»Ach,« sprach Frau von Chevreuse mit einem stillen Seufzer und einem leichten Zucken der Augenbrauen, das nur ihr eigen war, »seit dieser Zeit haben sich die Verhältnisse ungemein verändert.«
»Und die Königin hatte recht,« fuhr Athos fort, »denn Marie war ihr ganz ergeben, so zwar, daß sie ihr sogar als Vermittlerin zwischen ihr und ihrem Bruder, dem Könige von Spanien, diente.«
»Und das«, versetzte die Herzogin, »wird ihr jetzt als ein großes Vergehen angerechnet.«
»Allerdings,« versetzte Athos, »so zwar, daß der Kardinal, der wahre, der frühere Kardinal, eines Morgens beschloß, die arme Marie Michon verhaften und nach dem Schlosse Loches bringen zu lassen. Zum Glück konnte die Sache nicht so insgeheim ablaufen, der Fall war vorhergesehen; würde Marie Michon von irgendeiner Gefahr bedroht, so sollte ihr die Königin ein Gebetbuch, in grünen Samt gebunden, zuschicken.«
»So ist es, mein Herr; Sie sind wohl unterrichtet.«
»Eines Morgens kam nun dieses Buch an, überbracht von dem Prinzen von Marsillac. Es war keine Zeit zu verlieren. Zum Glück hatte sich Marie Michon und eine Dienerin Namens Ketty, die sie hatte, in Mannskleidern allerliebst ausgenommen. Der Prinz besorgte der Marie Michon einen Kavalieranzug, der Ketty eine Bedientenkleidung, und gab ihnen zwei vortreffliche Pferde. Die zwei Flüchtlinge verließen sogleich Tours und schlugen den Weg nach Spanien ein.
»Fürwahr, das ist durchaus richtig«, fiel Frau von Chevreuse ein, und schlug die beiden Hände zusammen. »Es wäre in der Tat seltsam -« sie hielt inne.
- »Sollte ich diesen zwei Flüchtlingen bis ans Ende gefolgt sein?« fragte Athos. »Nein, gnädige Frau, derart will ich Ihre Zeit nicht mißbrauchen: wir wollen sie bloß bis zu einem kleinen Dorfe geleiten, das zwischen Tulle und Angouleme gelegen ist und Roche l'Abeile genannt wird.« Frau von Chevreuse stieß einen Laut der Überraschung aus und blickte Athos mit einem Ausdruck des Erstaunens an, der dem vormaligen Musketier ein Lächeln entlockte. Er fuhr fort: »Warten Sie noch, gnädige Frau, denn was ich Ihnen noch mitzuteilen habe, ist noch viel seltsamer als das Erwähnte.« »Ich halte Sie für einen Zauberer, Herr Graf«, entgegnete Frau von Chevreuse; »ich bin auf alles gefaßt ... doch wirklich ... allein gleichviel, fahren Sie nur fort.« »Die Tagreise war diesmal lang und ermüdend, auch war es kalt; man war am elften Oktober. In dem Dorfe befand sich weder ein Gasthaus noch ein Schloß; die Bauernhäuser waren arm und schmutzig. Marie Michon war eine sehr aristokratische Person und gewöhnt an Wohlgerüche und feine Wäsche. Sie beschloß demnach, im Hause des Maire um Gastfreundschaft zu bitten.« Athos hielt inne. »Oh,« rief die Herzogin, »fahren Sie fort, ich sagte Ihnen schon im voraus, daß ich auf alles gefaßt sei.«
»Die zwei Reisenden pochten an die Tür; es war schon spät; der Maire, welcher ganz einsam wohnte und bereits im Bette lag, rief ihnen zu, einzutreten. Die Tür war nicht versperrt, da das Vertrauen in den Dörfern so groß ist, und so traten sie ein. Eine Lampe brannte im Gemache des Maire. Marie Michon, die den liebenswürdigen Kavalier so gut zu spielen wußte, öffnete also die Tür, und indem sie den Kopf hineinstreckte, bat sie um Gastfreiheit. >Recht gern, mein junger Kavalier,< sprach der Maire, >wenn Sie sich mit dem Reste meines Nachtmahles und der Hälfte meines Zimmer zufriedenstellen wollen.< Die beiden Reisenden hielten einen Augenblick Rat; der Maire hörte sie ein Gelächter erheben, worauf der Herr oder vielmehr die Herrin antwortete: >Ich danke, mein Herr; ich nehme es an.< >Nun, so essen Sie, aber machen Sie so wenig Geräusch als möglich,< entgegnete der Hauswirt, >denn auch ich war diesen ganzen Tag auf der Heerstraße, und so wäre es mir nicht unangenehm, diese Nacht zu schlafen.«« Es war augenfällig, daß Frau von Chevreuse von Überraschung zum Erstaunen und vom Erstaunen zur höchsten Verwunderung überging; als sie Athos anblickte, nahm ihr Gesicht einen Ausdruck an, der sich nicht beschreiben läßt; man sah es, sie wollte sprechen, allein sie schwieg, weil sie eines der Worte ihres Gesellschafters zu verlieren fürchtete. »Dann?« fragte sie. »Dann?« versetzte Athos; »darin liegt eben die Schwierigkeit.« »Sprechen Sie, ha, sprechen Sie, man darf mir alles sagen. Überdies geht mich das nichts an, es betrifft nur die Jungfer Marie Michon.«
