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»Ich werde das wohl erfahren, Guitaut,« versetzte Mazarin. Und da der Kardinal in diesem Momente mit seinem Begleiter im Hofraume des Palais Royal angekommen war, so entließ er Guitaut durch einen Gruß mit der Hand, und als er einen auf- und abgehenden Offizier bemerkte, so ging er auf ihn zu.

Es war d'Artagnan, welcher dem Befehle des Kardinals gemäß wartete. D'Artagnan verbeugte sich, folgte dem Kardinal über die geheime Treppe, und befand sich alsbald wieder in dem Arbeitszimmer, von dem er ausgegangen war. Der Kardinal setzte sich an seinen Schreibtisch, nahm ein Blatt Papier und schrieb darauf einige Zeilen. D'Artagnan blieb gleichgültig stehen, und harrte ohne Ungeduld, wie ohne Neugierde. Er war ein militärischer Automat geworden, und handelte oder gehorchte vielmehr, wie durch Federn in Bewegung gesetzt. Der Kardinal faltete den Brief und siegelte ihn. »Herr d'Artagnan,« sprach er, »tragt diese Depesche nach der Bastille und führt die Person hierher, von der darin die Rede ist; nehmt einen Wagen mit einer Bedeckung und bewacht sorgfältig den Gefangenen.« D'Artagnan ergriff den Brief und legte die Hand an seinen Hut.

Zwei alte Feinde

D'Artagnan kam in der Bastille an, als es eben halb neun Uhr schlug. Er ließ sich bei dem Gouverneur anmelden, und als dieser hörte, daß er mit einem Befehl und im Namen des Ministers komme, so ging er ihm bis zur Freitreppe entgegen. Der Gouverneur der Bastille war damals Herr du Tremblay, Bruder des Kapuziners Joseph, Günstling von Richelieu, mit dem Beinamen: die graue Eminenz.

Als d'Artagnan dort ankam, um den Auftrag des Ministers zu vollziehen, empfing er ihn mit aller Artigkeit, und da er sich eben zu Tische setzen wollte, so lud er d'Artagnan ein, mit ihm zu nachtmahlen. »Ich würde das mit dem größten Vergnügen annehmen,« entgegnete d'Artagnan, »allein wenn ich nicht irre, so steht auf dem Umschlag des Briefes: sehr eilig.«

»Es ist so,« sprach Herr du Tremblay.

»Holla Major, man lasse Nr. 256 herabkommen.«

Beim Eintritt in die Bastille hörte man auf, ein Mensch zu sein, man wurde bloß eine Nummer. Es ertönte ein Glockenschlag. »Ich verlasse Sie,« sprach Herr du Tremblay zu ihm, »man ruft mich, daß ich die Wegbringung des Gefangenen unterfertigen möge. Auf Wiedersehen, Herr d'Artagnan!« Es waren keine zehn Minuten vergangen, als der Gefangene erschien. D'Artagnan machte bei seinem Anblick eine Bewegung der Überraschung, die er aber sogleich unterdrückte. Der Gefangene stieg in den Wagen, ohne daß es schien, daß er d'Artagnan erkannt habe. »Meine Herren,« sprach d'Artagnan zu den vier Musketieren, »man empfahl mir die größte Wachsamkeit für den Gefangenen, und da der Wagen an seinen Schlägen keine Schlösser hat, so will ich mich zu ihm hineinsetzen. Herr von Lillebonne, seid so gefällig und führt mein Pferd am Zügel.«

»Mit Vergnügen, mein Leutnant,« antwortete der Gebetene. D'Artagnan stieg ab, gab dem Musketier den Zügel seines Pferdes, setzte sich in die Kutsche neben den Gefangenen, und sagte mit einer Stimme, an der sich unmöglich die mindeste Gemütsbewegung erkennen ließ: »Im Trab - nach dem Palais Royal!«

Der Wagen setzte sich auf der Stelle in Bewegung, und als man unter das Torgewölbe kam, benützte d'Artagnan die dort herrschende Dunkelheit, warf sich an den Hals des Gefangenen und rief: »Rochefort! Ihr - Ihr seid es wirklich? Irre ich nicht?«

»D'Artagnan!« rief nun Rochefort voll Erstaunen.

