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»Nun sehe ich,« rief Planchet freudestrahlend aus, »es ist wirklich derselbe Graf de la Fere, welchen wir suchen. Wollt Ihr so gefällig sein und das Tor aufschließen, da ich dem Herrn Grafen zu melden wünsche, mein Herr, ein ihm befreundeter Edelmann sei hier und wünsche ihn zu begrüßen.«

»Weshalb habt Ihr mir das nicht früher gesagt?« entgegnete der Diener und öffnete das Tor. »Doch wo ist Euer Herr?«

»Hinter mir, er kommt nach.«

Der Bediente schloß auch das Gitter auf; Planchet ging voraus und gab d'Artagnan einen Wink, der dann, mit höher klopfendem Herzen in den Hofraum ritt. Als Planchet auf der Freitreppe stand, vernahm er eine Stimme, die aus einem Zimmer des Erdgeschosses hallte und fragte: »Nun, wo ist dieser Edelmann und warum wird er nicht hierhergeführt?«

Diese Stimme, welche bis zu d'Artagnan drang, erweckte in seinem Herzen tausend Gefühle, tausend Erinnerungen, die er schon vergessen hatte. Er sprang rasch vom Pferde, indes Planchet mit einem Lächeln auf den Lippen zu dem Herrn des Hauses hinging.

»Nun, ich kenne ja diesen Mann,« rief Athos, indem er an der Schwelle erschien.

»O ja, Herr Graf! Sie kennen mich und auch ich kenne Sie recht gut. Ich bin Planchet, Herr Graf, Planchet - Sie wissen wohl noch —« allein der wackere Diener konnte nicht mehr sprechen, da ihn das unerwartete Aussehen des Edelmanns so sehr angegriffen hatte.

»Wie doch, Planchet!« rief Athos; »also ist Herr d'Artagnan hier?«

»Hier bin ich, Freund, hier bin ich, liebster Athos!« rief d'Artagnan mit stammelnder Stimme und beinahe wankend.

Bei diesen Worten malte sich auch auf Athos' schönem Antlitz und in seinen ruhigen Zügen sichtbar eine Gemütsbewegung. Er machte schnell zwei Schritte gegen d'Artagnan, von dem er den Blick nicht mehr abwandte, und schloß ihn zärtlich an seine Brust. D'Artagnan erholte sich von seiner Verwirrung und umschlang ihn gleichfalls mit einer Innigkeit, die sich in seinen Augen in Tränen auflöste. Athos faßte ihn bei der Hand, preßte sie in die seinige und führte ihn in den Salon, wo schon mehrere Personen waren, die sogleich alle aufstanden.

»Ich stelle Ihnen den Herrn Chevalier d'Artagnan, Leutnant bei den Musketieren, vor,« sprach Athos, »einen sehr treuen Freund und einen der liebenswürdigsten Kavaliere, die ich jemals kennen gelernt.«

D'Artagnan nahm Platz im Kreise und fing an, Athos zu mustern, während die auf einen Augenblick unterbrochene Konversation wieder allgemein wurde. Es war seltsam. Athos war kaum älter geworden, seine schönen Augen, frei von dem dunklen Ringe, der sich durch Nachtwachen oder Schwelgereien erzeugt, schienen weit größer und von einem viel reineren Glanze als jemals; sein etwas länger gewordenes Antlitz hatte das an Würde gewonnen, was es an fieberhafter Aufregung verlor, seine immer noch schöne, und ungeachtet der Geschmeidigkeit kräftige Hand glänzte unter einer Spitzenmanschette wie gewisse Hände Tizians und Van Dyks; er war viel schlanker als vormals; seine sehr zurücktretenden breiten Schultern zeigten von ungewöhnlicher Stärke; seine langen und schwarzen Haare, die sich nur hier und da mit grauen untermengten, fielen wie in natürlichen Locken anmutig und wallend auf die Schultern nieder; seine Stimme klang immer noch so frisch, als zählte er erst zwanzig Jahre, und seine prachtvollen Zähne, die er weiß und unverletzt bewahrt, verliehen seinem Lächeln einen unaussprechlichen Reiz.

Mittlerweile begannen die Gäste des Grafen, die es an der leisen Kälte des Gesprächs bemerkten, daß die zwei Freunde vor Sehnsucht glühten, allein zu sein, mit all der Kunst und Artigkeit von damals, sich zum Aufbruch anzuschicken, zu dieser wichtigen Angelegenheit für Leute von Welt, da es noch Leute von Welt gab; doch jetzt erschallte im Hofraum auf einmal ein lautes Hundegebell und mehrere Personen riefen zugleich: »Ah, das ist Rudolf, der nach Hause kehrt!« Athos wandte sich fast unwillkürlich um, als ein schöner Jüngling von fünfzehn Jahren, einfach, doch vollkommen geschmackvoll angezogen, in den Saal trat und auf anmutige Weise seinen Filzhut zog, der mit einer roten Feder geschmückt war.

