»O, mein Gott, ja, mein Herr, ich weiß, daß wir damit endigen werden; allein es handelt sich nicht bloß um sie, sie haben mir nicht die empfindlichsten Beleidigungen zugefügt.«
»Ach, ich begreife, Sie wollen von den Erinnerungen reden, welche diese drei oder vier Kavaliere unablässig hervorrufen. Wir halten sie in Gewahrsam, und sie sind strafbar genug, um sie so lang behalten zu können, wie es uns beliebt. Nur Einer ist noch außer unserer Gewalt, und bietet uns Trotz. Doch zum Teufel! wir werden auch ihn mit seinen Kameraden vereinigen können. Ich denke, daß wir schon viel Schwierigeres getan haben als das. Ich ließ zuvörderst und vorsichtshalber die zwei Widerspenstigsten in Rueil einsperren, nämlich unter meinen Augen und mir zur Hand. Der dritte wird noch heute zu ihnen stoßen.«
»So lange sie gefangen sitzen, wird das gut sein,« versetzte die Königin, »doch werden sie eines Tages frei werden.«
»Ja, wenn sie Ihre Majestät in Freiheit setzt.«
»Ha doch,« fuhr die Königin fort, auf ihre eigenen Gedanken antwortend, »so beklagt man Paris.«
»Warum?«
»Wegen der Bastille, mein Herr, die so fest und verschwiegen ist.« »Madame, mit den Konferenzen haben wir den Frieden, mit dem Frieden haben wir Paris, mit Paris besitzen wir die Bastille, und darin sollen unsere vier Großsprecher verkümmern.« Die Königin Anna runzelte leicht ihre Stirne, indes ihr Mazarin die Hand küßte, um sich zu beurlauben.
Begleitet von Mazarin und bedeckt von Comminges und einigen Soldaten, kam Athos nach Rueil, wo er im Auftrage Mazarins im Pavillon der Orangerie untergebracht wurde. Comminges zeigte sich sehr entgegenkommend und teilte Athos zu dessen Verwunderung mit, daß sich d'Artagnan im selben Hause befinde, und daß nur eine Mauer verhindere, daß die beiden Freunde einander durch die Fenster erblicken könnten. Athos bat Comminges, d'Artagnan seine Ankunft mitzuteilen und ihm auch beiläufig zu erzählen, daß Mazarin, ihn, Athos, noch am selben Abend zu besuchen, versprochen habe.
Kopf und Arm
Nunmehr begeben wir uns von der Orangerie nach dem Jagdpavillon. Im Erdgeschosse dieses Pavillons saßen Porthos und d'Artagnan, und teilten die langen Stunden ihrer Gefangenschaft, welche diesen beiden Temperamenten so widerwärtig war. D'Artagnan schritt mit stieren Augen und manchmal dumpf brüllend längs der eisernen Stangen eines breiten Fensters, das auf den Diensthof ging, einem Tiger ähnlich, auf und nieder. Porthos wiederkäute stillschweigend ein kostbares Mittagsmahl, von dem die Ueberreste eben weggetragen wurden. Der Eine schien der Vernunft beraubt und tiefsinnig; der Andere schien in tiefes Nachdenken verloren und schlief; nur war sein Schlaf ein schwerer Traum, was sich aus der abgebrochenen und unzusammenhängenden Weise seines Schnarchens erraten ließ. »Seht, der Tag neigt sich,« sprach d'Artagnan. »Es muß ungefähr vier Uhr sein. Es sind bald 183 Stunden, daß wir hier sitzen.«
»Hm,« machte Porthos, als wollte er damit eine Antwort gegeben haben. »Hört Ihr denn nicht, ewiger Schläfer!« rief d'Artagnan ungeduldig, daß sich ein Anderer bei Tage dem Schlafe hingeben könne, wo er alle Mühe von der Welt hatte, um nachts schlafen zu können. »Was?« fragte Porthos. »Was ich sage.«
»Was sagt ihr denn?«
»Ich sage, daß wir schon bald 183 Stunden hier sitzen,« entgegnete d'Artagnan, »Daran seid Ihr Schuld,« sagte Porthos. »Wie, ich bin daran Schuld... ?«
»Ja, ich habe Euch angeboten, uns aus dem Staube zu machen.«
»Indem Ihr eine Stange wegrisset oder eine Türe durchbrächet?«
»Allerdings.«
»Porthos, Leute wie wir gehen nicht so schlicht und einfach davon.«
»Meiner Treue! ich würde doch fortgehen mit diesem Schlachtrock und einfach, was Euch gar so verächtlich vorkommt.« D'Artagnan zuckte die Achseln und sprach: »Dann ist auch damit noch nicht alles abgetan, wenn wir aus diesem Gemache wegkommen.«
»Lieber Freund,« erwiderte Porthos. »Eure heutige Laune scheint mir etwas besser als die gestrige. Erklärt mir, wie nicht alles abgetan sei, wenn wir von hier wegkommen.«
»Es ist damit noch nicht alles abgetan, weil wir ohne Waffen und Losungswort im Hofe nicht fünfzig Schritte machen könnten, ohne auf eine Schildwache zu stoßen.«
»Nun,« antwortete Porthos, »so schlagen wir diese Schildwache nieder, und bemächtigen uns ihrer Waffen.«
»Ja, bevor sie aber ganz niedergemacht, wird sie einen Schrei oder wenigstens ein Ächzen ausstoßen, wonach der Wachtposten hervortreten wird; man wird uns umringen und wie Füchse fangen, uns, die wir Löwen sind.«
So stand es mit unseren Gefangenen, als Comminges eintrat, dem ein Sergeant und zwei Mann vorangingen, die das Abendessen in einem Korbe voll Schüsseln und Tellern brachten.
