Der Vermummte
Es lagen da zwei Männer ausgestreckt; der eine regungslos mit dem Antlitz gegen den Boden, von drei Kugeln durchbohrt und in seinem Blute schwimmend. Der andere, welchen die zwei Lakaien mit dem Rücken an einen Baum lehnten, verrichtete mit erhobenen Augen und gefalteten Händen ein inbrünstiges Gebet. Er war von einer Kugel getroffen worden, die ihm den oberen Schenkelknochen zerschmetterte. Die jungen Männer näherten sich zuerst dem Toten und sahen ihn erstaunt an.
»Das ist ein Priester,« sagte Bragelonne, »er hat die Tonsur. O, die Verfluchten, welche ihre Hand an Gottes Diener legen!« »Kommen Sie hierher, gnädiger Herr,« sagte Urbain, ein alter Soldat, der unter dem Kardinal-Herzog alle Feldzüge mitgemacht hatte. »Kommen Sie hierher - mit jenem andern ist es schon aus, indes dieser hier vielleicht noch zu retten wäre.« Der Verwundete lächelte traurig und sagte: »Mich kann man nicht mehr retten, doch kann man mir im Sterben beistehen.« »Seid Ihr Priester?« fragte Rudolf »Nein, Herr.« »Ich frage nur,« sagte Rudolf, »weil es mir schien, als ob Euer unglücklicher Gefährte ein Mann der Kirche sei.« »Es ist der Pfarrer von Bethune, er brachte die geweihten Gefäße seiner Kirche und den Schatz des Kapitels in Sicherheit, denn der Prinz verließ gestern unsere Stadt, wo vielleicht morgen schon der Spanier einziehen wird. Bei dem Bewußtsein nun, daß feindliche Korps in der Gegend herumstreifen und das Unternehmen gefährden, wagte es niemand, ihn zu begleiten; und so habe ich mich angetragen.« »Und diese Nichtswürdigen haben Euch überfallen, diese Ruchlosen haben auf einen Priester geschossen!« »Ich bin sehr leidend,« sprach der Verwundete und blickte um sich, »und demnach wünschte ich in irgendein Haus gebracht zu werden.« »Wo man Euch Beistand leisten könnte?« fragte de Guiche. »Nein, wo ich beichten könnte.« »Vielleicht seid Ihr aber doch nicht so gefährlich verwundet, als Ihr es meint,« bemerkte Rudolf. »Glauben Sie mir, o Herr,« entgegnete der Verwundete, »es ist da keine Zeit zu verlieren, die Kugel zerschmetterte mir den Schenkelknochen, und drang bis in die Eingeweide.« »Seid Ihr Arzt?« fragte de Guiche. »Nein,« erwiderte der Sterbende, »allein ich verstehe mich ein bißchen auf Verwundungen, und die meinige ist tödlich. Versuchen Sie also, mich irgendwo hinzubringen, wo ich einen Priester finde, oder bemühen Sie sich, mir einen hierher zu führen, und Gott lohne Sie für diese fromme Tat; meine Seele muß gerettet werden; mein Leib, ach! ist schon verloren!« »Man stirbt nicht bei der Übung eines guten Werkes, und Gott wird Euch beistehen.« »Meine Herren, in des Himmels Namen!« sprach der Verwundete, wobei er, als wollte er aufstehen, alle Kräfte zusammenraffte, »lassen Sie uns mit unnützen Worten keine Zeit verlieren; entweder helfen Sie mir nach dem nächsten Dorfe zu kommen, oder schwören Sie mir bei Ihrer Seligkeit, daß Sie mir den ersten Mönch, den ersten Pfarrer, den ersten Priester, auf den Sie treffen, hierher schicken wollen. Jedoch,« fuhr er mit dem Ausdruck von Verzweiflung fort, »vielleicht getraut sich niemand, hierher zu kommen, da man weiß, daß die Spanier diese Gegend durchstreifen, und so werde ich ohne Absolution sterben. Ach, mein Gott! mein Gott!« stammelte der Todeskranke mit dem Ausdrucke des Entsetzens, der die jungen Männer mit Schauder erfüllte, »du wirst das nicht zulassen, nicht wahr? das wäre zu schrecklich, o Gott!« »Beruhigt Euch, mein Herr,« tröstete de Guiche, »ich schwöre Euch, Ihr sollet den gewünschten Trost erlangen. Sagt uns nur, wo es hier ein Haus gibt, in welchem wir Hilfe ansprechen, und ein Dorf, wo wir einen Priester holen könnten?« »Ich danke und Gott wolle es belohnen. Eine halbe Meile von hier an der Straße liegt ein Wirtshaus, und etwa eine Meile über das Wirtshaus hinaus das Dorf Greney. Suchen sie dort den Pfarrer auf, und ist dieser nicht zu Hause, so gehen Sie nach dem Augustinerkloster, welches hinter dem letzten Hause des Dorfes rechts liegt, und holen Sie mir irgendeinen Priester unserer Kirche, der die Gewalt hat, in articulo mortis zu absolvieren.« »Herr d'Arminges!« rief de Guiche, »bleibt bei diesem Unglücklichen, und lasset ihn so vorsichtig als möglich fortschaffen. Baut eine Tragbahre aus Baumästen und breitet alle unsere Mäntel darüber; zwei von unseren Lakaien sollen ihn tragen, indes sich der dritte bereit halte, denjenigen abzulösen, welcher müde ist. Ich und der Vicomte wollen einen Priester holen.« »Gehen Sie, Herr Graf, begeben Sie sich aber in des Himmels Namen in keine Gefahr.« »Seid unbekümmert, überdies sind wir für heute gerettet und Ihr kennt das Axiom: Non bis in idem.« »Seid guten Mutes,« sprach Rudolf zu dem Verwundeten, »wir wollen Eurem Wunsche nachkommen.« »Gott segne Sie, meine Herren,« entgegnete der Todeskranke mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Dankgefühl.
