Wie schön doch Hochzeiten sind! Schade nur, dass sie nicht immer halten, was sie versprechen! Ich hole die Pizza wieder aus dem Ofen und schnappe mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Eigentlich bin ich richtig froh, dass der Cousin dritten Grades aus dem Nichts aufgetaucht ist. Maurizio hat erzählt, dass sie am Sonntagvormittag heiraten, aber das eigentliche Fest schon drei Tage vorher beginnt: mit dem Junggesellenabschied, dem Umzug der Aussteuer (der Braut) ins neue Heim und der Probe. Gibt es eine bessere Gelegenheit, mit Jutta einen so wenig bekannten Teil von Sardinien zu besuchen, der nichts mit dem Rummel und dem Luxus der Costa Smeralda zu tun hat? So ein Kurzurlaub im Spätsommer wäre doch genau das Richtige. Diese kargen unberührten Landschaften, die tausendjährige Tradition und eine ursprüngliche Küche sind doch der ideale Ausgleich für unser hektisches Alltagsleben. Tagsüber werden wir auf einem Felsen in der Sonne sitzen und eine Herde Schafe an uns vorüberziehen lassen, nachts liegen wir uns in den Armen und beobachten die Sterne … Hektisch greife ich mir das letzte Stück Pizza vom Teller – und dann zum Telefon.
»Ach, tesoro, ich bin so richtig romantisch gestimmt …«
Die Einladung
Jutta
Als die Sonne den letzten Schnee aufleckt, flattert eine vielversprechende Einladung in mein Haus in München. Vorausgegangen war ein Anruf im Januar von Bruno, ich möchte mir doch unbedingt Mitte Oktober eine Woche freihalten, denn uns erwarte eine grandiose Einladung. Mehr wolle er jetzt nicht verraten, aber ich würde staunen, denn so was hätte ich bestimmt noch nie erlebt. Bruno liebt es, mich auf die Folter zu spannen.
Sofort gehe ich in Gedanken meinen Kleiderschrank, meinen Schuhschrank, meine Handtaschen und die Schmuckschatulle durch, um festzustellen, dass fast alles zu alt und viel zu häufig getragen ist und ich außerdem schon lange nach einem Grund suche, mir was Schönes zu kaufen. Vielleicht brauche ich ja auch einen neuen Hut?
So öffne ich den rosaroten Umschlag, überlege noch, wer denn jetzt eine Tochter bekommen haben könnte, um in schnörkeliger goldener Schrift zu lesen, dass sich Maurizio die Ehre gibt, seine Giulia zu ehelichen, und man doch größten Wert darauf legt, die bucklige italienische Verwandtschaft nebst ihren Angebinden an der Seite zu haben, um diesen wichtigen Tag im Leben gemeinsam zu zelebrieren. Da Giulia, die schon jahrelang in Rom an Maurizios Seite lebt, eine echte Sardin ist, aber Großmutter, Großvater sowie sicherlich fünfzig Cousinen und Cousins und bestimmt auch Mama und Papa die Insel nur im äußersten Notfall verlassen, findet die Hochzeit tief im Süden Sardiniens in einem Dorf namens Gesturi statt. Maurizio ist einer von Brunos unzähligen Cousins, wie ich wenig später am Telefon erfahre.
Er freue sich riesig über diese unerwartete Einladung, hätte man sich doch in den letzten Jahren etwas aus den Augen verloren. Der Umstand, dass Bruno eigentlich gar nicht so genau weiß, ob er Giulia überhaupt schon mal gesehen hat, hört sich nicht gerade nach tiefen verwandtschaftlichen Beziehungen an. Aber in Italien will das gar nichts heißen, denn: La famiglia è la famiglia. Wir haben zu kommen, ohne Wenn und Aber. Es scheint die Familie auch gar nicht zu stören, dass Bruno geschieden ist und mit einer tedesca aus Bayern zusammenlebt. Sicherlich nehmen sie an, dass ich ständig in Rom um ihn herumscharwenzle, die brave Hausfrau gebe und selbstredend un italiano perfetto quatsche, am besten noch römischen Dialekt. Man kann nämlich einem Italiener unmöglich zumuten, Deutsch zu lernen. Diese Sprache ist kalt und hart und völlig unsexy, und jeder Mensch muss sich doch glücklich schätzen, die schönste Sprache der Welt sprechen zu dürfen.
