»Pst! so ende doch einmal, was ist denn geschehen?«
»Wohlan, es geschah, daß ein großes Murren entstand, als die Kutsche des Herrn von Rochefort mitten in der Straße la Feronnerie durch eine Gruppe Volkes fuhr und die Leute der Bedeckung rauh gegen die Bürger waren; der Gefangene hielt das für eine günstige Gelegenheit sich zu nennen und um Hilfe zu rufen. Ich war anwesend, erkannte den Namen des Grafen von Rochefort, erinnerte mich, daß er es war, durch den ich Wachtmeister im Regiment Piemont geworden bin und rief laut: er sei ein Gefangener, er sei ein Freund des Herrn Herzogs von Beaufort. Man bot Trotz, hielt die Pferde an und warf die Bedeckung nieder. Mittlerweile öffnete ich den Kutschenschlag. Herr von Rochefort stieg aus und verlor sich in der Menge. Zum Unglück zog in diesem Momente eine Runde vorüber, verband sich mit den Leibwachen und griff uns an; ich ward bedrängt, zog mich zurück nach der Seite der Straße Tiquetonne, und flüchtete mich hier in das anstoßende Haus; man umzingelte und durchsuchte dasselbe, allein vergebens. Ich fand im fünften Stock eine mitleidige Person, die mich zwischen den Tapeten versteckt hielt. Da blieb ich denn bis zum Anbruch des Tages, und in der Besorgnis, man würde vielleicht am Abend die Untersuchungen wiederholen, wagte ich mich auf die Dachrinnen, wobei ich fürs erste in irgendeinem Hause einen Eingang und auch einen Ausgang suchte, die nicht bewacht wären. Das ist meine Geschichte, und auf Ehre, gnädiger Herr, ich wäre trostlos, wenn sie Ihnen mißfiele.«
»Nicht doch,« erwiderte d'Artagnan, »ich freue mich im Gegenteile sehr, wenn Rochefort frei ist. Weißt du aber eines? Daß du nämlich gehenkt wirst, wenn du den Leuten des Königs in die Hände gerätst.«
»Bei Gott, ob ich das weiß,« versetzte Planchet; »das ist es eben, was mich selbst bekümmert, und deshalb bin ich so froh, daß ich Sie wiederfand, denn wenn Sie mich verstecken wollen, so kann es niemand so gut wie Sie.«
»Ja,« sagte d'Artagnan, »das will ich recht gern, wiewohl ich mich mit meiner Stelle gefährde, wenn es kund wird, daß ich einem Anführer Zuflucht gewährte.«
»Ach, gnädiger Herr, Sie wissen wohl, daß ich für Sie mein Leben einsetzen würde.«
»Du darfst sogar beifügen, Planchet, daß du es schon eingesetzt hast. Ich vergesse nur das, was ich vergessen muß, doch an dies will ich mich stets erinnern. Setze dich also dorthin und iß ruhig, denn ich bemerke die ausdrucksvollen Blicke, die du auf die Überreste meines Nachtmahls wirfst.«
»Ja, gnädiger Herr, denn die Speisekammer der Nachbarin war schlecht bestellt; ich habe seit gestern Mittag nichts genossen als eine Brotschnitte mit Zwetschgenmus. Wiewohl ich die Süßigkeiten zu gehöriger Zeit nicht verschmähe, so fand ich doch das Abendmahl ein bißchen gar zu leicht.«
»Armer Junge,« sprach d'Artagnan,»stärke dich also.«
»Ach, gnädiger Herr,« sagte Planchet. »Sie retten mir zweimal das Leben.«
Er setzte sich an den Tisch und begann da zu verschlingen wie in den guten Tagen der Straße Fossoyeurs. D'Artagnan ging indessen auf und nieder und dachte über die Vorteile nach, welche er in seiner gegenwärtigen Lage aus Planchet ziehen könnte. Mittlerweile arbeitete Planchet mit allen Kräften, um die verlornen Stunden wieder einzubringen. Endlich stieß er den Seufzer der Befriedigung eines hungrigen Menschen aus, womit er andeutet, er wolle jetzt, nachdem die erste und tüchtige Grundlage gelegt ist, eine kleine Pause machen.
»Sag' an,« sprach d'Artagnan, der da glaubte, nun wäre der rechte Moment gekommen, um das Verhör zu beginnen; »gehen wir der Ordnung nach, weißt du, wo Athos ist?«
»Nein, mein Herr,« entgegnete Planchet.
»Teufel! weißt du, wo Porthos ist?«
»Eben so wenig.«
»Teufel! Teufel - und Aramis?«
»Gleichfalls nicht.«
»Teufel! Teufel! Teufel!«
»Aber,« versetzte Planchet mit seiner schlauen Miene, »ich weiß, wo Bazin ist!«
»Wie, du weißt, wo Bazin ist?«
»Ja, gnädiger Herr.«
»Wo ist er denn?«
»In Notre-Dame.«
»Und was tut er in Notre-Dame.«
»Er ist Kirchendiener.«
»Bazin, Kirchendiener in Notre-Dame? weißt du das gewiß?« »Ganz gewiß, ich habe ihn gesehen und mit ihm geredet.« »Er muß wohl wissen, wo sein Herr ist.« »Ohne Zweifel.«
D'Artagnan dachte nach, sodann nahm er seinen Mantel und seinen Degen und machte Miene fortzugehen.