»Ah, das ist richtig«, entgegnete Athos. »Nun, Marie Michon speiste also mit ihrer Dienerin zu Nacht, und als sie gegessen hatte, kehrte sie, der erhaltenen Erlaubnis zufolge wieder in das Zimmer zurück, worin der Hauswirt schlief, indes es sich Ketth in dem vorderen Zimmer, nämlich dort, wo man das Nachtmahl verzehrt hatte, in einem Lehnstuhl bequem machte.«
»In Wahrheit, mein Herr!« rief Frau von Chevreuse, »wenn Sie nicht der Teufel in Person sind, so weiß ich nicht, wie Ihnen alle diese Einzelheiten bekannt sein können.«
»Diese Marie Michon war ein reizendes Wesen,« sagte Athos, »eines jener mutwilligen Geschöpfe, in deren Geist unablässig die wunderlichsten Gedanken spuken, und die geboren sind, um uns alle, die wir da sind, zur Verdammnis zu bringen. Da sie nun der Meinung war, daß ihr Wirt ein
Hagestolz und Weiberfeind sei, so stieg in dem Geiste der Kokette der Gedanke auf, es wäre wohl unter den vielen lustigen Erinnerungen, die sie bereits hatte, auch eine lustige Erinnerung für ihre alten Tage, diesen Mann zur Verdammnis zu bringen.«
»Graf,« fiel die Herzogin ein, »auf mein Ehrenwort, Sie erschrecken mich.«
»Der arme Maire«, begann Athos wieder, »war leider kein kalter, unerschütterlicher Fels, und Marie Michon, ich wiederhole es, war ein reizendes Wesen.«
»Graf,« fiel die Herzogin lebhaft ein und erfaßte Athos' Hand, »sagen Sie mir auf der Stelle, wie Sie diese näheren Umstände wissen, oder ich berufe jemand, daß er Ihnen den Satan austreibe.«
Athos fing zu lachen an. »Gnädige Frau, nichts ist leichter. Ein Reiter, der eine wichtige Sendung hatte, kam eine Stunde zuvor zu dem Hause des Maire, der zugleich Arzt war, und bat um Gastfreundschaft; er kam gerade in dem Augenblicke, wo der Maire im Begriffe stand, zu einem plötzlich Erkrankten zu eilen, der ihn berufen ließ, und somit nicht allein das Haus, sondern das ganze Dorf für diese Nacht zu verlassen. Der menschenfreundliche Maire und Arzt setzte volles Vertrauen in seinen Gast, der überdies Edelmann war, und räumte ihm bereitwillig sein Zimmer ein. Somit hatte Marie Michon von dem Gaste des Maire und nicht von dem Maire selbst Gastfreiheit angesprochen.«
»Und dieser Reiter, dieser Gast, dieser vor ihr eingetroffene Edelmann?«
»War ich - der Graf de la Fere«, erwiderte Athos, indem er aufstand und vor der Herzogin von Chevreuse eine Verbeugung machte.
Die Herzogin war einen Augenblick wie betäubt, dann erhob sie auf einmal ein Gelächter und sagte: »Ha, meiner Treue, das ist sehr drollig, und die mutwillige Marie Michon hat etwas Besseres gefunden, als sie vermutete. Nehmen Sie Platz, Herr Graf, und setzen Sie Ihre Geschichte fort.«
»Nun erübrigt mir nur noch, mich anzuklagen, gnädige Frau. Wie schon erwähnt, befand auch ich mich eines dringenden Auftrages wegen auf der Reise, und so verließ ich mit Tagesanbruch das Gemach, wo ich meine reizende Genossin schlafen ließ. Im vorderen Zimmer schlief gleichfalls die ihrer Herrin ganz würdige Dienerin, den Kopf in einen Lehnstuhl zurückgelegt. Ihr hübsches Antlitz blendete mich; ich trat hinzu und erkannte die kleine Keith, der unser Freund Aramis einen Dienst bei ihr verschafft hat. Auf diese Art erfuhr ich denn, wer diese reizende Reisende sei -«
»Marie Michon,« ergänzte lebhaft Frau von Chevreuse.
»Marie Michon«, wiederholte Athos. »Nunmehr verließ ich das Haus, ging nach dem Stalle, fand mein Pferd gesattelt und meinen Diener bereit, wonach wir uns auf den Weg machten.«