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Als jedoch der von acht Männern getragene Ratsherr ganz blaß und mit sterbenden Augen bei seiner Wohnung ankam, und seine Gattin und seine Magd anblickte, fiel die gute Frau Broussel in Ohnmacht, und die Magd erhob die Hände zum Himmel, stürzte nach der Treppe ihrem Herrn entgegen und rief aus: »Ach, mein Gott! mein Gott!« Dann faßte sie den Ratsherrn in ihre

Arme und wollte ihn bis in den ersten Stock tragen; jedoch unten an der Treppe stellte sich der Verwundete wieder auf die Beine und erklärte, er fühle sich kräftig genug, um allein hinaufzusteigen. Überdies bat er Gervaise, so hieß die Magd, sie möchte das Volk dahin bringen, daß es sich entferne; allein Gervaise hörte nicht auf ihn, sondern rief aus: »O mein armer Herr! mein liebwertester Herr!«

»Ja, meine Gute, ja, Gervaise,« murmelte Broussel, um sie zu beschwichtigen. »Beruhige dich, es wird nicht von Bedeutung sein.«

»Ich soll ruhig sein, wenn Sie zerquetscht, zermalmt und wie gerädert sind?«

»Doch nein, nein!« rief Broussel; »es ist nichts, fast nichts.«

»Nichts? und Sie sind mit Kot bedeckt! nichts? und an Ihren Haaren klebt Blut! Ach, mein Gott! mein Gott! armer Herr!«

»Sei doch stille,« sprach Broussel, »stille,«

»Blut, mein Gott, Blut!« ächzte Gervaise. »Einen Arzt, einen Chirurgen, einen Doktor!« kreischte die Menge, »der Ratsherr Broussel stirbt!«

»Mein Gott!« seufzte Broussel verzweiflungsvoll, »die Unglücklichen werden das Haus in Brand stecken!«

»Stellen Sie sich ans Fenster, lieber Herr, um sich zu zeigen,«

»Pest! das werde ich bleiben lassen,« versetzte Broussel. »Sich zu zeigen ist gut für den König. Sage ihnen, Gervaise, daß mir schon besser sei; sage ihnen, ich wolle mich nicht ans Fenster stellen, sondern zu Bette legen, und sie möchten sich entfernen.«

»Warum sollen, sie sich aber entfernen, es gereicht Ihnen ja zur Ehre, daß sie da sind.«

»Ach, siehst du denn nicht ein,« rief Broussel verzweiflungsvoll, »daß sie es dahinbringen werden, mich einziehen und henken zu lassen? Geschwind! meine Gemahlin dort fällt in eine Ohnmacht.«

»Broussel! Broussel!« heulte die Menge, »es lebe Broussel! einen Arzt für Broussel! -«

Sie erregten so viel Lärm, daß das geschah, was Broussel vorausgesehen: eine Schar Garden trieb mit ihren Büchsenkolben die sonst ziemlich widerstandslose Volksmenge auseinander; jedoch bei dem ersten Ruf: »Die Wache! die Soldaten!« kroch Broussel ganz angekleidet in sein Bett und zitterte, man möchte ihn für den Urheber dieses Tumultes halten.

Inzwischen kam ein schnell herbeigeholter Arzt, der den, im Grunde genommen, mit seinem unerwarteten Märtyrertum sehr zufriedenen Patienten untersuchte und erstaunt war, nichts Schlimmeres als ein paar leichte Quetschungen und Hautschürfungen feststellen zu können. Nachdem er Einreibungen und Umschläge verordnet hatte, trat er auf den Balkon hinaus und teilte der enthusiasmierten Menge mit, daß die Verletzungen des guten Ratsherrn Broussel nicht so schwer wären, daß man Grund zu großer Besorgnis hätte. Die Menge brach in neue Heilrufe für Broussel aus und verlor sich dann allmählich, singend und johlend, in die angrenzenden Straßen.

Die Fähre der Oise

Als Rudolf seinen Beschützer aus dem Auge verlor, den er vor der königlichen Gruft zurückgelassen und noch mit den Blicken verfolgt hatte, spornte er sein Pferd an. Fürs erste, um seinen schmerzlichen Gedanken zu entkommen, und dann, um seine Gemütserschütterung vor Olivain zu bergen, da sie sich in seinen Zügen ausprägte. In Verberie befahl Rudolf, daß sich Olivain nach dem jungen Edelmann erkundige, der ihnen voraus war; man sah ihn etwa vor drei Viertelstunden vorüberreiten, allein er war, wie der Wirt aussagte, gut zu Pferde und machte einen scharfen Ritt. »Suchen wir ihn einzuholen,« sprach Rudolf zu Olivain, »er zieht zum Heere, wie wir, und kann uns ein angenehmer Gesellschafter werden.«

Es war vier Uhr nachmittag, als Rudolf in Compiegne ankam; er speiste mit gutem Appetit und erkundigte sich nach jenem jungen Edelmanne; er war, wie Rudolf, im Gasthause »zur Glocke« und »Flasche« eingekehrt, dem besten in Compiegne, und setzte seine Reise mit dem Bedeuten fort, er wolle in Royon übernachten. »Wir wollen gleichfalls in Noyon übernachten,« sagte Rudolf. »Gnädigster Herr,« entgegnete Olivain ehrerbietig, »erlauben Sie mir zu bemerken, daß wir diesen Morgen unsere Pferde schon sehr angestrengt haben. Ich denke, es wäre gut, hier zu übernachten und morgen wieder frühzeitig aufzubrechen.«