»Schon zurückgekehrt, Rudolf?« sprach der Graf.

»Ja, gnädiger Herr,« erwiderte der junge Mann ehrerbietig, »und ich richtete den Auftrag aus, den Sie mir erteilten.«

»Und was Hast du, Rudolf?« fragte Athos bekümmert, »du siehst bleich und aufgeregt aus.«

»Die Ursache liegt darin, gnädiger Herr,« entgegnete der Jüngling, »weil unsere kleine Nachbarin ein Unglück getroffen hat.«

»Fräulein de la Balliere?« rief Athos schnell.

»Was denn?« fragten mehrere Stimmen.

»Sie lustwandelte mit ihrer guten Marcelline in dem Gehege, wo die Holzhauer ihre Bäume spalten und aufschichten, als ich vorüberritt und bei ihrem Anblicke anhielt. Auch sie gewahrte mich, und da sie von der Höhe eines Holzstoßes herabspringen wollte, auf den sie gestiegen war, tat das arme Kind einen Fehltritt und konnte nicht mehr aufstehen. Ich glaube, sie verrenkte den Knöchel am Fuße.«

»O mein Gott!« rief Athos; »und ist ihre Mutter davon in Kenntnis gesetzt?«

»Nein, gnädiger Herr, Frau von Saint-Remy befindet sich in Blois, bei der Frau Herzogin von Orleans. Ich war in Besorgnis, der erste Verband möchte ungeschickt angebracht sein, und eilte hierher, gnädiger Herr, um mir Ihren Rat zu erbitten.«

»Schicke allsogleich nach Blois, Rudolf, oder reite vielmehr selbst in Eile dahin.«

Rudolf verneigte sich.

»Doch wo ist Louise?« fragte der Graf.

»Ich führte sie hierher, gnädiger Herr, und brachte sie zu Charlots Frau, die ihr indes den Fuß in Eißwasser stellen ließ.«

Nach dieser Erklärung, welche zum Vorwande diente, aufzustehen, nahmen die Gäste von Athos Abschied, bloß der alte Herzog von Barbe, der ob einer zwanzigjährigen Freundschaft mit dem Hause de la Valliere sich zu den näher

Befreundeten rechnete, besuchte die kleine Louise, welche in Tränen schwamm, die aber sogleich, als sie Rudolf erblickte, ihre Augen trocknete und wieder zu lächeln anfing. Er tat nun den Vorschlag, die kleine Louise in der Kutsche nach Blois zu führen.

»Allerdings,« bemerkte Athos, »wird sie viel lieber bei ihrer Mutter sein; aber was dich betrifft, Rudolf, so bin ich überzeugt, daß du unbesonnen warst und Schuld daran trägst.«

»Nein, o Herr, nein, ich versichere Sie,« rief das junge Mädchen, indes der Jüngling bei dem Gedanken erblaßte, er möchte Schuld an diesem Unfalle sein. »O gnädiger Herr,« stammelte Rudolf - »ich beteuere Ihnen -«

»Du wirst aber jedenfalls nach Blois gehen,« sprach der Graf, »und dich wie mich bei Frau von Saint-Rouch entschuldigen, wonach du wieder zurückkehren wirst.«

Als Athos und d'Artagnan wieder allein waren, kam das Gespräch sofort auf Rudolf. D'Artagnan erkundigte sich eingehend nach dem so sympathischen jungen Manne und Athos berichtete, daß dieser verwaist sei und er ihn adoptiert habe, außerdem habe er ihm die Grafschaft Bragelonne zugeschrieben, wodurch Rudolf den Namen eines Vicomte de Bragelonne führe. Da d'Artagnan fühlte, daß dieses Thema dem Freund nicht lieb sei, begann er sogleich, vorsichtig von seinen Zukunftsplänen zu sprechen. Er erinnerte auch hier wieder an die schöne Vergangenheit und fragte Athos, ob er nicht etwa daran denke, wieder zum aktiven Dienst zurückzukehren. Da bekam er die deutliche und nicht ohne Anzüglichkeit gegebene Antwort zu hören: »Wenn es der Sache des Königs gilt, ohne einen Augenblick zu zögern! Vorausgesetzt allerdings, daß Mazarin die Hände nicht im Spiele hat.«

So mußte d'Artagnan also auch auf diesen Freund verzichten, was ihm um so schwerer fiel, als ihm Athos innerlich am nächsten stand. Als man bei der Tafel saß, erhielt Athos einen Brief Mazarins, der ihn dringend nach Paris berief. D'Artagnan entschuldigte sich bei Athos, ließ die Pferde satteln und machte sich, nach schmerzlichem Abschied von seinem väterlichen Freund und dessen Pflegesohn, der eben im Begriffe war, nach Blois zurückzukehren, mit Planchet auf den Weg nach Paris.