»Ach, mein armer Freund,« fuhr d'Artagnan fort, »da ich Euch seit vier oder fünf Jahren nicht mehr sah, so hielt ich Euch für tot.«

»Meiner Treue!« entgegnete Rochefort, »mich dünkt, der Unterschied ist nicht groß zwischen einem Toten und einem Begrabenen.«

»Und wegen welcher Schuld seid Ihr in der Bastille?«

»Wollt Ihr, daß ich Euch die Wahrheit gestehe?«

»Ja.«

»Nun, ich weiß es nicht.«

»Rochefort, Ihr setzet Mißtrauen in mich.«

»Nein, so wahr ich ein Edelmann bin; denn unmöglich kann ich wegen der Ursache dort sein, die man mir zur Last legt.«

»Welche Ursache?«

»Als Nachtdieb.«

»Ihr als Nachtdieb? Ha, Ihr treibt Scherz, Rochefort.«

»Ich sehe das ein, das verlangt eine Erklärung, nicht wahr?«

»Allerdings.«

»So vernehmt denn, was geschehen ist. Eines Abends, bei einem Gelage in den Tuilerien bei Reinard mit dem Herzoge d'Harcourt, Fontrailles, de Rieux und anderen, brachte der Herzog d'Harcourt in Vorschlag, auf den Pont-neuf zu gehen und Mäntel herabzureißen; wie Ihr wißt, war das eine Belustigung, welche der Herzog von Orleans sehr in die Mode brachte.«

»Waret Ihr denn verrückt - Rochefort, in Eurem Alter?«

»Nein, ich war betrunken; da mir aber das Vergnügen nicht groß schien, so schlug ich dem Chevalier de Rieux vor, lieber Zuschauer als Teilnehmer zu sein, und auf das bronzene Pferd zu steigen, um das Schauspiel vom ersten Rang aus zu sehen. Gesagt, getan. Wir waren auch mittelst der Sporen, die uns als Steigbügel dienten, im Augenblick oben, saßen vortrefflich und hatten die herrlichste Aussicht. Man hatte bereits vier oder fünf Mäntel mit unvergleichlicher Geschicklichkeit geraubt, ohne daß diejenigen, welchen man sie entriß, ein Wort zu reden wagten, als es einem mir unbekannten Kalbskopf einfiel, die Wache herbeizurufen und eine Runde Polizeisoldaten auf uns heranzuziehen. Der Herzog d'Harcourt, Fontrailles und die andern ergriffen die Flucht, dasselbe wollte de Rieux tun. Ich hielt ihn aber zurück und sprach zu ihm, man würde uns da, wo wir waren, nicht suchen. Er achtete nicht auf mich, setzte den Fuß auf den Sporen, um hinabzusteigen; der Sporen brach, er stürzte, brach ein Bein, und anstatt zu schweigen, fing er wie ein Gehenkter zu schreien an. Ich wollte gleichfalls hinabspringen, doch war es schon zu spät; ich sprang in die Arme der Büttel, welche mich nach dem Chatel führten, wo ich ruhig einschlief, in der festen Überzeugung, daß ich morgen wieder frei sein würde. Es verfloß der folgende Tag, der zweite Tag -es vergingen acht Tage - sonach schrieb ich an den Kardinal. An demselben Tage holte man mich ab und führte mich in die Bastille, wo ich seit fünf Jahren schmachte. Glaubt Ihr wohl, es war ob des Frevels, daß ich mich hinter Heinrich IV. setzte?«

»Nein, Ihr habt recht, lieber Rochefort, deshalb kann es nicht sein, doch werdet Ihr wahrscheinlich die Ursache erfahren.«

»Ach ja, ich vergaß, Euch zu fragen, wohin Ihr mich führet.«

»Zu dem Kardinal.«

»Was will er von mir?«

»Das weiß ich nicht; ja, ich wußte es nicht einmal, daß Ihr es wäret, den ich holen mußte.«

»Unmöglich! Ihr ein Günstling?«

»Ich, ein Günstling?« rief d'Artagnan. »Ach mein armer Graf, ich bin jetzt mehr ein gascognischer Junker als damals, wo ich Euch, wie Ihr wißt, vor etwa zwanzig Jahren in Meung gesehen habe!« Und ein schwerer Seufzer folgte auf die Antwort. »Ihr kommt indes mit einem Befehle?«

»Weil ich mich zufällig im Vorgemache befand und der Kardinal sich am mich wandte, wie er an jeden anderen sich gewandt hätte; ich bin aber noch immer Leutnant bei den Musketieren, und wenn ich richtig rechne, so bin ich es schon gegen einundzwanzig Jahre lang.«

»Nun, es ist Euch doch kein Unglück begegnet, und das ist viel.«

»Dann ist Mazarin immer noch Mazarin?«

»Mehr als je, mein Lieber, und wie es heißt, ist er heimlich mit der Königin verheiratet.«

»Verheiratet?«

»So sind die Frauen,« sprach d'Artagnan wie ein Philosoph. »Die Frauen, wohl, allein die Königinnen!«

»Ach, mein Gott! in dieser Hinsicht sind die Königinnen doppelt Frauen.

»Und ist Herr von Beaufort noch immer im Gefängnis?«

»Ja, immer noch; warum?«

»Ach, weil er mir gewogen war und mich hätte befreien können.«

»Wahrscheinlich seid Ihr näher daran, frei zu werden, als er, und somit wäre es an Euch, ihn zu befreien.«