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D'Artagnan sah ein, daß er so nicht zum Ziele gelangen würde und begann, als Bazin sich entfernt hatte, einen kleinen Chorknaben, der ihm gerade in den Weg lief, auszuforschen. Nach wenigen Fragen schon, deren Nachdrücklichkeit durch einige Münzen unterstützt wurde, erfuhr er, daß Bazin häufig nach Roisy zu reiten pflegte, wo, wie d'Artagnan wußte, sich ein Palais des Erzbischofs von Paris befand, das gegenwärtig des Erzbischofs Nichte, die Frau von Longueville, beherbergte. Nun wußte er schon, was er hatte wissen wollen und begab sich noch am gleichen Tage mit Planchet auf den Weg nach Roisy. Die Eintönigkeit dieses Rittes wurde plötzlich durch eine Schar von Reitern unterbrochen, die, offenbar jemand verfolgend, d'Artagnan anhielten und erst, als sie in ihm einen Offizier der Garden erkannten, den Weg freigaben und d'Artagnans aufwallenden Zorn dadurch in dem Momente besänftigten, als er eben nach seinem Degen greifen wollte.

Als die beiden Reiter in Roisy ankamen, hielten sie vor dem Palais des Erzbischofs, um zu beraten, wie sie jetzt, da es spät am Abend war, Aramis auffinden könnten. Da fühlte Planchet plötzlich eine heftige Erschütterung seines Pferdes, drehte sich erschrocken um und sah hinter sich - Aramis sitzen, der aus den Wolken gefallen zu sein schien. Der Abbe begrüßte die beiden Ankömmlinge, bat sie, alle Fragen für später zu bewahren und jetzt den Weg einzuschlagen, den er ihnen zeigen wollte. So gelangte man bald zu Aramis' Haus. Zu d'Artagnans größtem Erstaunen betrat man es nicht durch das Tor, sondern mittels einer Strickleiter durch ein Fenster; eine Maßnahme, die Aramis mit der vorgerückten Zeit und der Strenge der Klosterregeln entschuldigte.

Während Planchet in einer Bedientenwohnung untergebracht wurde, machten d'Artagnan und Aramis es sich in einem eben so reich als geschmackvoll ausgestatteten Zimmer bequem. Bazin, der ein köstliches Mahl auftrug, ließ beim Anblick d'Artagnans fast die Schüssel fallen und zitterte, als ob er den Teufel selbst in seines Herrn Wohnung angetroffen hätte.

»Nun sind wir allein, lieber Aramis,« sprach d'Artagnan, indem er seine Augen von der Wohnung auf den Bewohner richtete und die mit den Möbeln begonnene Musterung mit den Kleidern beendigte; »wo zum Teufel seid Ihr hergekommen, als Ihr hinter Planchet auf das Pferd fielet?«

»Ei, potz Wetter,« entgegnete Aramis. Ihr saht es doch, aus dem Himmel.«

»Aus dem Himmel?« wiederholte d'Artagnan kopfschüttelnd, »Ihr seht ebensowenig danach aus, daß Ihr aus ihm kommt, als zu ihm gelangt.«

»Mein Lieber,« erwiderte Aramis mit einer blöden Miene, welche d'Artagnan damals, wo er noch Musketier war, nie an ihm bemerkt hatte, »kam ich nicht aus dem Himmel, so kam ich doch wenigstens aus dem Paradiese, was damit viele Ähnlichkeit hat.«

»Nun, so sind jetzt die Gelehrten einig,« versetzte d'Artagnan, »bis jetzt konnte man sich nicht verständigen über die bestimmte Lage des Paradieses; die einen verlegten es auf den Berg Ararat, die andern zwischen Tigris und Euphrat; wie es scheint, suchte man es in der Ferne, während es ganz nahe lag. Das Paradies ist in der Boish-le-Sec, an der Stelle des Schlosses des Herrn Erzbischofs von Paris. Man verläßt es nicht durch die Türe, sondern durch das Fenster, man steigt aus ihm nicht herab über die Marmorstufen einer Vorhalle, sondern auf den Ästen einer Linde, und der Engel, der es bewacht, hat gerade das Aussehen, als hätte er seinen himmlischen Namen vertauscht mit dem mehr irdischen: eines Prinzen von Marsillac.«

Aramis erhob ein Gelächter und sagte: »Ihr seid noch immer ein lustiger Gesell, mein Lieber, und Euer geistreicher gascognischer Witz ist Euch nicht untreu geworden. Ja, es liegt in allem dem wohl etwas Wahres; nur geht mindestens nicht so weit, zu glauben, daß ich in Frau von Longueville verliebt bin.«