»Richtig, wieder Hammelfleisch!« rief Porthos.
»Lieber Herr von Comminges,« sprach d'Artagnan, »wisset, daß mein Freund, Herr du Vallon, das Äußerste tun will, wenn Herr von Magarin fortfährt, uns mit dieser Art Fleisch zu füttern.«
»Ich erkläre sogar, daß ich nichts anderes essen werde,« sagte Porthos, »wenn man das nicht fortschafft.«
»Tragt das Hammelfleisch wieder fort,« sagte Comminges, »ich will, daß Herr du Vallon auf angenehme Weise nachtmahle, um so mehr, da ich ihm eine Botschaft zu bringen habe, welche ihm, davon bin ich überzeugt, Appetit machen wird.«
»Ist etwa Herr von Mazarin gestorben?« fragte Porthos.
»Nein, ich bedaure sogar, Euch sagen zu müssen, daß er sich recht wohl befindet.«
»Desto schlimmer,« entgegnete Porthos.
»Macht es Euch Freude, zu erfahren, daß sich der Herr Graf de la Fere wohl befindet?« fragte Comminges. D'Artagnan riß seine kleinen Augen weit auf und rief:
»Ob mir das Freude macht? es würde mich derart freuen, daß ich glücklich wäre.«
»Nun denn, ich bin von ihm selbst beauftragt, Euch seinen Gruß zu überbringen, und zu melden, daß er gesund ist.« D'Artagnan wäre vor Entzücken fast aufgesprungen. Ein flüchtiger Blick übersetzte Porthos seinen Gedanken.
»Wenn Athos weiß wo wir sind,« sprach dieser Blick, «wenn er uns grüßen läßt, so wird Athos alsbald auch handeln.« Porthos war nicht sehr gewandt, Blicke zu verstehen, da er aber diesmal bei Athos' Namen denselben Eindruck empfunden hatte, so verstand er auch.
»Allein,« fragte der Gascogner schüchtern, »Ihr sagt, der Graf de la Fere beauftragte Euch mit einem Gruß für Herrn du Vallon und mich?«
»Ja, mein Herr.«
»Habt Ihr ihn gesehen?«
»Allerdings.«
»Wo das? ohne Unbescheidenheit.«
»Gar nicht weit von hier!« entgegnete Comminges lächelnd.
»Gar nicht weit von hier?« wiederholte d'Artagnan mit strahlenden Augen. »So nahe, daß, wären die Fenster nicht vermauert, welche nach der Orangerie gehen, Ihr ihn von der Stelle aus, wo Ihr eben steht, sehen könntet.« Er streicht da herum, dachte d'Artagnan, dann sprach er laut:
»Habt Ihr ihn vielleicht auf der Jagd getroffen - im Parke?«
»O nein; näher noch, viel näher. Seht dort, hinter jener Mauer,« sprach Comminges und klopfte an die Wand.
»Hinter jener Mauer? Was ist denn dort hinter der Mauer? Man brachte mich des Nachts hierher, und so weiß ich den Teufel, wo ich mich befinde.«
»Nun, so setzt eines voraus,« sprach Comminges.
»Ich will alles voraussetzen, was Ihr wollet.«
»Setzt voraus, es befindet sich an dieser Wand ein Fenster.«
»Nun?«
»Nun, so könntet Ihr von diesem Fenster aus den Herrn de la Fere an dem seinigen erblicken.«
»Wohnt also de la Fere im Schlosse?«
»Ja.«
»Unter welchem Titel?«
»Ebenso wie Ihr,«
»Athos ist Gefangener?«