»Es ist der Wunsch des Herrn Grafen de la Fere, daß ich mich beeile,« erwiderte Rudolf, »und er will, daß ich den Prinzen am Morgen des vierten Tages eingeholt habe, reiten wir somit nach Noyon, das wird ein Tagesritt, denen ähnlich, sein, die wir von Blois nach Paris gemacht haben. Um acht Uhr können wir anlangen: dann haben die Pferde die ganze Nacht, um auszuruhen, und morgen früh um fünf Uhr begeben wir uns wieder auf den Weg.« Olivain getraute sich nicht, diesem Beschlüsse zu widerstreben, doch folgte er murrend. »Nur fort! nur fort!« murmelte er zwischen seinen Zähnen, »vergeudet Euer Feuer schon am ersten Tage, morgen werdet Ihr statt zwanzig nur zehn Meilen weit kommen, übermorgen nur fünf und in drei Tagen liegt Ihr im Bette. Da müßt Ihr Euch wohl ausrasten. Alle diese jungen Leute sind nur Großsprecher.« Man sieht, Olivain war nicht in der Schule gebildet wie die Blanchets und Grimauds. So ritt er immer weiter, und da er Olivains Bemerkungen zum Trotze den Schritt seines Pferdes mehr und mehr beschleunigte, und einen reizenden Feldweg einschlug, der zu einer Fährte führte, und die Reise, wie man ihm versicherte, um eine Meile abkürzte, so gelangte er auf den Gipfel einer Anhöhe und erblickte vor sich den Fluß. Es hielt eben eine kleine Schar Männer am Ufer, und schickte sich an überzufahren. Rudolf zweifelte nicht, daß das der junge Edelmann mit seinem Gefolge sei; er erhob einen Ruf, doch war er noch zu weit entfernt, um vernommen zu werden; nun setzte Rudolf sein Pferd, ob es auch schon müde war, in Galopp, jedoch eine Versenkung des Weges raubte ihm alsbald den Anblick der Reisenden, und als er auf eine neue Anhöhe kam, hatte die Fährte bereits das Ufer verlassen und steuerte dem jenseitigen zu.

Als Rudolf sah, daß er nicht mehr früh genug ankommen könnte, um zugleich mit den Reisenden überzuschiffen, hielt er an und wartete auf Olivain. In diesem Momente hörte man ein Geschrei, das vom Flusse zu kommen schien. Rudolf wandte sich nach der Richtung hin, woher das Schreien kam, hielt die Hand vor seine von der Sonne geblendeten Augen und rief aus: »Was sehe ich denn dort. Olivain?« Da erschallte ein zweites, noch durchdringenderes Geschrei. »O, gnädigster Herr, das Seil der Fährte ist gerissen und das Schiff gleitet ab. Doch was sehe ich im Wasser - es plätschert!« »Ha, gewiß,« rief Rudolf aus, und heftete seine Blicke auf einen

Punkt des Ufers, den die Sonnenstrahlen glänzend beschienen, »es ist ein Pferd - ein Reiter!« - »Sie versinken!« schrie Olivain.

Das geschah in Wahrheit, und auch Rudolf war überzeugt, daß da ein Unglück vorging und ein Mensch ertrinke. Er ließ seinem Pferde die Zügel, setzte die Sporen ein, und vom Schmerz angestachelt, sprang das Tier, dem Raum überlassen, über eine Art Geländer, welches den Überfahrtsplatz einschloß, und stürzte in den Fluß, wobei es weithin schäumende Wellen spritzte. »O, gnädigster Herr,« rief Olivain, »was tun Sie denn? Ach, mein Gott!« Rudolf lenkte sein Pferd nach dem Gefährdeten. Übrigens war das eine Übung, mit der er schon vertraut war. Erzogen an den Ufern der Loire, ward er gleichsam in ihren Wellen gewiegt, hundertmal hatte er zu Pferd, tausendmal schwimmend an das andere Ufer gesetzt. Athos hatte ihn mit Hinblick auf die Zeit, wo er ihn zum Krieger bilden würde, an alle diese Wagnisse gewöhnt. »Ach, mein Gott!« fuhr Olivain verzweiflungsvoll fort: »was würde der Herr Graf sagen, wenn er Sie erblickte?« »Der Herr Graf machte es wie ich,« entgegnete Rudolf und trieb sein Pferd dringlich an. »Aber ich! aber ich!« stammelte Olivain, blaß und verzweifelt am Ufer auf und ab reitend, wie komme denn ich über den Fluß?« »Spring' hinein. Feiger!« rief Rudolf, und schwamm immer weiter. Dann wandte er sich gegen den Reisenden der sich zwanzig Schritte weiter von ihm abrang und rief ihm zu: »Mut, mein Herr, Mut! man eilt Ihnen schon zu Hilfe.« Olivain ritt vor, wich zurück, ließ sein Pferd sich bäumen, ließ es sich wenden, und sprengte zuletzt von Scham gespornt in den Strom, wie es Rudolf getan, schrie aber wiederholt:»Ich bin tot, wir sind verloren!«