Der Scharfrichter stieß den ersten Schrei aus, jenen furchtbaren Schrei, den man zuerst vernommen hatte, und stammelte: »O, verzeiht mir, ja, verzeiht mir, wenn nicht im Namen Gottes, doch mindestens in Eurem Namen; wenn nicht als Priester, doch mindestens als Sohn.« »Dir verzeihen?« rief der falsche Mönch, »dir verzeihen? das mag Gott vielleicht tun, allein ich -niemals.« »Aus Barmherzigkeit!« stammelte der Scharfrichter, und streckte beide Arme nach ihm aus. »Keine Barmherzigkeit für den, der kein Erbarmen gehabt hat; stirb unbußfertig, stirb in Verzweiflung, fahre zur Verdammnis.« Da zog er einen Dolch unter dem Gewande hervor und bohrte ihm denselben in die Brust. »Da hast du,« sprach er, »meine Lossprechung.«
Grimaud spricht
Grimaud war allein bei dem Scharfrichter zurückgeblieben; der Wirt war fortgeeilt, um Hilfe zu holen, und die Wirtin betete. Nach einem Weilchen öffnete der Verwundete seine Augen wieder. »Hilfe!« stammelte er, «Hilfe! ach, mein Gott! finde ich denn keinen Freund mehr hienieden, der mir im Leben oder im Tode beisteht?« Er legte mit Anstrengung die Hand auf seine Brust - wo er dem Griffe des Dolches begegnete. »O,« stöhnte er wie ein Mensch, der sich erinnert, dann ließ er seinen Arm zur Seite herabgleiten. »Mut gefaßt, « rief ihm Grimaud zu, »man holt Hilfe herbei.« »Wer seid Ihr?« fragte der Verwundete und starrte Grimaud mit weit geöffneten Augen an. »Ein alter Bekannter,« entgegnete Grimaud. »Ihr?« Der Verwundete suchte sich an die Züge desjenigen zu erinnern, der so mit ihm sprach, und fragte: »Bei welcher Gelegenheit trafen wir uns denn?« »Vor zwanzig Jahren in einer Nacht. Mein Herr holte Euch in Bethune ab und führte Euch nach Armentieres.« »Nun erkenne ich Euch,« versetzte der Scharfrichter, »Ihr wäret einer von den vier Dienern.« »Ganz richtig.« »Woher kommt Ihr?« »Ich reiste die Straße vorbei und lehrte in diesem Wirtshause ein, um mein Pferd sich erfrischen zu lassen. Man sagte mir, der Scharfrichter von Bethune liege hier verwundet, als Ihr zwei Schreie ausstießet. Bei dem erste« eilten wir herbei, bei dem zweiten sprengten wir die Türe.« «Und der Mönch?« fragte der Scharfrichter, »sahet Ihr den Mönch?« »Nein, er war nicht mehr hier; er scheint durch das Fenster entflohen zu sein; hat denn er Euch verwundet?« »Ja,« entgegnete der Scharfrichter.
Grimaud machte Miene, als wollte er sich entfernen. »Was wollt Ihr tun?« fragte der Verwundete. »Man muß ihm nachsetzen.« »Davor hütet Euch wohl.« »Weshalb?« »Er hat sich gerächt, und tat wohl daran. Jetzt erst, da ich abbüße, hoffe ich auf Gottes Vergebung.« »Erklärt Euch,« sagte Grimaud. »Jene Frau, die Eure Herren und Ihr mich töten ließet.« »Mylady?« »Ja, Mylady, richtig, Ihr habt sie so genannt ...« »In welcher Beziehung steht Mylady mit dem Mönch?« «Sie war seine Mutter.« Grimaud schauderte und starrte den Sterbenden mit trüben, fast lichtlosem Augen an. »Seine Mutter?« wiederholte er. »Ja, seine Mutter.« »Kennt er also jenes Geheimnis?« »Ich hielt ihn für einen Mönch, und entdeckte es ihm.« »Unglückseliger!« rief Grimaud, dem sich schon bei dem bloßen Gedanken an die Folgen, die eine solche Entdeckung haben könne, die Haare mit Schweiß befeuchteten; »Unglückseliger, Ihr nanntet doch niemanden, wie ich hoffe?« »Ich sprach keinen Namen aus, da ich keinen kannte, ausgenommen den Geschlechtsnamen seiner Mutter, woran er sie erkannt hat; allein er weiß, daß sein Oheim unter der Zahl der Richter war.«
Nach diesen Worten sank er erschöpft zurück. Grimaud wollte ihm Hilfe leisten und streckte die Hand aus nach dem Hefte des Dolches. Rührt mich nicht an,« sprach der Scharfrichter; »wie man diesen Dolch herauszieht, muß ich sterben.« Grimaud blieb mit ausgestreckter Hand stehen, dann schlug er sich plötzlich mit der Hand vor die Stirn und rief: »Ha, wenn dieser Mensch je erfährt, wer die anderen sind, so ist mein Herr verloren.« »Eilt,« rief der Scharfrichter, »eilt und warnt ihn, wenn er noch lebt; eilt, und warnet die Freunde. Seid überzeugt, mit meinem Tode entwickelt sich noch nicht jenes schreckliche Abenteuer.« »Wohin ist er gegangen?« fragte Grimaud. »Nach Paris.« »Wer hat ihn angehalten?« »Zwei junge Edelleute, die sich zu dem Heere begaben, und von denen der eine, dessen Namen ich von seinem Begleiter aussprechen hörte, sich Vicomte von Bragelonne genannt hat.« »Und dieser junge Mann führte Euch den Mönch zu?« »Ja.« Grimaud schlug die Augen zum Himmel auf und rief: »So war es denn Gottes Wille.« »Zweifelsohne,« entgegnete der Verwundete. »Dann ist es entsetzlich,« seufzte Grimaud, »und doch hat dieses Weib ihr Los verschuldet. Seid Ihr denn nicht auch dieser Ansicht?« »Im Augenblick des, Todes,« versetzte der Scharfrichter, erscheinen uns die Sünden anderer seht klein im Vergleiche zu den unsrigen.« Darauf sank er abermals erschöpft zurück und schloß die Augen.
Der Arzt war gekommen und näherte sich dem Sterbenden, der ohnmächtig schien. Wie schon gesagt, war der Dolch bis an den Griff hineingebohrt. Der Wundarzt erfaßte das Ende des Heftes; nach Maßgabe, als er an sich zog, öffnete der Verwundete mit entsetzlicher Starrheit die Augen. Als die Klinge völlig aus der Wunde gezogen, bedeckte ein rötlicher Schaum den Mund des Unglücklichen, dann spritzte in dem Momente, wo er Atem holte, ein Blutstrom aus der Mündung der Wunde empor; der Sterbende stierte mit einem eigenen Ausdruck Grimaud an, stieß ein dumpfes Röcheln aus und veratmete auf der Stelle.
Grimaud nahm nun den mit Blut übergossenen Dolch, der auf dem Boden lag. Er war anfangs gewillt, geradewegs nach Paris zurückzukehren, allein er dachte an die Besorgnisse, in die seine längere Abwesenheit Rudolf versetzen würde; er dachte, Rudolf wäre nur zwei Meilen voraus, und er könnte in einer halben Stunde bei ihm sein, wobei zum Hin- und Zurückreiten und Erklären nur eine Stunde erforderlich wäre; sonach sprengte er von hinnen, und war in zwanzig Minuten bei dem Mulet couronne, dem einzigen Gasthofe in Mazingarde. Er war bei den ersten Worten, die er mit dem Wirte wechselte, versichert, daß er den eingeholt habe, welchen er suchte.