Выбрать главу

Als Markus endlich nach Hause kommt, staunt er über die bereits besorgten Kilimandscharo-Bücher, den vereinbarten Tropenarzttermin und mein tägliches Wanderprogramm, wobei ich seine Hanteln als Gewichtsbeschwerer im Rucksack mitschleppe. Schnell ist ihm klar, dass es mir wirklich ernst ist.

Während einer Nachmittagswanderung kurz vor Weihnachten erreiche ich eine kleine Berghütte auf zirka 1.500 Meter. Da sie sich auf Passhöhe befindet, hat man eine wunderbare Rundsicht und sieht bis in die Walliser Alpen hinein. Ich bin der einzige Gast um diese Zeit und so unterhalte ich mich kurz mit dem Hüttenwart. Dabei erfahre ich, dass er erst seit diesem Sommer hier tätig ist. Er erwähnt, dass er zu Silvester ein fünfgängiges Menü inklusive Übernachtung und anschließendem Frühstück anbieten wird. Allerdings sei der Platz auf 20 Personen beschränkt. Ein solcher Jahresbeginn würde mir gut gefallen und ich bin fast sicher, dass ich auch meine Lieben nicht lange überreden muss. Beim späteren Abstieg sind die umliegenden Bergketten mit einem zarten Abendrot übergossen. Es sieht überwältigend wie ein Alpenmärchen aus und ich ärgere mich, keinen Fotoapparat dabei zu haben.

Tatsächlich feiern wir 14 Tage später Silvester mit ein paar engen Freunden, darunter Madeleine und ihr Lebenspartner, in der warmen Berghütte. Bei strahlendem Wetter, aber mittlerweile klirrender Kälte sind wir im Schnee hochgestapft. Napirai hingegen hat es vorgezogen, Silvester bei Freundinnen in ihrer »alten« Heimat zu verbringen. In der Hütte sind wir nahezu unter uns und der Hüttenwart zaubert einen köstlichen Gang nach dem anderen auf den Tisch. Um Mitternacht wird mit Sekt angestoßen und dann geht es hinaus auf den Berg, um ins Tal oder in die Sterne zu schauen. Es ist ein bewegender Moment. Nach einer kurzen Nacht erwachen wir bei optimalem Bergwetter und einige von uns beschließen, eine mehrstündige Wanderung zur nächsten Hütte zu unternehmen. Erst gegen Abend des Neujahrstages 2003 kehren wir müde und zufrieden in unser palmenumsäumtes Haus zurück. Nach solch einem schönen Silvester kann es nur ein in jeder Hinsicht erfolgreiches neues Jahr werden!

Zu Jahresbeginn habe ich den geeigneten Reiseveranstalter und meine gewünschte Route gefunden. Ich möchte nicht den »einfachsten«, sondern den schönsten Weg nehmen und deshalb steht für mich bald die Machame-Route fest. Bei dieser Route sind zwei Akklimatisationstage eingeplant, die mir sehr wichtig erscheinen. Im Angebot enthalten ist auch eine zweitägige Safari.

Von Tag zu Tag bin ich mehr gespannt, wie ich dieses neue Abenteuer erleben werde. Die Zeit vergeht im Fluge, weil ich fast täglich beim Wandern bin. Es ist herrlich, doch langsam werde ich ungeduldig und kann es kaum erwarten, bis es endlich losgeht. Eine Woche vor der Abreise habe ich nun auch die ganze Ausrüstung beisammen. Da wir alle Klimazonen von der Savanne bis zu arktischen Gletscherbedingungen durchwandern, muss alles gut überlegt sein. Viele Bekannte bewundern meinen Mut, was mir etwas peinlich ist, weil ich nicht weiß, wie das Unternehmen ausgehen wird.

Vier Tage vor Abflug erhalte ich endlich die letzten Unterlagen und die Teilnehmerliste. Wir sind eine kleine Gruppe von sechs Leuten, was ich sehr positiv finde. Auf Grund der angegebenen Namen versuche ich mir die Personen in etwa vorzustellen und komme zu dem Schluss, dass drei von ihnen sicherlich ältere, durchtrainierte Bergsteiger sein müssten. Außerdem erahne ich noch ein jüngeres Paar. Ich bin froh, dass wenigstens noch eine Frau dabei sein wird, weil ich sonst befurchten müsste, dass mir die Männer davonstürmen.

Am Tag vor meiner endgültigen Abreise wird gepackt. Erstaunlicherweise habe ich immer noch kein Reisefieber. Der Abschied von Markus und meiner Tochter Napirai, obwohl sie gut versorgt ist, fällt mir trotz der Vorfreude recht schwer. Nun sitze ich endlich im Zug nach Zürich, wo ich drei Stunden später von Madeleine abgeholt werde. Da mein Flug um sieben Uhr früh beginnt, muss ich bei ihr übernachten.

Eigentlich begreife ich erst allmählich, dass es losgeht, als das Flugzeug Richtung Amsterdam abhebt. Dort werde ich eventuell auch die anderen Mitstreiter kennen lernen können. Tatsächlich stehe ich eineinhalb Stunden später an dem Gate, an dem in Kürze der Weiterflug zum Kilimandscharo-Airport eingecheckt wird. Erstaunlich viele Leute wollen in dieses Flugzeug steigen. Allerdings sind die meisten eher in Richtung Safari unterwegs. Ich schaue mich nach meinen möglichen Reisegefährten um. Nach etwa einer halben Stunde bin ich fast sicher, alle erkannt zu haben. Da aber auf ihrer Seite kein großes Interesse auszumachen ist, spreche ich niemanden an.

