigentlich wollte ich mehr spenden, doch angesichts der Diskussionen möchte ich nicht überheblich wirken. Hätte ich es doch nur getan! Später habe ich meine letzten 250 Dollar in der Lodge verloren.

Diese Nacht schlafe ich so tief und fest, dass ich nicht einmal etwas vom kleinen Abschiedsfest der Träger höre. Auch am letzten Tag werden wir mit dem üblichen »Morningtea« begrüßt. Nach dem Frühstück findet der Abbruch des Lagers allerdings etwas schneller statt. Bald steht die ganze Mannschaft versammelt vor uns da, weil man sich schon hier oben verabschieden möchte. Petra hält die Abschiedsrede und übergibt das Trinkgeld dem Hauptführer. Danach nehme ich meine 100 Dollar und erkläre, das ich diese zusätzlich für die wirklichen Helden am Kilimandscharo, nämlich ausschließlich den Trägern spenden möchte. Die Gesichter erhellen sich und die Hände schnellen erfreut in die Höhe. So viel Freude bei gleichzeitiger Bescheidenheit! Ich höre: Asante Mzungu! Als sie voller Freude ein Lied über den Kilimandscharo singen, überkommen mich die stärksten Emotionen dieser Tour. Zum Schluss bedankt sich jeder Träger persönlich mit Handschlag bei uns allen. Sie packen ihre riesigen Gepäckbündel auf den Kopf und eilen an uns vorbei ins Tal. Auch wir erreichen nach über drei Stunden das Machame Gate und warten auf unseren Transport zur Lodge. Die Träger sind eifrig mit Putzen und Waschen beschäftigt. Einige säubern noch unsere Zelte oder Töpfe, während sich andere bereits ihrer eigenen Körperpflege widmen. Auch wir träumen nach sieben Tagen von unserer Dusche im Hotel.

Der Führer überreicht Hans und mir je ein Zertifikat und als wir hören, dass in dieser extrem kalten Nacht — am Stella Point waren es gefühlte 25 Grad minus — gerade mal ein Fünftel der üblichen »Gipfelstürmer« am Uhuru Peak angekommen war, sind wir langsam doch ein bisschen stolz.

Sehnsucht nach Afrika?

Als ich am nächsten Tag müde und ausgepumpt im Flugzeug sitze, habe ich genügend Zeit, über das hinter mir liegende Abenteuer nachzudenken. Etwas enttäuscht muss ich für mich feststellen, dass mit dieser Reise meine immer wiederkehrende Sehnsucht nach Afrika nur wenig gestillt wurde. Vielleicht liegt es daran, dass Tansania nicht Kenia ist, vielleicht gibt es aber auch »mein« Kenia nicht mehr, weil sich so vieles verändert hat.

Mir ist klar geworden, dass ich als Touristin auf diesem Kontinent immer hin- und hergerissen sein werde. Ich bin nicht in der Lage, als durchreisende »Weiße« ausschließlich zu genießen, denn ich sehe vieles aus der Sicht der Einheimischen. Aus ihrem Blickwinkel heraus erscheint auch mir unser Handeln teilweise unverständlich. Dass wir Europäer zum Beispiel unter unglaublichen Anstrengungen auf einen hohen Berg steigen und dafür noch Geld bezahlen, hätten Lketinga und seine Familie ganz und gar nicht verstanden. Er hätte mich damals lachend gefragt: »Corinne, warum machst du das? Es bringt dir weder Essen noch Wasser, nur Probleme. Das ist verrückt!« In gewisser Weise hätte er ja Recht gehabt. Menschen, die all ihre Kraft und Energie brauchen, um überleben zu können, kämen nie auf die Idee, ein solches Unternehmen einfach so, ohne ersichtlichen Nutzen, anzugehen.