Wie schwer sich diese metaphernreiche Sprache erlernen lässt, wenn man über grazie und prego hinauswill, kann sich ein Italiener nur schwer vorstellen. Bei Gott, ich bin wahrlich kein Sprachgenie und tue mich wirklich schwer damit. Wenn dann noch mein Gegenüber in rasendem Tempo Dialekt spricht, verstehe ich nulla. Warum haben eigentlich Italiener nie Zeit, langsam und deutlich zu sprechen? Wahrscheinlich, weil sie immer so unglaublich viel in einen schlichten Satz reinpacken wollen. Sie gehen nicht einfach mal kurz Brot holen, sondern erzählen ausgiebig, warum es eigentlich gerade ein ungünstiger Zeitpunkt für sie ist und man doch wirklich Wichtigeres zu tun habe. Aus allem wird ein großes Theater gemacht. Natürlich gibt’s sone und solche – und ich hab eben so einen an meiner Seite. Ein Schelm, wer Schlimmes dabei denkt!
Man sollte meinen, die Aussicht, Mitte Oktober nochmals in wärmere Gefilde fliehen zu dürfen, stimmt mich glücklich. Aber derart langfristige Verabredungen machen mich eigentlich immer nervös. Weiß ich denn, ob in einem halben Jahr etwas Wichtiges ansteht? Vielleicht stecke ich mitten in einem Film oder liege mit Grippe im Bett? Aber bei dieser Einladung wird keine Ausrede akzeptiert, denn hier heißt es: Mitgefangen, mitgehangen! Gerne auch Sippenhaft genannt. Das ist überhaupt eine gute Bezeichnung für italienische Verhältnisse.
Ich will keinesfalls undankbar erscheinen, es gibt ja nun wirklich Schlimmeres, als zu einer Hochzeit nach Sardinien zu fliegen und eine Woche richtig gut zu essen, viel zu lachen und mit entzückenden alten Männern Ballu Sardu, den sardischen Volkstanz, zu tanzen, der einem die Tränen in die Augen treibt. Sardinien, so mutmaßt der einschlägig belesene deutsche Tourist, ist eine Insel mit endlos langen Sandstränden und unglaublich reichen Menschen, die nachts bis in die Puppen feiern und tagsüber ihre Luxuskörper der Sonne entgegenstrecken. Die Costa Smeralda, wo die Gärten der Schönen und Reichen liegen, wie man sie von Luftaufnahmen kennt, wo im Sommer die Boulevardblätter sich die Klinke in die Hand geben, um die neuesten Skandale aufzudecken! Man hat es ja schon immer gewusst, Berlusconi geht fremd!!! Skandal!
Aber kann ich mich darauf verlassen, dass Sardinien wirklich so ist? Oder muss ich mich vielleicht auf etwas ganz anderes gefasst machen? Soll ich meine Vorurteile pflegen? Hab ich nicht gerade deswegen diese Insel seit Jahrzehnten gemieden, und jetzt kann ich ihr nicht mehr ausweichen! Nicht nur die Frage, in welche Gesellschaft ich hineingerate, beschäftigt mich, sondern auch, wie ich aufgenommen werde, wie ich mich verständige, und nicht zuletzt: WAS ZIEHE ICH AN?
Nein, wirklich, verstehen Sie mich nicht falsch, aber hier wird es bereits herbsteln, und dort? Brauche ich einen Pullover, oder kann ich noch im Meer baden?
Und wie kleidet man sich als Nichtverwandte bei einer so großangelegten Hochzeit?
Highheels und Spaghettiträgerkleidchen? Und was, um Himmels willen, schenkt man einem italienischen Brautpaar? Schweißperlen zieren meine Stirn angesichts all dieser existentiellen Fragen!
1. Tag – Donnerstag
Ankunft in Cagliari
Jutta
Um auf Nummer sicher zu gehen und keinesfalls zu leger gekleidet zu sein, habe ich in München ein cremefarbenes Röckchen mit großen blauen Punkten und ein blaues Oberteil angezogen, dazu cremefarbene Sandaletten mit Absatz und eine passende Handtasche. Als Schutz gegen die Spätsommersonne trage ich einen großen Strohhut, und für plötzliche Schauer oder kalte Winde habe ich einen cremefarbenen Sommermantel. So kann mir nichts passieren – dachte ich.