»Pest, ich werde mich wohl davor hüten,« entgegnete d'Artagnan. »Da Ihr so lang in Frau von Chevreuse verliebt waret, so werdet Ihr Euer Herz nicht ihrer größten Feindin geschenkt haben.«

»Ihr begreift wohl, mein Lieber,« versetzte Aramis. »Damals, wo ich Musketier war, bezog ich die Wachen so wenig als möglich, und jetzt, wo ich im Kloster lebe, schone ich mich, so sehr ich kann. Doch kommen wir wieder auf diese arme Herzogin.«

»Auf welche denn? auf die Herzogin von Chevreuse oder von Longueville?«

»Ich sagte Euch bereits, mein Lieber, zwischen mir und der Herzogin von Longueville bestehe kein Verhältnis - vielleicht Koketterien, aber weiter nichts. Nein, ich sprach von der Herzogin von Chevreuse; saht Ihr sie vielleicht bei ihrer Zurückkunft nach des Königs Tode?«

»Ja, wirklich, und sie war noch sehr schön.«

»Ja,« versetzte Aramis, »auch ich habe sie damals ein bißchen gesehen und ihr vortreffliche Ratschläge erteilt, die sie aber nicht benützt hat; ich sagte ihr, daß Mazarin die Königin liebe, allein sie wollte mir nicht glauben, und erwiderte, sie kenne Anna, die zu stolz wäre, um solche Empfindungen zu teilen. Da mengte sie sich in die Umtriebe des Herzogs von Beaufort, und Mazarin ließ den Herzog von Beaufort verhaften und Frau von Chevreuse verweisen.«

»Ihr wißt,« sagte d'Artagnan, »daß sie die Erlaubnis wieder erhielt, zurückzukehren.«

»Ja, und ich weiß auch, daß sie zurückgekommen ist. Vielleicht begeht sie wieder eine Unbesonnenheit.«

»O, diesmal befolgt sie doch wohl Eure Ratschläge.«

»Ach, diesmal sah ich sie nicht wieder,« entgegnete Aramis; »sie hat sich sehr verändert.«

Als sich die zwei Freunde allein befanden, saßen sie ein Weilchen stillschweigend einander gegenüber. Aramis schien auf eine sanfte Verdauung zu warten; d'Artagnan bereitete sich vor auf seine Anrede. Wenn ihn eben der andere nicht ansah, so wagte jeder von ihnen einen verstohlenen Blick. Aramis brach das Stillschweigen zuerst. Er fragte seinen Gast nach den besonderen Beweggründen dieses überraschenden Besuches, der auch nicht zögerte, ihm diese langsam und vorsichtig zu enthüllen. D'Artagnan fragte zunächst, ob sich Aramis noch mit Politik befasse; und als er, in etwas gewundener, augenscheinlich unaufrichtiger Form seine Frage verneint gehört, erinnerte er seinen alten Kameraden an die schöne Zeit der gemeinsamen Abenteuer und Kämpfe und schloß daran die Aufforderung, dieses Leben von neuem zu beginnen. Er erläuterte weiter, daß dieses Unternehmen im Augenblick wieder besonders reiche Aussichten biete, da Mazarin und die Königin tapferer Männer bedürften.

Aramis witterte einen Auftrag des Kardinals und lehnte freundlich, aber sehr entschieden ab. Nunmehr waren beide bemüht, das Thema in eine neutrale Bahn zu bringen und ließen die Politik geflissentlich aus dem Spiel. Man sprach von den alten Freunden, wobei Aramis unter anderem erwähnte, daß Porthos Besitzer großer Güter geworden sei; sein gegenwärtiger Aufenthalt sei das Landgut Bracieux in der Pikardie. Diese Nachricht gab d'Artagnan neue Hoffnung. Nachdem man noch über dies und jenes geplaudert hatte, verabschiedete sich d'Artagnan sehr herzlich, verließ das Haus und holte Planchet.

Aramis ließ es sich nicht nehmen, seine Gäste bis ans Ende des Dorfes zu begleiten, wo er dann nach einem zweiten freundlichen Abschied wieder umkehrte.

Nach zweihundert Schritten hielt d'Artagnan plötzlich an, sprang vom Pferde, warf Planchet die Zügel zu, und nahm aus den Halftern die Pistolen, die er in seinen Gürtel steckte. »Was tun Sie denn, gnädiger Herr?« fragte Planchet ganz erschreckt.

»Was ich tue?« sagte d'Artagnan. »Wie schlau er auch sei, so soll er doch nicht sagen können, daß er mich geprellt habe. Bleib hier und rühre dich nicht; nur halte dich auf der andern Seite der Straße und harre meiner.«