Rudolf saß eben mit dem Grafen von Guiche und seinem Hofmeister zu Tische. Auf einmal ging die Türe auf, und Grimaud trat ein, bleich, und bedeckt mit dem Blute jenes Unglücklichen. »Grimaud, mein guter Grimaud!« rief Rudolf, »endlich bist du hier! Entschuldigt, meine Herren, er ist kein Diener, er ist ein Freund.« Er stand auf, eilte ihm entgegen und fuhr fort: »Doch was ist dir denn? Wie bleich du aussiehst - Blut! woher kommt dieses Blut?«
»Wirklich, das ist Blut,« sprach der Graf, indem er aufstand. »Bist du verwundet, mein Freund?«
»Nein, gnädiger Herr,« versetzte Grimaud, »dieses Blut ist nicht das meinige.«
»Also wessen denn?« fragte Rudolf.
»Es ist das Blut jenes Unglücklichen, den Sie im Wirtshaus zurückgelassen haben, und der in meinen Armen gestorben ist.«
»In deinen Armen - jener Mann? weißt du, wer es war?«
»Ja,« erwiderte Grimaud. »Es war der vormalige Scharfrichter von Bethune.«
»Das weiß ich.«
»Du kanntest ihn?«
»Ich kannte ihn.«
»Und er starb?«
»Ja.«
Die zwei jungen Männer blickten einander an. »Geh, Grimaud, und laß dich bedienen; schaffe an, bestelle, und wenn du dich erquickt hast, so laß uns plaudern.«
»Nein, gnädiger Herr, nein,« antwortete Grimaud, »ich kann hier keinen Augenblick verweilen, ich muß nach Paris zurückkehren.«
»Wie, du kehrest nach Paris zurück? Du irrst; Olivain geht dahin und du bleibst hier.«
»Im Gegenteil, Olivain wird bleiben, und ich reise, ich bin ausdrücklich gekommen, um es Ihnen zu melden.«
»Aus welcher Veranlassung ward das abgeändert?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Erkläre dich.«
»Ich kann mich nicht erklären.«
»Geh doch, was soll dieser Scherz?«
»Der Herr Vicomte weiß, daß ich niemals scherze.«
»Ja. allein ich weiß auch, daß der Herr Graf de la Fere zu mir sagte, du würdest bei mir bleiben, und Olivain sollte nach Paris zurückgehen. Ich werde mich an die Befehle des Herrn Grafen halten.«
»Doch nicht unter diesen Umständen, gnädiger Herr!«
»Willst du mir etwa ungehorsam werden?«
»Ja, gnädigster Herr, da es sein muß.«
»Also bestehst du darauf?«
»Ich gehe, Herr Vicomte; seien Sie glücklich.«
Grimaud verneigte sich und wandte sich der Türe zu, um fortzugehen. Rudolf war entrüstet und zugleich besorgt, stürzte ihm nach und hielt ihn am Arm zurück, während er ausrief: »Grimaud, du bleibst hier, ich will es!«
»Dann,« erwiderte Grimaud, »dann wollen Sie, daß ich den Herrn Grafen ermorden lasse.« Grimaud verneigte sich abermals und machte Miene, sich zu entfernen. »Ha, Grimaud, mein Freund!« rief der Vicomte, »du wirst nicht so fortgehen, und mich in solcher Angst lassen. Rede, Grimaud, im Namen des Himmels, rede!« Rudolf sank ganz wankend auf einen Stuhl nieder. »Ich kann Ihnen nur eins mitteilen, gnädiger Herr, denn das Geheimnis, das Sie von mir fordern, gehört nicht mir. Nicht wahr. Sie sind einem Mönche begegnet?« »Ja.« Die zwei Männer blickten sich voll Schauder an. »Sie haben ihn zu dem Verwundeten gebracht?« »Ja.« »So hatten Sie Zeit, ihn zu sehen?« »Ja.« »Und vielleicht werden Sie ihn wieder erkennen, wenn Sie ihm je noch einmal begegnen sollten?« »O ja, das schwöre ich!« rief Rudolf. »Auch ich,« sagte de Guiche. »Nun, wenn Sie diesem Menschen, der nicht Mönch ist, je wieder begegnen, wo es auch wäre, auf der Heerstraße, in der Stadt, in irgendeinem Gebäude, so setzen Sie den Fuß auf ihn und zermalmen Sie ihn ohne Mitleid, ohne Erbarmen, wie Sie es mit einer Viper, einer Schlange, einer Schleiche tun würden; treten und lassen Sie ihn nicht früher los, bis er völlig tot ist, denn so lang er lebt, bleibt mir das Leben von fünf Menschen zweifelhaft.« Und ohne daß Grimaud noch ein Wort beifügte, benützte er das Erstaunen und den Schrecken, in welche er diejenigen versetzt hatte, die ihn anhörten, um aus dem Zimmer zu eilen.
