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Frau von Chevreuse, deren wir in unserer Geschichte: »Die drei Musketiere«, so oft gedacht haben, ohne daß wir je Gelegenheit fanden, sie auftreten zu lassen, galt noch jetzt für eine sehr schöne Frau. Und wirklich, obschon sie um diese Zeit schon vierundvierzig bis fünfundvierzig Jahre zählte, so schien sie doch kaum achtunddreißig bis neununddreißig alt zu sein; sie hatte noch immer ihre schönen blonden Haare, ihre großen, strahlenden und geistvollen Augen, welche die Intrige so oftmals geöffnet, die Liebe so oftmals geschlossen hatte, und ihren nymphenartigen Wuchs, vermöge dessen man sie, von rückwärts anblickend, noch für ein junges Mädchen hielt, welches mit der Königin Anna über einen Graben setzte, durch welchen Sprung die Krone Frankreichs im Jahre 1623 eines Erben beraubt worden war. Außerdem war sie noch immer jenes flüchtige Geschöpf, das ihren Liebschaften ein solches Gepräge von Originalität verlieh, daß dieselben sozusagen eine Berühmtheit für ihre Familien wurden.

Sie befand sich in einem kleinen Boudoir, dessen Fenster in den Garten gingen. Dieses Boudoir war nach der Mode, die Frau von Rambouillet angegeben hatte, als sie ihr Hotel erbaut, mit einer Art blauen Damasts mit Rosen und Goldlaub behangen. Eine Frau in dem Alter der Frau von Chevreuse bewies damit, daß sie sich in einem solchen Gemache aufhielt, eine große Gefallsucht, zumal wie sie es in diesem Augenblicke war, denn sie lag hingestreckt auf einem langen Stuhl, den Kopf an die Tapete angelehnt. In der Hand hielt sie ein halbgeöffnetes Buch und hatte ein Kissen, diesen Arm, der das Buch hielt, darauf zu stützen.

Als der Diener die Meldung machte, erhob sie sich ein wenig und streckte neugierig den Kopf vor. Athos trat ein. Die ganze Persönlichkeit desjenigen, der eben der Frau von Chevreuse unter einem völlig unbekannten Namen gemeldet wurde, hatte solch einen hochedlen Anstand, daß sie sich halb aufrichtete und ihm höflich einen Wink gab, sich neben ihr auf einen Stuhl zu setzen. Athos verneigte sich und gehorchte. Der Lakai machte Miene, sich zu entfernen, doch gab ihm Athos einen Wink, der ihn zurückhielt. »Gnädige Frau,« sprach er zu der Herzogin, »ich war so kühn, in Ihr Hotel zu kommen, ohne daß Sie mich kennen; doch war ich so glücklich, vorgelassen zu werden. Jetzt habe ich um eine Unterredung von einer halben Stunde zu bitten.«

»Ich gestehe sie Ihnen zu, Herr Graf«, erwiderte Frau von Chevreuse mit ihrem anmutvollsten Lächeln.

»Das ist aber noch nicht alles, gnädigste Frau. Oh, ich verlange viel, ich weiß es! Die Unterredung, um welche ich Sie bitte, ist eine Unterredung unter vier Augen, bei der ich durchaus nicht gern unterbrochen werden mochte.«

»Ich bin jetzt für niemanden zu Hause«, sagte die Herzogin zu dem Bedienten. »Geht.« Der Bediente entfernte sich.

Es trat ein augenblickliches Stillschweigen ein, indes die zwei Personen, die sich auf den ersten Blick dafür erkannten, daß sie von hoher Geburt seien, sich gegenseitig musterten, ohne daß die eine oder die andere dabei in Verlegenheit geriet. Die Herzogin non Chevreuse brach zuerst das Schweigen. »Nun, Herr Graf,« sprach sie lächelnd, »Sie sehen wohl, daß ich ungeduldig warte.«

»Und ich, gnädige Frau,« entgegnete Athos, »ich betrachte mit Bewunderung.«

»Sie müssen mich entschuldigen, Herr Graf,« sprach Frau von Chevreuse, »denn ich wünsche sehnlichst zu wissen, mit wem ich spreche. Sie sind ein Hofmann, das ist ausgemacht, und doch habe ich Sie noch nie bei Hofe gesehen. Kommen Sie etwa von der Bastille?«

»Nein, gnädige Frau,« entgegnete Athos lächelnd, »allein ich befinde mich vielleicht auf dem Wege dahin.«

»Ach, für diesen Fall,« sprach sie lebhaft in jenem heiteren Tone, der ihr so viel Reiz verlieh, »sagen Sie mir schnell, Herr Graf, wer Sie sind, und machen Sie sich dann auf den Weg, denn ich bin bereits derart bloßgestellt, daß ich mich noch mehr bloßzustellen, nicht nötig habe.«

