Выбрать главу

Als sich Athos und Aramis der Wiege von Paris näherten, fanden sie die Straßen überschwemmt und waren abermals genötigt, einen Kahn zu nehmen. Der erzbischöfliche Palast ragte mitten aus dem Wasser empor, und vermöge der vielen Kähne, die rings um denselben angebunden waren, hätte man glauben mögen, man befinde sich nicht in Paris, sondern in Venedig. Diese Kähne fuhren hin und her, kreuzten sich in allen Richtungen und verloren sich im Straßenlabyrinth der City, oder in der Richtung des Zeughauses, oder des Kais von Saint-Victor und steuerten wie in einem See. Von diesen Schiffen waren die einen still und geheimnisvoll, die anderen lärmend und illuminiert. Die zwei Freunde glitten unter diese Welt von Fahrzeugen und landeten gleichfalls. Das ganze Erdgeschoß des erzbischöflichen Palastes stand unter Wasser, doch wurde eine Art Treppe an die Mauern gelegt, und die ganze Veränderung, die aus der Überschwemmung hervorgegangen war, bestand darin, daß man durch die Fenster eintrat, statt durch die Tore. Auf diese Art gelangten Athos und Aramis in das Vorgemach des Koadjutors, welches voll von Bedienten war, da sich ein Dutzend Kavaliere im Wartezimmer befanden. »Mein Gott!« rief Aramis, »seht nur, Athos, will sich etwa dieser Koadjutor das Vergnügen machen, uns im Vorzimmer warten zu lassen?« Athos lächelte und sagte: »Lieber Freund, man muß die Menschen hinnehmen mit all den Unannehmlichkeiten ihrer Stellung. Der Koadjutor ist in diesem Augenblicke einer der sieben oder acht Könige, welche in Paris regieren. Er macht einen Hof.« »Ja,« versetzte Aramis, »allein wir sind leine Höflinge.« »Somit wollen wir ihm unsere Namen melden lassen, und wenn er darauf keine geziemende Antwort gibt, so werden wir ihn bei den Angelegenheiten Frankreichs oder den seinigen lassen. Es handelt sich bloß darum, daß wir einen Diener rufen und ihm eine halbe Pistole in die Hand drücken.« »Nun eben,« sagte Aramis -»ich irre mich nicht - ja - nein - dennoch - es ist Bazin, der Schlingel, er kommt.« Bazin, der in diesem Augenblicke in seinem Küsteranzug majestätisch durch das Vorgemach schritt, wandte sich mit gerunzelter Stirne, um den Unverschämten zu sehen, der ihn auf solche Weise anredete. Kaum hatte er aber Aramis erkannt, so wurde aus dem Tiger ein Lamm, er ging auf die beiden Kavaliere zu und sagte: »Wie doch, Sie sind es, Herr Chevalier? Sie, Herr Graf? Sie kommen nun in dem Augenblicke an, wo wir so sehr um Sie besorgt waren. O, wie bin ich glücklich, Sie wieder zu sehen!« »Gut, gut, Meister Bazin,« rief Aramis, »halte ein mit Glückwünschen. Wir wollen den Herrn Koadjutor sprechen, doch muß das auf der Stelle geschehen, da wir Eile haben.« »Wie, augenblicklich?« entgegnete Bazin, »ja doch; Kavaliere, wie Sie, läßt man nicht im Vorgemache warten. Nur hat er in diesem Momente eine Beratung mit einem Herrn de Bruy. »De Bruy!« riefen zugleich Athos und Aramis. »Ja, ich habe ihn angemeldet und erinnere mich ganz wohl an seinen Namen. Kennt ihn der gnädige Herr?« fügte er hinzu und wandte sich an Aramis. »Mich dünkt, daß ich ihn kenne.« »Ich könnte das nicht behaupten,« entgegnete Bazin, »denn er war so dicht in seinen Mantel gehüllt, daß ich bei aller Mühe, die ich mir gab, kein Fleckchen seines Gesichtes zu sehen vermochte. Ich will aber hingehen und Sie anmelden, vielleicht bin ich diesmal glücklicher.« »Es ist nicht vonnöten,« versetzte Aramis, »wir leisten für diesen Abend darauf Verzicht, den Herrn Koadjutor zu sehen, nicht wahr, Athos?« »Wie es Euch beliebt,« erwiderte der Graf. »Ja, er hat mit diesem Herrn von Bruy zu wichtige Geschäfte abzutun.« »Und darf ich ihm sagen, daß diese Herren nach dem erzbischöflichen Palaste gekommen sind?« »Nein,« sagte Aramis, »es ist nicht der Mühe wert. Kommt, Athos.«

Die zwei Freunde drängten sich wieder durch die Menge der Bedienten und verließen den Palast, von Bazin begleitet, der ihre Wichtigkeit durch verschwenderische Höflichkeitsbezeigungen kundgab. »Nun,« fragte Athos, als er mit Aramis im Kahne saß, »fangt Ihr an zu glauben, daß wir all dieses Leuten mit der Verhaftung des Herrn von Mazarin einen üblen Streich gespielt hätten?« »Ihr seid die leibhaftige Weisheit, Athos,« entgegnete Aramis. Was die zwei Freunde hauptsächlich überraschte, war das geringe Gewicht, welches man am Hofe von Frankreich auf die furchtbaren Ereignisse in England legte, da sie ihnen doch die Aufmerksamkeit von ganz Europa erwecken zu müssen schienen. Eine arme Witwe und eine königliche Waise ausgenommen, welche in einem Winkel des Louvre trauerten, schien auch wirklich niemand zu wissen, daß es einen König Karl I. gegeben, und daß dieser König auf einem Schafott gestorben sei. Die zwei Freunde gaben sich für den folgenden Morgen um zehn Uhr das Rendezvous, denn wiewohl es schon spät war, als sie an das Tor des Gasthauses kamen, so behauptete Aramis doch, er habe noch wichtige Besuche zu machen, und ließ Aramis allein eintreten.

