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Inzwischen hatte sich die Fähre, von der Flut fortgerissen, schnell entfernt, und man hörte diejenigen schreien, welche sie mit sich trug. Ein Mann mit grauen Haaren warf sich aus der Fähre in den Fluß und schwamm behend auf die gefährdete Person zu; da er aber gegen den Strom schwimmen mußte, kam er nur langsam heran. Rudolf setzte seinen Weg fort, und zwar mit Erfolg, allein der Reiter und das Pferd, die er nicht aus den Augen ließ, sanken sichtlich unter. Das Pferd war nur noch mit den Nüstern über dem Wasser, und der Reiter, der im Todeskampfe die Zügel losgelassen, streckte die Hände aus und neigte den Kopf über. Eine Minute noch, und alles war verschwunden. »Mut!« schrie Rudolf, »Mut!«»Zu spät,« lallte der junge Mann, »zu spät!« Das Wasser wallte über seinen Kopf und erstickte ihm die Stimme im Munde.

Rudolf sprang von seinem Pferde, überließ ihm die Sorge für seine eigene Rettung, und war in drei bis vier Stoßen bei dem Edelmann. Er faßte das Pferd sogleich bei der Gebißkette an, und hob ihm den Kopf aus dem Wasser; nun atmete das Tier freier, und als hätte es verstanden, daß man ihm zu Hilfe komme, verdoppelte es seine Anstrengungen. Zu gleicher Zeit ergriff Rudolf eine Hand des jungen Mannes und näherte selbe der Mähne, an die er sich mit der krampfhaften Festigkeit eines untergehenden Menschen anklammerte. In der Überzeugung nun, daß der Reiter nicht mehr loslasse, kümmerte sich Rudolf nur um das Pferd, half ihm, das Wasser durchschneiden und belebte es durch Zuruf. Auf einmal stieß das Pferd auf seichten Grund und faßte Fuß im Sande.»Gerettet!« rief der Mann mit grauen Haaren, indem er gleichfalls Grund fand. »Gerettet!« stammelte unwillkürlich der Edelmann, während er die Mähne losließ, und vom Sattel herab Rudolf in die Arme glitt. Rudolf befand sich nur noch zehn Schritte weit vom Gestade, er trug den ohnmächtigen Edelmann dahin, legte ihn auf den Rasen nieder, löste die Schleifen seines Kragens und öffnete die Schnallen des Wamses. Eine Minute darauf war der Mann mit den grauen Haaren bei ihm. Endlich erreichte auch Olivain nach vielen Bekreuzungen das Ufer, und die Schiffsleute steuerten mittels eines Fahrbaumes, der sich zufällig im Schiffe befand, so gut sie konnten, an das Gestade.

Auf die Bemühungen Rudolfs und des Mannes, der den jungen Edelmann begleitete, lehrte allgemach wieder Leben zurück auf die blassen Wangen des Sterbenden, die anfangs stieren Augen öffneten sich und richteten sich alsbald auf seinen Retter. »Ha, mein Herr.« rief er aus, »Euch suchte ich, ohne Euch wäre ich des Todes, dreimal des Todes!« »Wie Ihr aber seht, mein Herr, seid Ihr wieder auferstanden,« entgegnete Rudolf, »und wir werden das alles für ein Bad hinnehmen.« »O, mein Herr, wie verpflichtet sind wir Euch!« rief der Mann mit den grauen Haaren. »Ah! Ihr seid hier, mein guter d'Arminges? nicht wahr, ich habe Euch große Angst gemacht? Allein das ist Eure Schuld; Ihr waret mein Hofmeister, warum ließet Ihr mich nicht besser im Schwimmen unterrichten.« »Ach, Herr Graf,« erwiderte der Greis, »wenn Ihnen ein Unglück begegnet wäre, so hätte ich mich nie wieder vor den Marschall gewagt.« »Wie ist denn aber die Sache zugegangen?« fragte Rudolf. »O, mein Herr, auf die einfachste Art,« erwiderte derjenige, dem man den Titel eines Grafen beigelegt hatte. Wir befanden uns etwa auf dem dritten Teil des Flusses, als das Seil der Fähre riss. Bei dem Geschrei und Tumult der Schiffsleute wurde mein Pferd scheu und sprang ins Wasser. Ich schwimme nur schlecht und getraue mich nicht, mich in die Wellen zu werfen. Statt daß ich die Bewegungen meines Pferdes unterstützt hätte, habe ich sie gelähmt, und war nahe daran, auf die schönste Weise von der Welt unterzugehen, als Ihr eben zurecht ankamet, um mich aus dem Wasser zu ziehen. Ist es Euch daher gleichfalls gefällig, mein Herr, so sei es fortan unter uns auf Leben und Tod.« »Mein Herr,« entgegnete Rudolf sich verneigend, »ich versichere, daß ich ganz Euer Diener bin.« »Ich nenne mich Graf von Guiche,« sprach der Kavalier, »mein Vater ist der Marschall von Grammont; da Ihr jetzt wißt, wer ich bin, werdet Ihr mir auch die Ehre erzeigen und sagen, wer Ihr seid.« »Ich bin der Vicomte von Bragelonne,« antwortete Rudolf mit Erröten, daß er den Vater nicht nennen konnte, wie es der Graf von Guiche getan. »Vicomte, Euer Gesicht, Eure Güte und Euer Mut fesseln mich; Ihr besitzt schon meine ganze Dankbarkeit, umarmen wir uns, ich bitte um Eure Freundschaft.« Rudolf erwiderte die Umarmung des Grafen und sagte: »Ich liebe Euch bereits aus ganzem Herzen, und bitte Euch, verfügt über mich wie über einen treuen Freund.« »Nun, Vicomte, wohin reiset Ihr?« fragte der Graf. »Zum Heere Seiner Hoheit des Prinzen.« »Auch ich,« rief der junge Mann im Tone der Freude. »O desto besser, wir werden mitsammen die erste Pistole abfeuern.« »Und nun,« sprach der Erzieher, »müssen Sie die Kleider wechseln; Ihre Diener, denen ich meine Aufträge in dem Momente gegeben, wo Sie die Fähre verlassen haben, müssen sich bereits im Gasthofe befinden. Die Wäsche und der Wein sind gewärmt. Kommen Sie.«

