»Das ist wunderbar!« versetzte Mazarin gedankenvoll. »Nun denn, ich weiß zehn ähnliche.« Mazarin sprach nicht mehr, er dachte.
So vergingen fünf bis sechs Minuten, dann sagte Rochefort: »Gnädigster Herr, Sie haben mich nichts mehr zu fragen?« »Doch. Und Herr d'Artagnan sagt Ihr, war einer dieser vier Männer?« »Er war es, der das ganze Unternehmen leitete.« »Und wer waren die andern?« »Erlauben Sie, gnädigster Herr, daß ich es Herrn d'Artagnan anheimstelle, Ihnen ihre Namen zu nennen. Sie waren seine Freunde und nicht die meinigen; nur er hatte einigen Einfluß auf sie; mir waren Sie unter ihren wirklichen Namen nicht einmal bekannt.« »Ihr setzt in mich kein Vertrauen, Herr von Rochefort. Wohlan, so will ich durchaus offenherzig sein; ich brauche Euch, ihn. Alle! -« »Beginnen wir mit mir, gnädiger Herr, da Sie mich holen ließen und ich hier bin; dann kommt an sie die Reihe. Sie werden sich wohl nicht über meine Neugierde verwundern; wenn man fünf Jahre lang im Kerker schmachtet, möchte man doch gerne wissen, wohin man geschickt wird.« »Ihr, lieber Herr von Rochefort, Ihr sollt einen vertrauten Posten bekommen. Ihr reist nach Vincennes, wo Herr von Beaufort gefangen sitzt; Ihr werdet mir ihn mit den Augen behüten. Nun, was habt Ihr?«
»Was ich habe?« versetzte Rochefort, mit betrübter Miene den Kopf schüttelnd. »Sie bieten mir da etwas Unmögliches an.«
»Was, etwas Unmögliches? wie sollte das unmöglich sein?«
»Weil Herr von Beaufort einer meiner Freunde ist, oder vielmehr ich einer der seinigen bin. Haben Sie vergessen, gnädigster Herr, daß er bei der Königin für mich Bürge stand?«
»Herr von Beaufort ist seit dieser Zeit ein Staatsfeind.«
»Ja, gnädigster Herr, das ist möglich; da ich jedoch weder König, noch Königin, noch Minister bin, so ist er nicht mein Feind; und ich kann Ihren Antrag nicht eingehen.«
»Das nennt Ihr dann Treue? Ich wünsche Euch dazu Glück. Herr von Rochefort! Eure Treue bindet Euch nicht sehr.«
»Und dann, gnädiger Herr,« fuhr Rochefort fort, »werden Sie wohl begreifen: die Bastille verlassen und nach Vincennes gehen, hieße nur das Gefängnis wechseln.«
»Sagt nur gleich, Ihr gehört der Partei des Herrn von Beaufort an, das ist Eurerseits weit offenherziger.«
»Ich saß so lang in der Haft, gnädiger Herr, daß ich nur noch für eine Partei bin, für die freie Luft. Verwenden Sie mich zu allem andern, schicken Sie mich ins Ausland, beschäftigen Sie mich auf rührige Weise, doch wo möglich auf den Heerstraßen.«
»Lieber Herr von Rochefort,« versetzte Mazarin mit seiner scherzhaften Miene, »Euer Eifer reißt Euch fort. Ihr haltet Euch für einen jungen Mann, weil das Herz noch immer jung ist, doch würde es Euch an Kraft gebrechen. Glaubt mir also, Ihr habt jetzt Ruhe nötig!«
»Sie beschließen also nichts über mich, gnädigster Herr?«
»Im Gegenteil, ich habe schon beschlossen.«
Bernouin trat ein. »Ruft einen Hüter,« sprach er, »und bleibt bei mir,« fügte er leise bei. Ein Hüter trat ein; Mazarin schrieb einige Worte, gab sie diesem Manne und verneigte den Kopf. »Adieu, Herr von Rochefort!« sprach er. Rochefort verbeugte sich ehrerbietig und sagte: »Gnädiger Herr, ich sehe, daß man mich in die Bastille zurückführt.«
»Ihr seht gut.«
»Ich gehe dahin zurück, gnädigster Herr, doch wiederhole ich, daß Sie Unrecht haben, mich nicht zu verwenden.«
Man führte Rochefort wirklich über die kleine Treppe, anstatt durch das Vorgemach, wo d'Artagnan wartete. Er traf im Hofe seine Kutsche und seine vier Mann Bedeckung, doch den Freund suchte er vergebens. »Ach, ach,« sprach Rochefort bei sich selbst, »das verändert die Sache auf schauerliche Weise, und es wogt noch immer eine so große Volksmenge in den Straßen, je nun - dann wollen wir es versuchen, Mazarin zu beweisen, ob wir noch zu etwas anderem als zur Behütung eines Gefangenen taugen.« Er sprang mit eben so viel Leichtigkeit in den Wagen, als ob er erst fünfundzwanzig Jahre gezählt hätte.