Am Tage vor der Schlacht
Rudolf ward aus seinen düsteren Betrachtungen durch den Wirt gezogen, der rasch in das Zimmer trat, worin der eben erzählte Auftritt stattgefunden hatte, und ausrief: »Die Spanier! die Spanier!« Indes nun Herr d'Arminges Befehl gab, daß die Pferde zum Aufbruch bereitgehalten werden, gingen die zwei jungen Männer zu den höchsten Fenstern im Hause, welche die Aussicht auf die Umgebung hatten, und sahen wirklich in der Richtung gegen Mersin und Sains ein starkes Infanterie- und Kavalleriekorps heranrücken. Diesmal war es kein herumstreifender Haufen von Parteigängern mehr, sondern ein ganzes Heer. Es ließ sich somit kein anderer Entschluß fassen, als die verständigen Vorschriften des Herrn d'Arminges zu befolgen, und sich zurückzuziehen. Die jungen Männer gingen in Eile hinab. Herr d'Arminges saß schon zu Pferde. Olivain hielt die zwei Pferde der jungen Herren an der Hand, und die Lakaien des Grafen von Guiche bewachten sorgsam zwischen sich den spanischen Gefangenen, der auf einem Gaule ritt, den man für ihn kaufte. Man hatte ihm zur größeren Vorsicht die Hände gefesselt.
Die kleine Truppe ritt im Trab auf dem Wege nach Cambrin dahin, wo man den Prinzen zu treffen hoffte, allein er war seit gestern nicht mehr dort, sondern zog sich zurück nach la Basssee, da ihm eine falsche Botschaft meldete, der Feind setze über die Lys bei Estaire.
Da nun der Prinz durch diese Botschaft getäuscht war, so zog er seine Truppen in der Tat von Bethune zurück, vereinigte alle seine Streitkräfte zwischen Vieille-Chapelle und Benthie, und da er eben von einer Rekognoszierung auf der ganzen Linie mit dem Marschall von Grammont zurückgekehrt war, so setzte er sich zu Tische und befragte die Offiziere, welche an seiner Seite saßen, über die Erkundigungen, die seinem Auftrage gemäß, jeder von ihnen einzuziehen hatte, doch wußte niemand ihm bestimmte Nachrichten zu geben. Die feindliche Armee hatte sich seit achtundvierzig Stunden aus dem Gesichtsfelde verloren und schien verschwunden zu sein. Der Marschall von Grammont erbat sich mit einem Blick die Erlaubnis des Prinzen und ging hinaus. Der Prinz folgte ihm mit den Augen, und seine Blicke blieben auf die Türe geheftet, da niemand zu sprechen wagte, aus Furcht, ihn in seinen Gedanken zu stören.
Auf einmal ertönte ein dumpfer Donner; der Prinz stand schnell auf und streckte die Hand in der Richtung aus, woher der Donner kam. Er kannte recht gut diesen Donner - es war der von Kanonen. Jeder stand auf wie er. In diesem Momente ging die Türe auf. »Gnädigster Herr,« sprach der Marschall von Grammont strahlend, »wollen Ew. Hoheit zu erlauben geruhen, daß mein Sohn, der Graf von Guiche, und sein Reisegefährte, der Vicomte von Bragelonne» Ihnen Nachrichten über den Feind bringen, den wir suchen, und den sie gefunden haben?« »Wie doch, erlauben?« entgegnete der Prinz lebhaft; »ich erlaube es nicht bloß, sondern wünsche es; laß sie eintreten.«
Der Marschall führte die zwei jungen Männer heran, sie standen vor dem Prinzen. »Redet, meine Herren,« sprach der Prinz, sie begrüßend, »erst redet, und dann wollen wir uns die üblichen Komplimente machen. Das
Dringlichste für uns alle ist jetzt, zu erfahren, wo der Feind steht, und was er tut. Dem Grafen von Guiche stand natürlicherweise das Wort zu; er war nicht bloß der ältere der zwei jungen Männer, sondern er wurde auch noch von seinem Vater dem Prinzen vorgestellt. Überdies kannte er den Prinzen schon seit langem, während ihn Rudolf heute zum ersten Male sah. Somit berichtete er dem Prinzen das, was sie im Wirtshause zu Mazingarde gesehen hatten.