Die Königin Anna betrachtete mit einem großen Erstaunen das kriegerische Antlitz d'Artagnans, auf dem sich ein ungewöhnlicher Ausdruck von Rührung lesen ließ. »Warum.« fragte sie. »habt Ihr nicht alles das gesagt, ehe Ihr gehandelt?« »Madame,« entgegnete d'Artagnan, »weil es sich darum handelte, Ihrer Majestät Eines zu beweisen, woran Sie, wie mich dünkt, gezweifelt hat, daß wir nämlich noch einige Tapferkeit besitzen, und billig einige Beachtung verdienen.« »Und Eure Tapferkeit würde vor nichts zurückweichen, wie ich bemerke,« sprach die Königin. »Sie wich in der Vergangenheit vor nichts zurück,« entgegnete d'Artagnan, »was sollte sie weniger in der Zukunft tun?« »Und würde im Falle der Weigerung und folglich im Falle des Kampfes, die Tapferkeit so weit gehen, mich selbst in Mitte meines Hofes zu entführen, um mich der Fronde auszuliefern, wie Ihr es mit meinem Minister tun wolltet?« »Daran haben wir gar nie gedacht, Madame,« erwiderte der Gascogner mit jener gascognischen Prahlsucht, die bei ihm nichts als Treuherzigkeit war; »hätten wir es aber unter uns vier beschlossen, so würden wir es sicher ausführen.« »Ich sollte das wohl wissen,« murmelte die Königin Anna, »sie sind ja Männer von Eisen.« »Madame,« begann d'Artagnan wieder, »das beweise mir leider, daß Ihre Majestät erst von heute an eine richtige Ansicht hat.« »Gut,« versetzte Anna, »wenn ich aber diese Ansicht am Ende habe ...« »So würde uns Ihre Majestät Gerechtigkeit widerfahren lassen und uns sonach nicht mehr wie gewöhnliche Menschen behandeln. Sie würde in mir einen Botschafter erblicken, der würdig ist, mit Ihnen, seinem Auftrage gemäß, hohe Interessen zu besprechen.« »Wo ist dieser Auftrag?« »Hier ist er.« Die Königin richtete ihre Augen auf den Vertrag, den ihr d'Artagnan reichte. »Ich sehe hierin nur die allgemeinen Bedingnisse,« sprach sie. »Es befinden sich darin nur die Interessen des Herrn von Conti, des Herrn von Beaufort, des Herrn von Bouillon, des Herrn von Elboeuf und des Herrn Koadjutors - wo sind aber die Eurigen?« »Wir lassen uns damit, daß wir unsern Rang einnehmen, Gerechtigkeit widerfahren! Wir dachten, daß unsere Namen nicht würdig wären, neben diesen erhabenen Namen zu stehen.« »Ihr habt aber, wie mich dünkt, nicht darauf Verzicht geleistet, mir Eure Ansprüche mündlich vorzutragen?« »Madame, ich halte Sie für eine große und mächtige Königin, und glaube, es wäre Ihrer Größe und Macht unwürdig, die Tapferen nicht auf gebührende Art zu belohnen, die Seine Eminenz nach Saint-Germain zurückbringen werden.« »Das will ich eben,« versetzte die Königin; »sagt an, redet.« »Derjenige, welcher die Angelegenheit verhandelt, muß nach meiner Ansicht zum Kommandanten der Garden, zum Kapitän der Musketiere ernannt werden, damit die Belohnung nicht unter der Höhe Ihrer Majestät bleibe.« »Es ist also der Platz des Herrn von Treville, den Ihr von mir verlangt?« »Der Platz ist erledigt, und seit einem Jahre, Madame, als ihn Herr von Treville niedergelegt hat, ist er nicht wieder besetzt worden.« »Das ist aber im Hofhalte des Königs eine der ersten militärischen Stellen.« »Herr von Treville war ein einfacher gascognischer Junker, wie ich, und bekleidete dieses Amt zwanzig Jahre lang.« »Mein Herr,« versetzte die Königin, »Ihr wißt auf alles Antwort zu geben.« Darauf nahm sie vom Schreibtische ein Dekret, füllte es aus und unterschrieb es. »Madame,« sprach d'Artagnan, während er das Dekret nahm und sich verneigte, »das ist wahrhaft eine schöne und großherzige Belohnung, allein die irdischen Dinge sind voll Unbeständigkeit, und ein Mann, der bei Ihrer Majestät in Ungnade käme, würde morgen diese Stelle verlieren.