»Ist das alles?« fragte Grimaud.
»Für diesen Augenblick alles«, entgegnete la Ramee. »Wenn es neue Umstände gibt, werden neue Verhaltungsregeln kommen.«
»Wohl«, versetzte Grimaud. Dann trat er in das Gemach des Herzogs von Beaufort. Dieser war eben im Zuge, seinen Bart zu kämmen, den er wie seine Haare wachsen ließ, um Mazarin einen Streich zu spielen und mit seinem schlechten Aussehen Parade zu machen; da er indes einige Tage vorher von der Höhe des Schloßturmes in einer Kutsche die schöne Frau von Montbazon erkannt zu haben glaubte, deren Andenken ihm stets noch teuer war, so wollte er für sie nicht ebenso aussehen wie für Mazarin; er verlangte demnach einen bleiernen Kamm, da er sie wieder zu sehen hoffte, und der Kamm wurde ihm zugestanden. Herr von Beaufort verlangte deshalb einen bleiernen Kamm, weil er, wie alle Blonden, einen etwas roten Bart hatte, und färbte denselben durch das Kämmen. Als Grimaud eintrat, sah er den Kamm, den der Prinz eben auf den Tisch hinlegte; er nahm denselben und verneigte sich. Der Herzog blickte diese seltsame Gestalt verwunderungsvoll an. Die Gestalt schob den Kamm in die Tasche.
»Holla, was soll das heißen?« rief der Herzog; «wer ist denn dieser Schlingel?« Grimaud antwortete nicht, sondern verneigte sich zum zweiten Male, »Bist du stumm?« fragte der Herzog. Grimaud machte ein verneinendes Zeichen, «Was bist du also, gib Antwort, ich befehle es dir«, sprach der Herzog. »Hüter«, antwortete Grimaud.
»Hüter!« rief der Herzog aus. »Gut, diese Galgenfigur hat noch gefehlt zu meiner Sammlung. He, la Ramee! komme!«
Der Gerufene eilte herbei; er wollte eben zum Unglück für den Prinzen nach Paris abreisen, da er sich auf Grimaud verließ; ja, er war bereits im Hofe und kehrte mißvergnügt wieder zurück. »Was, ist's, mein Prinz?« fragte er.
»Wer ist dieser Schuft hier, der mir den Kamm wegnimmt und in seinen schmutzigen Sack steckt,?« fragte Herr von Beaufort. »Gnädigster Herr, es ist einer Ihrer Wächter, ein verdienstlicher Mann, den Sie wie Herr von Chavigny und ich schätzen werden, davon bin ich überzeugt.«
»Weshalb nimmt er mir meinen Kamm?«
»Ja, wirklich!« sprach la Ramee, «warum nehmt Ihr den Kamm des gnädigsten Herrn?«
Grimaud nahm den Kamm aus seinem Sacke, fuhr mit seinem Finger darüber, blickte ihn an, fletschte mit den Zähnen und sprach bloß das einzige Wort: »Spitzig!«
»Das ist wahr«, versetzte la Ramee.
»Was spricht dieses Rind?« fragte der Herzog.
»Daß dem gnädigsten Herrn jedes scharfe Werkzeug von dem Könige verboten ist.«
»Ah so!« rief der Herzog. »Seid Ihr verrückt, la Ramee? Ihr habt mir doch selbst diesen Kamm gegeben.«
»Daran tat ich sehr unrecht, gnädigster Herr; denn ich handelte gegen meine Verhaltungsbefehle, als ich Ihnen denselben gab.« Der Herzog blickte Grimaud wütend an, als er la Ramee den Kamm zurückstellte.