Am nächsten Morgen trafen sie Schlag zehn Uhr zusammen. Athos war schon um sechs Uhr früh ausgegangen. »Nun,« fragte Athos, »habt Ihr irgendeine Nachricht erhalten?« »Keine; man sah d'Artagnan noch nirgends und Porthos zeigte sich gleichfalls nicht. Und Ihr?« »Ich weiß nichts.« »Teufel!« rief Aramis. »Wahrlich,« sprach Athos, »diese Verspätung ist nicht natürlich; sie nahmen den geradesten Weg und hätten uns folglich zuvorkommen müssen.« »Fügt noch bei,« versetzte Aramis, »daß uns d'Artagnans Schnelligkeit bekannt ist, und daß er keine Stunde verloren hätte, da er wußte, daß wir seiner harren.« »Wenn Ihr Euch noch erinnert, so hoffte er, hier am Fünften einzutreffen.« »Und wir haben bald den Neunten. Diesen Abend geht die festgesetzte Frist zu Ende.« »Was glaubt Ihr wohl zu tun,« fragte Athos, »wenn wir diesen Abend noch keine Nachricht haben?« »Bei Gott, wir reisen ab, um sie aufzusuchen.« »Wohl,« versetzte Athos. »Allein Rudolf?« fragte Aramis. Über Athos' Stirne zog eine leichte Wolke hin; er sagte: »Rudolf macht mir viel Sorge; er erhielt gestern einen Brief von dem Prinzen Conde; er ging zu ihm nach Saint-Cloud und kehrte noch nicht zurück.« »Saht Ihr Frau von Chevreuse nicht?« »Sie war nicht zu Hause; und Ihr, Aramis, mußtet zu Frau von Longueville gehen, wie ich glaube?« »Ich war schon dort.« »Nun?« »Auch sie war nicht zu Hause, doch hat sie wenigstens die Adresse ihrer neuen Wohnung zurückgelassen.« »Wo war sie denn?« »Ratet, ich wette tausend gegen eins.« »Wie sollte ich es erraten, wo um Mitternacht - denn ich setze voraus, daß Ihr zu ihr gegangen seid, als Ihr mich verließet - wie sollte ich erraten, sage ich, wo um Mitternacht die schönste und rührigste Frondeuse ist!« »Im Rathause, mein Lieber.« »Wie, im Rathause? Ist sie denn zum Stadtschultheiß erwählt?« »Nein, sie machte sich aber zur einstweiligen Königin von Paris, und da sie sich nicht getraute, sich gleich anfangs im Palais-Royal oder in den Tuilerien einzurichten, so bezog sie das Stadthaus und wird nächstens dem lieben Herzog einen Erben oder eine Erbin schenken.« »Lieber Aramis,« sagte Athos, »Ihr erwähntet mir Nichts von diesem Umstande.« »Bah, wirklich? So habe ich das vergessen. Verzeiht.« »Nun,« fragte Athos, »was wollen wir bis abends tun? Wir sind jetzt nicht stark beschäftigt, wie mich dünkt.« Ihr vergeßt, daß wir etwas ganz Zugeschnittenes fertig zu bringen haben.« »Wo denn.« »In der Richtung von Charenton hin, bei Gott; ich hoffe, dort einen gewissen Herrn von Chatillon, den ich lange schon hasse, seinem Versprechen gemäß anzutreffen.« »Und weshalb haßt Ihr ihn?« »Weil er der Bruder eines gewissen Herrn von Coligny ist.« »Ah, richtig, das hatte ich vergessen! - er hat sich die Ehre angemaßt, Euer Nebenbuhler zu sein. Er wurde ob dieser Kühnheit sehr grausam bestraft, und das sollte Euch genügen, mein Lieber.« »Ja, ich sage Euch, das genügt mir nicht, da ich rachsüchtig bin. Und dann, Athos, versteht es sich von selbst, daß Ihr ganz und gar nicht gehalten seid, mich zu begleiten.« »Geht, Ihr scherzt nur,« sprach Athos. »Wenn Ihr entschlossen seid, mich zu begleiten, mein Lieber, so ist keine Zeit zu verlieren. Die Trommel wurde gerührt, ich begegnete den Reitern, welche aufbrachen, und sah Bürger, die sich vor dem Rathause in Schlachtordnung aufstellten; man wird sich sicher in der Nähe von Charenton schlagen, wie gestern Herr von Chatillon gesagt hat.« »Ich war der Meinung,« versetzte Athos, »die Beratungen dieser Nacht hätten an den kriegerischen Anordnungen etwas geändert.« »Ja, zweifelsohne, man wird sich aber nichtsdestoweniger schlagen, geschähe es auch nur, um diese Beratungen mehr zu maskieren.«