Königin Anna im sechsundvierzigsten Jahre
Als Mazarin mit Bernouin allein war, blieb er ein Weilchen gedankenvoll; er wußte viel, doch wußte er noch nicht genug. Mazarin täuschte im Spiel, wie uns Brienne berichtet; das nannte er: seinen Vorteil ergreifen. Sonach beschloß er, mit d'Artagnan die Partie nicht eher anzufangen, als bis ihm alle Karten des Gegners bekannt wären.
»Monseigneur befiehlt nichts?« fragte Bernouin. »Doch,« versetzte Mazarin. »leuchte mir, ich gehe zur Königin.«
Bernouin ergriff einen Leuchter und ging voraus. Man gelangte auf einen geheimen Gang von dem Kabinette Mazarins zu den Gemächern der Königin; diesen Weg ging der Kardinal, um sich zu jeder Stunde zur Königin zu verfügen, mit der er, wie schon gesagt, insgeheim verheiratet war.
Als er in das Schlafgemach kam, in das dieser Gang mündete, traf Bernouin Madame Beauvais an. Diese beiden waren die Vertrauten dieser veralteten Liebe, und Madame Beauvais nahm es über sich, den Kardinal bei der Königin Anna zu melden, die sich mit dem jungen König, Ludwig XIV., in ihrem Betzimmer befand.
Königin Anna saß in einem großen Stuhle, den Ellbogen auf den Tisch, den Kopf auf ihre Hand gestützt, und sah dem königlichen Kinde zu, welches auf dem Teppiche lag und in einem großen Schlachtenbuche blätterte. Jenes Buch war ein Quintus Curtius mit Kupferstichen, welche Alexanders Heldentaten darstellten.
Madame Beauvais erschien an der Türe des Betzimmers und meldete den Kardinal Mazarin. Der Knabe erhob sich mit gerunzelter Stirne auf ein Knie und blickte seine Mutter an, dann sprach er: »Weshalb tritt er denn auf diese Art ein, und läßt nicht um eine Audienz bitten?« Anna errötete leicht und entgegnete ihm: »Es ist von Wichtigkeit, daß zu der Zeit, in welcher wir jetzt leben, ein erster Minister zu jeder Stunde der Königin Bericht von dem erstattet, was vorfällt, ohne daß er dabei die Neugierde oder die Bemerkungen des ganzen Hofes zu erregen braucht.«
»Allein ich denke,« sprach das unbarmherzige Kind, »Herr von Richelieu ist nicht auf diese Art eingetreten.«
»Wie kannst du dich erinnern, was Herr Richelieu tat? Das konntest du nicht wissen, da du noch zu jung warst.«
»Ich erinnere mich wohl nicht daran, doch fragte ich danach, und man hat es mir gesagt.«
»Und wer hat es dir gesagt?« entgegnete Anna mit schlecht verhehlter Regung des Ärgers. »Ich weiß, daß ich nie die Personen nennen darf, die mir Antwort auf meine Fragen geben,« sagte der Knabe, »sonst würde man mir nichts mehr vertrauen.«
In diesem Momente trat Mazarin ein. Der junge König erhob sich ganz, schlug sein Buch zu und trug es zu dem Tische, wo er stehen blieb, um Mazarin zu nötigen, daß er gleichfalls stehen bleibe. Mazarin überblickte mit seinem schlauen Auge diesen ganzen Auftritt, woraus er das Vorgegangene zu erklären suchte. Er verneigte sich ehrfurchtsvoll vor der Königin und machte dem jungen König eine tiefe Verbeugung, der ihm mit einem ungezwungenen Kopfnicken antwortete.
Königin Anna bemühte sich, in Mazarins Zügen die Ursache dieses unerwarteten Besuches zu erraten, da doch der Kardinal gewöhnlich erst dann zu ihr kam, wenn sich alles zurückgezogen hatte. Der Minister gab ihr ein unmerkliches Zeichen und die Königin sagte dann, zu Madame Beauvais gewendet: »Es ist Zeit, daß der junge König zur Ruhe gehe; ruft Laporte.«
Die Königin hatte bereits zwei- oder dreimal den jungen Ludwig gebeten, sich wegzubegeben, aber stets bestand der Knabe auf zärtliche Weise, zu bleiben, doch diesmal tat er keinen Einspruch, nur biß er sich in die Lippen und wurde blaß. Gleich darauf trat Laporte ein. Der Knabe ging gerade auf ihn zu, ohne seine Mutter zu liebkosen.