«Ich sehe es im voraus,« murrte der Prinz, »dieser Schurke wird mir höchlichst mißfallen.« Eines Tages bemerkte er unter seinen Wachen einen Mann, der ein ziemlich gutmütiges Gesicht hatte, und diesem schmeichelte er um so mehr, als ihn Grimaud mit jedem Augenblick mehr anwiderte. Als er aber diesen Mann einmal beiseite gezogen hatte und es ihm gelungen war, mit ihm eine Weile unter vier Augen zu sprechen, trat Grimaud ein, sah, was da vorging, näherte sich ehrfurchtsvoll dem Wächter und dem Prinzen und faßte den Wächter am Arme. «Was wollt Ihr?« fragte der Herzog mit rauher Stimme. Grimaud führte den Wächter vier Schritte weit und wies ihm die Tür mit dem Worte: »Geh!« Der Wächter gehorchte. »Ha doch!« rief der Prinz aus. »Ihr seid mir unausstehlich, ich will Euch züchtigen.« Grimaud machte eine ehrerbietige Verbeugung. »Ich will Euch die Knochen zerschlagen!« rief der Prinz entrüstet. Grimaud verneigte sich und wich zurück. »Herr Spion,« fuhr der Herzog fort, »ich will Euch mit meinen eigenen Händen erwürgen.« Grimaud verneigte sich abermals, indem er noch weiter zurückwich. »Und das im Augenblicke!« rief der Prinz, welcher glaubte, es sei am besten, ihm auf der Stelle den Hals umzudrehen. Er streckte sonach seine zwei geballten Hände gegen Grimaud aus, welcher weiter nichts tat, als daß er den Wächter aus der Tür stieß und diese hinter ihm absperrte. Zu gleicher Zeit fühlte er, wie ihn die Hände des Prinzen wie zwei eiserne Zangen anfaßten; jedoch anstatt zu rufen oder sich zu verteidigen, erhob er nur langsam seinen Zeigefinger bis an die Lippen, und indem er sein Antlitz das holdseligste Lächeln annehmen ließ, sprach er gang leise: »Still!« Von Grimauds Seite war es um einen Wink, um ein Lächeln, um ein Wort etwas so Seltenes, daß Seine Hoheit unter dem höchsten Erstaunen plötzlich anhielt. Grimaud nützte diesen Augenblick, um aus dem Futter seiner Jacke ein allerliebstes kleines Billett mit adligem Siegel hervorzunehmen, das ungeachtet seines langen Aufenthaltes in Grimauds Wamse seinen Wohlgeruch noch nicht verloren hatte, und er übergab es dem Herzog, ohne daß er ein Wort sprach. Der Herzog, stets mehr verwundert, ließ Grimaud los, nahm das Briefchen, und da er die Handschrift erkannte, rief er aus: »Von der Frau von Montbazon!« Grimaud bejahte es durch ein Kopfnicken. Der Herzog erbrach lebhaft den Umschlag, fuhr mit der Hand über die Augen, so sehr war er geblendet, und las wie folgt:
»Mein lieber Herzog!
Sie können sich ganz auf den wackeren Gesellen verlassen, der Ihnen dieses Briefchen überbringen wird, denn er ist der Bediente eines Edelmannes, der einer der unsrigen ist, und der sich bei uns für ihn, als durch zwanzig Jahre der Treue bewährt, verbürgt hat. Er war damit einverstanden, in den Dienst Ihres Aufsehers zu treten, und sich in Vincennes mit Ihnen einsperren zu lassen, um Ihre Flucht, mit der wir uns beschäftigen, einzuleiten und dabei hilfreiche Hand zu leisten. Der Augenblick der Befreiung rückt heran; fassen Sie Geduld und Mut mit dem Gedanken, daß Ihre Freunde ungeachtet der Zeit und der Abwesenheit diejenigen Gefühle, die sie Ihnen gewidmet, auch treu bewahrt haben.
Ihre ganz und stets geneigte
Maria von Montbazon.
P. S. Ich schreibe meinen Namen hier ganz aus, da es zu viel Eitelkeit wäre, zu glauben. Sie würden nach einer fünfjährigen Trennung meine Anfangsbuchstaben erkennen.«
Der Herzog war ein Weilchen lang wie betäubt. Was er seit fünf Jahren suchte, ohne es finden zu können, nämlich einen Diener, einen Gehilfen, einen Freund, das fiel ihm plötzlich vom Himmel in dem Momente, wo er es am wenigsten erwartete. Er starrte Grimaud erstaunt an und wandte sich dann wieder zu dem Briefe, welchen er von einem Ende bis zum andern durchlas. Hierauf wandte er sich wieder zu Grimaud und fuhr fort:
»Und du, wackerer Geselle, du bist also geneigt, uns beizustehen?« Grimaud machte ein bejahendes Zeichen. »Und du kamst ausdrücklich deshalb hierher?« Grimaud wiederholte dasselbe Zeichen. »Und ich wollte dich erwürgen,« sprach der Herzog. Grimaud lächelte. »Doch halt«, sagte der Herzog und suchte in seiner Tasche. »Halt«, fuhr er fort und erneuerte den vorher fruchtlosen Versuch; »es soll nicht heißen, daß eine so treue Aufopferung für einen Enkel Heinrichs IV. ohne Lohn geblieben sei.« Die Bewegung des Herzogs von Beaufort bewies die beste Absicht von der Welt, doch war es eine der Vorsichtsmaßregeln, die man in Vincennes einführte, daß dem Gefangenen kein Geld gelassen wurde. Sodann zog Grimaud, der die getäuschte Hoffnung des Herzogs bemerkte, eine Börse voll Gold aus seiner Tasche und reichte sie ihm, indem er sagte: »Da ist, was Sie suchen.« Der Herzog öffnete die Börse, um sie in Grimauds Hände auszuleeren; doch dieser schüttelte den Kopf, trat zurück und sprach: »Ich danke, gnädigster Herr, ich bin bezahlt.« Der Herzog ging von Erstaunen zu Erstaunen über. Dann reichte er Grimaud die Hand; dieser trat näher und küßte sie ihm ehrerbietig. Grimaud hatte etwas von den großartigen Manieren Athos' angenommen. »Was sollen wir jetzt tun?« fragte der Herzog.