« »Was anders?« entgegnete die Königin und errötete, daß sie von diesem Geiste durchblickt ward, der ebenso scharfsinnig war als der ihrige. »Hunderttausend Taler für diesen armen Kapitän der Musketiere, an dem Tage zahlbar, wo seine Dienste Ihrer Majestät nicht mehr genehm sein sollten.« Anna zögerte. »Und wenn man erwägt,« begann d'Artagnan wieder, »daß die Pariser unlängst durch einen Parlamentsbeschluß demjenigen sechsmalhunderttaufend Livres anboten, der ihnen den Kardinal tot oder lebendig ausliefern würde -« »Nun, das ist billig,« fiel die Königin ein, »da Ihr von einer Königin nur den sechsten Teil von dem begehrt, was das Parlament angeboten hat.« Sie unterfertigte eine Zusage von hunderttausend Talern und sagte: »Dann?« »Madame, mein Freund du Vallon ist reich, und hat folglich an Glücksgütern nichts zu wünschen; allein ich glaube, mich zu erinnern, es sei zwischen ihm und Mazarin die Rede gewesen, seine Herrschaft zur Baronie zu erheben.« »Ein Schlucker,« versetzte die Königin; »man wird darüber lachen.« »Wohl möglich,« erwiderte d'Artagnan, »allein ich bin überzeugt, daß diejenigen, welche in seiner Gegenwart lachen, nicht zweimal lachen werden.« »So mag es denn sein mit der Baronie,« sprach die Königin Anna und unterzeichnete. »Nun bleibt noch der Chevalier d'Herblay.« »Was will er?« »Daß der König geruhen wolle, bei dem Sohne der Frau von Longueville Patenstelle zu vertreten.« Die Königin lächelte. »Madame,« bemerkte d'Artagnan, »Herr von Longueville ist von königlicher Abkunft.« »Ja,« sprach die Königin -»jedoch sein Sohn?« »Sein Sohn - Madame, er muß von ihr sein, da der Gemahl seiner Mutter von ihr ist.« »Und verlangt Euer Freund nichts weiter für Frau von Longueville?« »Nein, Madame, da er voraussetzt, daß der König, indem sich Seine Majestät herabläßt, der Pate ihres Kindes zu werden, der Mutter kein geringeres Taufgeschenk machen kann, als 500.000 Livres und dabei, wohlverstanden, dem Vater die Statthalterschaft der Normandie zugesteht.« »Was die Statthalterschaft der Normandie betrifft, so glaube ich mich verbindlich machen zu können,« entgegnete die Königin, »was jedoch die 500.000 Livres anbelangt, so sagt mir der Kardinal ohne Unterlaß, daß in der Staatskasse kein Geld mehr sei.«»Wir wollen es mitsammen suchen, Madame, wenn es Ihre Majestät genehmigt, und werden es gewiß finden.« »Was dann?« »Dann Madame ...« »..Ja.« »Das ist alles.« »Habt Ihr denn nicht einen vierten Genossen?« »Wohl, Madame, den Grafen de la Fere.« »Was wünscht er?« »Er verlangt nichts.« »Nichts?« »Nein!« »Gibt es denn auf Erden einen Menschen, der nicht fordert, wo er doch könnte?« »Es gibt den Grafen de la Fere, Madame.« »Seid Ihr zufriedengestellt, mein Herr?« »Ja, Ihre Majestät. Allein es liegt noch etwas vor, das die Königin nicht unterfertigt hat.« »Was?« »Das Allerwichtigste.« »Die Zustimmung zu dem Vertrage?« »Ja.« »Wozu das? Ich werde den Vertrag morgen unterschreiben.« »Es gibt eines, was ich ihrer Majestät versichern zu dürfen glaube,« sprach d'Artagnan, »wenn nämlich Ihre Majestät den Vertrag nicht noch heute unterfertigt, so wird hiezu später keine Zeit mehr sein. Geruhe demnach Ihre Majestät, ich bitte inständigst, unter dieses Programm, das ganz von der Hand des Herrn von Mazarin geschrieben ist, zu setzen: »Ich genehmige den von den Parisern vorgeschlagenen Vertrag.« Anna war gefangen, sie konnte nicht mehr zurückweichen, sie unterschrieb.