»Wer ich bin, gnädigste Frau? Man meldete Ihnen doch meinen Namen: Graf de la Fire. Sie haben diesen Namen nie gekannt. Einst führte ich einen anderen, den Sie vielleicht gekannt, aber sicher schon vergessen haben.«

»Nennen Sie ihn jedenfalls, Herr Graf.«

»Einst«, entgegnete der Graf de la Fere, »nannte ich mich Athos.«

Frau von Chevreuse öffnete weit ihre großen, erstaunten Augen. Es zeigte sich klar, daß dieser Name, wie ihr der Graf sagte, in ihrem Gedächtnisse nicht ganz verwischt war, wiewohl er sich darin unter andere Erinnerungen aus früherer Zeit sehr vermengt hatte. »Athos?« sprach sie - »warten Sie doch!« ... Sie drückte ihre zwei Hände gegen ihre Stirn, um gleichsam die tausend flüchtigen Ideen, die sie in sich barg, für einen Moment auf einen Punkt zusammenzudrängen, um sie in ihrem glänzenden und bunten Schwarme deutlicher zu überschauen.

»Wollen Sie, gnädige Frau, daß ich Ihnen Beistand leiste?« fragte Athos lächelnd.

»Jawohl«, sprach die Herzogin, die des Nachsinnens schon müde war, »Sie werden mir damit einen Gefallen tun.«

»Jener Athos war mit drei jungen Musketieren befreundet, welche d'Artagnan, Porthos und ...«

»Aramis hießen«, fuhr die Herzogin lebhaft fort.

»Und Aramis - ganz richtig«, versetzte Athos; »also haben Sie diese Namen doch nicht gänzlich aus dem Gedächtnis verloren?«

»Nein,« erwiderte sie, »nein. Armer Aramis! Er war ein liebenswürdiger, artiger und verschwiegener Edelmann, der hübsche Verse machte; doch glaube ich, hat er sich nicht zum Guten gewendet.«

»Er hat sich entschlossen, Abbe zu werden.«

»Ah, wirklich?« entgegnete Frau von Chevreuse, nachlässig mit dem Fächer spielend. »Nun, ich danke Ihnen, Herr Graf.«

»Wofür, gnädigste Frau?«

»Daß Sie mir wieder diese Erinnerung erweckten, welche unter die angenehmsten meiner Jugend gehört.«

»Erlauben Sie mir,« sagte Athos, »eine zweite zu erwecken.«

»Die sich an diese hier knüpft?«

»Ja und nein.«

»Meiner Treu,« versetzte Frau von Chebreuse, »reden Sie immerhin; mit einem Manne, wie Sie sind, wage ich alles.«

Athos machte eine Verbeugung. »Aramis war mit einer jungen Linnenhändlerin von Tours befreundet. - Ja, eine Base von ihm, namens Marie Michon.«

»Ah, ich kenne sie«, sprach Frau von Chevreus«; »es ist dieselbe, an welche er während der Belagerung von la Rochelle geschrieben hat, um sie von einem Komplott, das sich gegen den armen Buckingham gebildet hatte, in Kenntnis zu setzen.«

»Ganz richtig«, erwiderte Athos. »Wollen Sie mir gütigst erlauben, von ihr zu sprechen?«

Frau von Chevreuse blickte Athos an und sagte: »Ja, wenn Sie mir anders nicht zu viel Schlimmes von ihr sagen.«

»Ich wäre undankbar,« entgegnete Athos, »und ich betrachte den Undank nicht bloß als ein Vergehen oder eine Sünde, sondern als ein Verbrechen, was noch viel schlimmer ist.«

»Sie undankbar gegen Marie Michon, Herr Graf?« fragte Frau von Chevreuse und suchte in Athos' Augen zu lesen. »Wie wäre es denn möglich, da Sie dieselbe nie persönlich gekannt haben?«

»Nun, wer weiß, gnädigste Frau«, antwortete Athos. »Es gibt ein Volkssprichwort, welches lautet: >Nur die Berge kommen nie zusammen -< und die Volkssprichwörter sind oft ungemein triftig.«

»Oh, fahren Sie fort, Herr Graf, fahren Sie fort,« sprach Frau von Chevreuse lebhaft, »denn Sie können sich nicht vorstellen, welchen Anteil ich an dieser Unterhaltung nehme.«

»Sie ermuntern mich,« sagte Athos, »ich will somit fortfahren. Diese Base von Aramis, diese Marie Michon, kurz, diese Linnenhändlerin hatte, ungeachtet ihres niederen Standes, die vornehmsten Bekanntschaften; sie nannte die edelsten Hofdamen ihre Freundinnen, und selbst die Königin war ihr traulich zugetan.«