»Gnädiger Herr,« rief Planchet mit kläglicher Miene, »wollen Sie mich in dieser Lage verlassen? Bedenken Sie, ich habe keine andere Hoffnung als auf Sie allein.«
»Man wird dich hier nicht suchen,« erwiderte d'Artagnan.
»Wenn man aber doch käme,« versetzte der vorsichtige Planchet, »bedenken Sie nur, daß mich die Leute des Hauses, die mich nicht eintreten gesehen, für einen Dieb halten.«
»Das ist wahr,« sprach d'Artagnan, »laß uns nachdenken. Sprichst du irgendeine Mundart?«
»Ich spreche mehr als das, gnädiger Herr, ich verstehe eine fremde Sprache, nämlich flamändisch.«
»Zum Teufel, wo hast du das gelernt?«
»In Artois, wo ich zwei Jahre im Felde stand. Hören Sie: Goeden morgen, myn heer, ik ben begeerd te weeten hoc uwe gezoudheyd bestaed.«
»Was will das sagen?«
»Guten Morgen, mein Herr; ich beeile mich, Sie um den Stand Ihrer Gesundheit zu befragen.«
»Das nennt er eine Sprache! Doch gleichviel,« sagte Artagnan. »Das kommt nach Wunsch.«
D'Artagnan trat zu der Türe, rief einen Aufwärter und befahl ihm, der schönen Magdalena zu melden, sie möge heraufkommen.
»Was tun Sie, gnädiger Herr?« sagte Planchet; »wollen Sie etwa unser Geheimnis einer Frau anvertrauen?«
»Sei unbekümmert, diese wird kein Wort verraten.«
In diesem Moment trat die Wirtin ein; sie kam mit lächelndem Gesichte, und hoffte d'Artagnan allein anzutreffen, als sie aber Planchet erblickte, trat sie betroffen einen Schritt zurück.
»Liebe Wirtin,« rief d'Artagnan, »hier stelle ich Euch Euern Herrn Bruder vor, der aus Flandern angekommen ist, und den ich für einige Tage in meine Dienste aufnehme.«
»Mein Bruder?« sagte die Wirtin noch mehr betroffen.«
»Begrüßt doch Eure Schwester, Master Peter.«
»Willkom, Zuster,« sagte Planchet. »Goeden tag, broder!« antwortete die Witwe erstaunt. »Hört, wie das kommt,« sprach d'Artagnan; »dieser Herr ist Euer Bruder, den Ihr vielleicht nicht kennt, den aber ich kenne; er kam aus Amsterdam. Kleidet ihn während meiner Abwesenheit, und wenn ich zurückkomme, das ist in einer Stunde, stellt Ihr ihn mir vor, und indem ich Euch nichts verweigern kann, so nehme ich ihn in meinen Dienst auf, wiewohl er, versteht Ihr, kein Wort französisch spricht.«
»Ich errate Eure Wünsche, und mehr bedarf ich nicht,« entgegnete Magdalena.
»Ihr seid eine schätzbare Frau, meine schöne Wirtin, und ich vertraue auf Euch.« Er gab Planchet ein Zeichen des Einverständnisses und ging fort, um sich nach Notre-Dame zu begeben.
Von den verschiedenen Wirkungen, die eine halbe Pistole auf einen Kirchendiener und auf einen Chorknaben haben kann
D'Artagnan nahm seinen Weg nach dem Pont-neuf und wünschte sich dabei Glück, daß er Planchet wieder gefunden, denn wiewohl er dem würdigen Diener gern einen Dienst erwiesen hätte, so war es doch in der That Planchet, der d'Artagnan einen Dienst leistete. D'Artagnan kam also nach Notre-Dame, zufrieden mit dem Zufall und mit sich selber. Er stieg über die Vortreppe, trat in die Kirche, wandte sich zu einem Sakristan, der eine Kapelle fegte, und fragte ihn, ob er wohl einen Herrn Bazin kenne.
»Herrn Bazin, den Kirchendiener?« fragte der Sakristan.
»Ja, ihn.«
»Dort in der Kapelle bereitet er eben die Messe vor.«
D'Artagnan begab sich, mit dieser Auskunft sehr zufrieden, sofort nach der Kapelle, und begegnete schon in der Türe dem biederen Bazin, der eben mit seiner Arbeit fertig geworden war und von dem unerwarteten Besuch wenig erbaut zu sein schien. Als d'Artagnan nun gar nach dem Aufenthaltsort d'Herblays fragte, ging ein gewaltiger Schrecken über die Züge Bazins, der für die Seelenruhe seines Herrn zu fürchten begann; er behauptete steif und fest, nichts über Aramis zu wissen.