»Nun, so ist es abgetan,« fuhr der Kardinal fort; »Ihr werdet Euch auf den Weg begeben?«
»Ja, gnädigster Herr.«
»Schreibt mir jeden Tag und gebt mir Nachricht von Euren Unterhandlungen.«
»Ich werde es nicht unterlassen. Monseigneur.«
»Ganz wohl - doch sagt mir die Namen Eurer Freunde.«
»Die Namen meiner Freunde?« wiederholte d'Artagnan mit einem Reste von Kümmernis.
»Ja, indes Ihr auf Euren Wegen sucht, will auch ich mich meinerseits erkundigen, und werde vielleicht etwas in Erfahrung bringen.«
»Herr Graf de la Fere - sonst Athos; Herr Duvallon - sonst Porthos, und der Herr Chevalier d'Herblay, jetzt Abbe d'Herblay - sonst Aramis.«
Der Kardinal lächelte und sprach: »Jüngere Söhne von Adeligen, die sich unter anderen Namen bei den Musketieren anwerben ließen, um ihre Familiennamen nicht bloßzustellen. Wackere Degen, doch leere Geldsäckel, man weiß das.«
»So Gott will, daß diese Degen in den Dienst Ew. Eminenz treten,« sagte d'Artagnan, »so erlaube ich mir einen Wunsch zu äußern, daß nämlich der Goldsäckel des gnädigen Herrn leicht und der ihrige schwer werde; denn mit diesen drei Männern kann Ew. Eminenz nach Belieben ganz Frankreich, ja ganz Europa in Bewegung setzen.«
»Die Gascogner,« sprach der Kardinal, .»sind im Prahlen beinahe den Italienern gleich.«
»In jedem Falle,« versetzte d'Artagnan mit einem Lächeln, dem des Kardinals ähnlich, »übertreffen sie dieselben, wenn es das Schwert betrifft.«
Darauf entfernte er sich, nachdem er einen Urlaub angesucht, der ihm auch bewilligt und vom Kardinal selbst unterfertigt wurde.
Inzwischen rieb sich der Kardinal die Hände und murmelte: »Hundert Pistolen, ja, für hundert Pistolen habe ich mir ein Geheimnis erkauft, welches Richelieu mit zwanzigtausend Talern hätte bezahlen müssen. Ungerechnet diesen Ring,« - fügte er hinzu und beliebäugelte den Diamant, welchen er behielt, statt ihn d'Artagnan zu geben - »ungerechnet diesen Ring, der mindestens einen Wert von zehntausend Livres hat.«
D'Artagnan ist in Bedrängnis, eine alte Bekanntschaft kommt ihm zu Hilfe
D'Artagnan kehrte also ganz gedankenvoll in sein Gasthaus in der Rue Tiquetonne zurück, fühlte ein ziemlich lebhaftes Vergnügen, den Säckel des Kardinals Mazarin zu tragen, und dachte an den schönen Diamant, der einst sein eigen war und den er einen Augenblick lang am Finger des Ministers blitzen sah. Was hätte d'Artagnan gesagt, wäre es ihm bewußt gewesen, daß die Königin diesen Ring Mazarin gegeben habe, um ihm denselben wieder zurückzustellen?
Als er in die Straße Tiquetonne einbog, sah er, daß dort ein großer Aufruhr stattfinde, und diese Bewegung war in der Nähe seiner Wohnung. »O,« sprach er, »ist etwa Feuer ausgebrochen im Gasthause la Chevrette?«
Als d'Artagnan näher kam, sah er, daß der Auflauf nicht im Gasthause stattfand, sondern im benachbarten Hause. Man erhob ein lautes Geschrei, stürzte mit Fackeln hin und her, und bei diesem Fackellichte bemerkte d'Artagnan Uniformen. Er erkundigte sich, was da vorgehe. Man gab ihm zur Antwort: ein Bürger habe mit etwa zwanzig seiner Freunde einen Wagen angegriffen, der von den Garden des Herrn Kardinals begleitet war, da jedoch eine Verstärkung hinzukam, so seien die Bürger in die Flucht getrieben worden. Der Anführer des Aufstandes flüchtete sich in das Haus neben der Herberge, und jenes werde eben durchsucht.
D'Artagnan wäre als Jüngling noch dahin geeilt, wo er Uniformen sah, und hätte den Soldaten gegen die Bürger beigestanden, doch war er lange nicht mehr dieser Brausekopf; überdies trug er die hundert Pistolen des Kardinals in der Tasche, und so wagte er es nicht, sich in den Auflauf zu mengen. Er kehrte in das Gasthaus zurück, ohne weitere Fragen zu stellen. Einst wollte d'Artagnan immer alles erfahren, jetzt wußte er immer genug.