Sonach sprengten die zwei jungen Männer in der angegebenen Richtung davon, indes der Hofmeister des Herzogs von Guiche die Anfertigung der Tragbahre leitete. Nach Verlauf von zehn Minuten bemerkten die zwei jungen Männer das angedeutete Wirtshaus. Ohne daß Rudolf vom Pferde stieg, zeigte er dem Wirte an, man werde einen Verwundeten zu ihm bringen, und bat ihn, er möge indes alles das zurechtrichten. was zu seiner Pflege und zum Verbande erforderlich wäre, nämlich ein Bett, Binden und Scharpie; überdies forderte er ihn auf, wenn er in der Umgebung irgendeinen Doktor oder Wundarzt kenne, so möge er ihn rufen lassen, die Auslagen für den Boten wolle er besorgen. Dann begaben sie sich wieder auf den Weg nach Greney. Sie waren bereits über eine Meile weit geritten und bemerkten schon die ersten Häuser des Dorfes, als sie einen Mann auf einem Maulesel heranreiten sahen, den sie seinem Anzuge gemäße für einen Mönch halten mußten, und wenigstens für den Augenblick nicht ahnten, daß es ein Bösewicht war, der unter dieser Vermummung um so ungestörter seine bösen Zwecke zu erreichen hoffte. Da ihnen nun der Zufall das zu senden schien, was sie eben suchten, näherten sie sich diesem Manne, den wir vorläufig Francis nennen wollen. Es war ein Mann von etwa zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig Jahren. Doch hatten ihn die Kasteiungen dem Anscheine nach gealtert. Er war blaß, doch nicht von jener Blässe, die häufig als Schönheit gilt, sondern von einem gallsüchtigem Gelb; seine kurzen Haare, die kaum aus dem Kreise hervortraten, den sein Hut um seine Stirn beschrieb, waren von mattem Blond und in seinen hellblauen Augen schien kein Blick zu leuchten.
»Seid Ihr Priester, mein Herr?« fragte Rudolf mit seiner gewohnten Artigkeit. »Weshalb fragt Ihr?« entgegnete der Unbekannte mit einer fast unhöflichen Gleichgültigkeit. »Um es zu wissen, « erwiderte mit Stolz der Graf von Guiche. Der Fremde spornte sein Maultier an und ritt weiter. De Guiche sprengte ihm zuvor und versperrte ihm den Weg. »Gebt Antwort,« sprach er, »wir haben Euch höflich gefragt und jede Frage ist eine Antwort wert.« »Ich hoffe doch, daß es mir freisteht, den beiden ersten besten Leuten, denen es beikommt, mich zu fragen, zu sagen, oder nicht zu sagen, wer ich bin?« De Guiche unterdrückte mühevoll die flammende Lust, die er empfand, diesem Mönche die Rippen einzustoßen. Er beherrsche sich jedoch und sprach: »Wir sind zuvörderst keine zwei ersten, besten Leute, mein Freund! Hier ist der Vicomte von Bragelonne und ich bin der Graf von Guiche. Sodann richten wir diese Frage nicht in vorwitziger Laune an Euch, denn es ist da ein verwundeter und sterbender Mann, der den Beistand der Kirche verlangt. Wenn Ihr nun wirklich Priester seid, so fordere ich Euch auf, im Namen der Menschlichkeit mir zu folgen und jenem Manne beizustehen, und seid Ihr es nicht, nun, so ist es etwas anderes.«