Das Bild, das ich mir auf Grund der Namen gemacht hatte, bestätigt sich definitiv neun Stunden später nach der Landung. Unsere Gruppe besteht aus einem Rentner, der schon bald erzählt, dass er bereits zwei Mal auf dem angestrebten Gipfel war, einem zweiten Rentner, ich nenne ihn Franz, und dessen 34-jährigem Sohn Hans sowie einem jungen Paar Mitte 20. Durch meine im Außendienst erworbene Menschenkenntnis sehe und spüre ich gleich, dass wir unterschiedlicher nicht sein könnten. Na ja, irgendwie werden uns der Berg und das gemeinsame Ziel schon zusammenschweißen.

Auf dem Kilimandscharo-Flughafen schlagen uns auch abends um neun Uhr noch fast 30 Grad entgegen. Es ist herrlich, obwohl sich das Gefühl wie damals vor 13 Jahren in Mombasa, »nach Hause zu kommen«, nicht einstellt. Wir fahren in eine nahe gelegene schöne Lodge, wo wir die erste Nacht verbringen. Um fünf Uhr werde ich wach und habe Durchfall, den ich gleich radikal mit Imodium behandle. Später treffen wir uns zum Frühstück, bei dem man sich vorsichtig beschnuppert. Die Ersten erzählen von ihren höchsten Touren, wie Breithorn, Großglockner, Montblanc und wie sie alle heißen. Mein Gott, ich bin vielleicht gerade mal auf knappe 3000 Meter gewandert und mit der Bahn immerhin auf der Jungfrau gewesen, aber mehr kann ich nicht in die Waagschale werfen. Als ich noch höre, dass einer der älteren Herren erst kürzlich von einer zweiwöchigen Gletscher-Skitour zurückgekommen ist, die er als Vorbereitung absolvierte, überfallen mich die ersten Zweifel. Aber erst steht ja noch die Safari an!

Wir fahren fast fünf Stunden, bis wir den Tarangire-Nationalpark erreichen. Unterwegs sehe ich viele Kuhherden, die von Massai oder deren Kindern betreut werden. Mich würde interessieren, was Napirai bei diesem Anblick empfinden und denken würde. Erstaunt beobachte ich Krieger, die sich in ihrer traditionellen Kleidung, geschmückt, bemalt und mit Speeren bewaffnet auf Fahrrädern fortbewegen. Das kommt mir sehr seltsam vor. Überhaupt erlebe ich alles ganz anders als früher und in gewisser Weise als Fremde. Ich versuche, in mich hineinzuhören, um längst Vergessenes hervorzuholen, aber es gelingt mir nicht. Stattdessen vermisse ich meine Tochter und Markus.

Im Nationalpark werden wir zuerst zu unserer Zeltlodge gefahren, um unser Mittagessen einzunehmen. Von hier aus hat man während des Essens einen phantastischen Blick auf eine Elefantenherde, die sich am weiter unten gelegenen Fluss aufhält. Ab und an ertönt das Trompeten einzelner Tiere. Nachmittags geht es auf Pirsch durch die heiße Savanne. Wir haben Glück und treffen auf Giraffen, Gazellen, Affen, Zebras und Büffel. Der Anblick der vielen Tiere rührt nun doch etwas in mir an, das mich an meine frühere Afrika-Faszination erinnert. Bis zum Abend vermissen wir nur die Löwen, aber uns bleibt ja noch der morgige Tag. Jeder geht in sein Zelt und macht sich frisch für das Abendessen. Das Büffet ist köstlich und ich lange kräftig zu, weil ich nicht weiß, was wir später am Berg noch alles bekommen werden.

Gegen zehn Uhr verlasse ich die Runde, da das Gespräch nur dahinplätschert. Bisher ist keine richtige Stimmung aufgekommen. Der Weg zum Zelt ist nur spärlich beleuchtet, dafür hängt vor jedem eine Petroleumlampe. Als ich vor meinem Eingang stehe, bemerke ich, dass mindestens 50 verschiedene Käfer, Insekten und Heuschrecken in jeder Größe an der erleuchteten Zeltwand kleben. Es sieht nicht gerade appetitlich aus. Ich überlege, wie ich durch diesen Eingang hineingelangen und die Tierchen dabei draußen lassen kann. Als Erstes lösche ich die Lampe und schüttle dann die ganze Zeltwand frei. Ich kontrolliere kurz mit der Taschenlampe, schlüpfe möglichst rasch ins Zelt und lege mich sofort ins Bett, um nichts mehr zu sehen. Inzwischen ist auch das junge Paar bei seinem Zelt angekommen. Ich kann sie aus dem Fensterchen beobachten und bin gespannt, wie ihre Reaktion auf die zahlreichen Insekten sein wird. Beide stehen sicherlich fünf Minuten wie angewurzelt vor ihrem Eingang und überlegen wohl, was zu tun ist. Ich muss ein Lachen verkneifen. Dann endlich geht er, der Mann, zwei weitere Schritte zurück, als sich die tapfere Frau entschließt, die Zeltwand mit den Füßen zu traktieren, damit das Ungeziefer herunterfällt. Endlich können sie eintreten und bei vollem Licht das Zelt inspizieren. Kurz darauf ertönen zwei unterdrückte Schreie. Jetzt kann ich mich nicht mehr beherrschen und lache lauthals los, während ich nachfrage, ob alles in Ordnung ist. Sie empfinden das Ganze anscheinend nicht komisch. Ich lausche den zirpenden Grillen und schlafe recht schnell ein.