Die Wirtin - eine stattliche, noch sehr hübsche Frau, die ihrem vornehmen Gaste die Stunden abendlicher Langeweile um so ungezwungener verkürzte, als ihr Ehegemahl seit langer Zeit verschollen war - erwartete d'Artagnan bereits ungeduldig, da sie, im Falle einer Gefahr, auf seinen Schutz hoffte. Sie wollte demnach ein Gespräch mit ihm anknüpfen und ihm mitteilen, was da vorgefallen war, allein d'Artagnan überlegte, und fühlte sich somit nicht geneigt zu plaudern. Sie zeigte auf das dampfende Nachtmahl, allein d'Artagnan verlangte, daß man ihm dasselbe auf sein Zimmer bringe, und eine Bouteille alten Burgunder hinzufüge.
Die schöne Magdalena - so nannte sich die Wirtin - war zum militärischen Gehorsam abgerichtet, nämlich auf einen Wink. Diesmal geruhte d'Artagnan zu sprechen, und ward sogleich mit doppelter Eilfertigkeit bedient. D'Artagnan nahm seinen Schlüssel und ein Licht und begab sich hinauf in sein Zimmer. Um der Miete nicht Eintrag zu tun, begnügte er sich mit einem Zimmer im vierten Stockwerke. Aus Achtung für die Wahrheit müssen wir sogar sagen, daß dieses Zimmer gerade unter der Dachrinne und dem Dache lag.
Sein erstes Geschäft war, daß er in einem alten Schreibtisch, woran nur das Schloß neu war, seinen Geldsäckel einsperrte, den er nicht einmal nachzusehen brauchte, um sich Rechenschaft über die darin befindliche Summe abzulegen. Als hierauf sogleich sein Nachtmahl mit der Bouteille Wein gebracht wurde, schickte er den Aufwärter wieder fort, schloß die Türe ab und setzte sich zu Tische.
Mit Anbruch des Tages wachte er auf, sprang mit ganz militärischer Rüstigkeit aus dem Bette, und ging gedankenvoll im Zimmer auf und nieder, als er das Klirren eines Fensters hörte, das man in seinem Zimmer einschlug.
Er dachte sogleich an seinen Geldsäckel, der im Schreibtische lag, und eilte hinaus. Er irrte sich nicht, es kaum ein Mann durch das Fenster.
»Ha, Unverschämter!« rief d'Artagnan, da er diesen Mann für einen Schurken hielt, und ergriff seinen Degen.
»In des Himmels Namen, mein Herr!« rief der Mann, »stecken Sie Ihre Klinge wieder in die Scheide und durchbohren Sie mich nicht, ohne mich angehört zu haben. Ich bin nichts weniger als ein Dieb. Ich bin ein redlicher, wohlbestallter Bürger mit eigenem Hause. Ich nenne mich - doch wie, irre ich nicht? - Sie sind Herr d'Artagnan!«
»Und du Planchet,« entgegnete der Leutnant.
»Zu dienen, gnädiger Herr,« sagte Planchet voll Entzücken, »wenn ich noch zu dienen imstande wäre.«
»Vielleicht,« versetzte d'Artagnan; »was läufst du denn im Monat Januar um sieben Uhr über die Dächer?«
»Sie sollen es wissen, gnädiger Herr.« erwiderte Planchet, »aber am Ende sollen Sie's vielleicht doch nicht wissen.«
»Sprich, was ist's,« fragte d'Artagnan. »Erst hänge aber eine Serviette vor das Fenster und ziehe den Vorhang zu.« Planchet gehorchte, als er fertig war, sagte d'Artagnan: »Nun?«
»Gnädiger Herr,« antwortete Planchet vorsichtig. »Vor allem sagen Sie, wie Sie mit Herrn von Rochefort stehen.«
»E, ganz gut - warum Rochefort? Du weißt ja doch, er ist jetzt einer meiner besten Freunde.«
»O, desto besser.«
»Wie steht denn aber Rochefort in Beziehung mit dieser Manier, in mein Zimmer zu gelangen?«
»Ha, das ist es, gnädiger Herr; ich will Ihnen fürs erste sagen, daß Rochefort -« Planchet hielt inne.
»Bei Gott,« versetzte d'Artagnan, »ich weiß, daß er in der Bastille ist.«
»Das heißt: er war darin,« entgegnete Planchet.
»Wie denn: er war darin?« fragte d'Artagnan. »War er etwa so glücklich und konnte entwischen?«
»O, gnädiger Herr,« sagte Planchet, »wenn Sie das Glück nennen, so geht alles, so ist alles gut! Wie mich dünkt, so ließ man gestern Herrn Rochefort aus der Bastille holen.«
»Nun, beim Himmel, ich weiß es, da ich ihn dort abholte.«
»Doch zum Glücke für ihn haben Sie ihn nicht wieder dahin zurückgeführt, denn hätte ich Sie unter der Bedeckung erkannt, gnädiger Herr, so glauben Sie mir, ich hegte für Sie noch immer zu viel Achtung -«