Scharmützel

Der Aufenthalt in Noyon währte nur kurz, jeder machte da einen tiefen Schlaf. Rudolf gab Befehl, ihn zu wecken, wenn Grimaud käme, allein Grimaud kam nicht. Die Pferde stellten sich ohne Zweifel zufrieden mit den acht Stunden völliger Ruhe in der reichlichen Streu, die man ihnen gab. Der Graf von Guiche wurde um fünf Uhr früh von Rudolf geweckt, da er zu ihm kam, um ihm einen guten Morgen zu wünschen. Man frühstückte in aller Eile, und um sechs Uhr hatte man schon wieder zwei Meilen zurückgelegt.

Die Unterhaltung des jungen Grafen war für Rudolf höchst anziehend. Rudolf war daher ein eifriger Zuhörer, der junge Graf ein unermüdlicher Erzähler. Er war in Paris erzogen, wohin Rudolf nur einmal gekommen war, an dem Hofe, welchen Rudolf nie gesehen; seine Pagenstreiche und zwei

Duelle, zu denen er ungeachtet der Edikte und zumal ungeachtet seines Hofmeisters Mittel gefunden hatte, waren für Rudolf höchst merkwürdige Dinge. Sodann kam die Reihe an die Galanterien und Liebschaften. Auch in dieser Hinsicht hatte Bragelonne viel mehr zu hören als zu erzählen. Sonach hörte er zu und glaubte, durch drei bis vier ziemlich durchsichtige Abenteuer des Grafen zu ersehen, daß derselbe gleich ihm ein Geheimnis auf dein Grunde seines Herzens trage.

Die Pferde, welche jetzt mehr als tags zuvor geschont wurden, hielten um vier Uhr abends in Arras an. Man kam dem Kriegsschauplatze näher, und beschloß, in dieser Stadt bis zum nächsten Morgen zu bleiben, weil manchmal spanische Scharen während der Nacht Streifzüge bis in die Umgebungen von Arras machten. Die französische Armee stand von Pont a Marc bis Valenciennes und breitete sich bis Douai aus. Der Prinz selbst, hieß es, befand sich in Bethune. Die feindliche Armee dehnte sich von Cassel nach Courtray aus, und da sie jede Art Plünderung und Gewalttätigkeit verübte, so verließen die armen Grenzbewohner ihre einsam gelegenen Güter und flüchteten in befestigte Städte, die ihnen Schutz zusagten. Arras war voll von Flüchtlingen.

Am Morgen ging die Sage, der Prinz von Conde habe Bethune geräumt, um sich nach Corvin zurückzuziehen, doch habe er in der ersten Stadt eine Besatzung zurückgelassen. Da jedoch dieses Gerücht nur unbestimmt lautete, so beschlossen die zwei jungen Männer, ihren Weg nach Bethune fortzusetzen, wo sie unterwegs rechts einbiegen und nach Corvin gehen konnten. Dem Hofmeister des Grafen von Guiche war diese Gegend vollkommen bekannt; er schlug demnach vor, einen Feldweg zu nehmen, der in der Mitte zwischen der Straße nach Lens und jener nach Bethune dahinlief. In Ablain wollte man Erkundigungen einziehen und für Grimaud einen Reisebescheid zurücklassen.