Oje, jetzt wird es heiß zwischen uns. In puncto Sturheit sind wir beide Weltmeister. Aus Erfahrung weiß ich, dass er nichts annehmen wird, egal, was ich ihm jetzt vorschlage. Außerdem hat sich Bruno noch nie durch einen guten Orientierungssinn ausgezeichnet. Wenn ich jedoch nun einen anderen Weg einschlage und dieser absolut falsch ist, liegt der Schwarze Peter bei mir. Zugegeben, ich weiß es ja auch nicht besser, also folge ich ihm, indem ich mein Vertrauen in seinen Instinkt beteuere.
Auf einmal tauchen Frauen vor uns auf, vor sich Berge von nasser Wäsche, die sie in einem sanft dahinfließenden Bächlein waschen. Sofort führe ich mein Maultier ans Wasser, und es beginnt gierig zu trinken. Auch ich schöpfe mehrere Handvoll aus dem Bach und hoffe inständig, dass das Wasser nicht verseucht ist. Woran ich letztlich sterbe, ist jetzt auch schon egal, denke ich fatalistisch. Bruno, das weiß ich sicher, wird nie und nimmer davon trinken, lieber verdurstet er.
»Jutta, weißt du noch den Namen des Ortes, wo wir hinmüssen? Anna hat ihn mir gesagt, aber ich habe ihn vergessen.«
Wie bitte? Das kann nicht wahr sein. »Du hast mit ihr gesprochen, wie soll ich den Namen wissen?«, antworte ich entsetzt. Bruno ist bereits intensiv im Gespräch mit den Wäscherinnen und scheint sich weder an das Dorf, geschweige denn an den Namen dieses ominösen Bruders zu erinnern, denn soweit ich überhaupt etwas davon verstehen kann, beschreibt er gerade die Behausung unserer Schäferfamilie, die den Damen jedoch nicht allzu bekannt vorkommt. Freundlich und durchaus hilfsbereit sind sie, aber besonders ortskundig scheinen sie nicht zu sein. Wahrscheinlich kommen sie über ihre Hügel nicht hinaus. Vielleicht fahren sie ja auch nur einmal im Jahr in die Großstadt Cagliari.
In meiner Jugend war ich oft mit Freunden auf deren Bauernhof im österreichischen Burgenland. Von dort aus waren es genau sechs Kilometer zum großen Neusiedler See. Die Nachbarin, eine bereits in die Jahre gekommene Bäuerin, hatte, und das muss man sich mal vergegenwärtigen, noch NIE den See gesehen. Sie hatte große Angst davor und erzählte immerfort, wie tückisch dieser sei und wie viele dort schon ertrunken wären. Hier in dem Dorf hätte sie alles, was sie brauche, warum also in die Ferne ziehen? Das sollten die Männer machen, aber die Weiberleut sollten zu Hause bleiben.
Wer weiß, vielleicht denken diese Frauen genauso?
Wie auch immer, sie scheinen uns keine große Hilfe zu sein! Nachdem unsere Eselchen genug getrunken haben und selbst Bruno dem Nass nicht widerstehen konnte, setzen wir unseren Weg fort. Wenn wir jetzt Bauchweh kriegen, wissen wir wenigstens, warum, und gemeinsam jammern verbindet dann auch wieder.
Meine Füße tun mir furchtbar weh, und selbst die Erdkruste, die ich mittlerweile unter den Sohlen habe, ist nicht wirklich hilfreich. So eine richtige Hornhaut wünsche ich mir, wie die Ureinwohner Australiens sie sicher haben. Die laufen über heißen Wüstensand, hab ich gelesen, als hätten sie die komfortabelsten Treckingschuhe an.
»Brrrrrr«, raune ich meinem Eselchen zu, »brrrrrr, bleib stehen, sei so lieb und lass mich aufsteigen, und wirf mich bitte nicht ab!« Ganz zärtlich hab ich es ihm gesagt.
»Bruno, weißt du, wie die zwei heißen?«, rufe ich ihm zu. Er ist bereits ein ganzes Stück weiter gekommen als ich.
»Meiner heißt Ferru, deiner Fil’e!«, antwortet er. Fil’e! Was für ein merkwürdiger Name!
»Fil’e, mein lieber Fil’e!« Sehr beeindruckt scheint er von seinem Namen nicht zu sein, wahrscheinlich mag er ihn auch nicht. Ich muss abwarten, bis er wieder irgendetwas fressen will, und dann, schwupps, schwinge ich mich auf ihn drauf! Esel, verflixter! So humpele ich dem Miststück hinterher, das mit mir macht, was es will.
In der Ferne sehe ich eine Staubwolke auftauchen, die beim Herankommen einen Mann auf einem Moped enthüllt. Bruno winkt ihn zu sich heran, scheint ihn etwas zu fragen, woraufhin der Mann den Kopf schüttelt und nach rechts deutet. Als Bruno ihm wieder eine Frage stellt, zeigt der Mann erneut nach rechts, zögert dann kurz und weist in die linke Richtung. Dann löst er sich mit lautem Getöse erneut in Staub auf.
»Wir sind falsch und müssen zurück. Wir hätten uns rechts halten sollen«, schreit Bruno mir entgegen und schwingt sich mutig auf Ferrus Rücken. Na wunderbar, denke ich, beruhige mich aber innerlich damit, dass wir nun ja zumindest auf dem richtigen Weg sind.
»Ich komme sofort«, rufe ich zurück und versuche es ihm gleichzutun. Fil’e hat wohl einen Mordsschreck erlitten und verharrt in panischer Starre, ich hab nun mal ein geschultes Theaterorgan. Ich nutze die Situation aus, um blitzschnell meinen Fuß in den Steigbügel zu stellen, kralle mich am Sattel fest und bin schon halb oben, als das verdammte Miststück sich wieder in Bewegung setzt.
Jetzt schreie ich »Brrrrrrrr«, was das Zeug hält, und ziehe mit aller Kraft am Zügel, hier geht’s ums Überleben. Gottlob, er hat Erbarmen mit mir und lässt mich aufsteigen. Ich zittere am ganzen Leib. Die Vorstellung, er würde im Eselsgalopp mit mir, wenn ich lediglich einen Fuß im Steigbügel habe, davonspurten, treibt mir Tränen in die Augen.
Laut sage ich: »Danke, lieber Schutzengel, danke, dass du mich gerettet hast.« Bruno scheint von alldem nichts mitbekommen zu haben, denn unbeirrt trabt er weit vor mir dem Horizont entgegen.
Minuten später, nachdem ich eine Anhöhe erreicht habe, stoße ich wieder auf die beiden. Nett, dass er auch mal auf mich wartet, denke ich mir und möchte ihm von meinem Reitversuch erzählen. Als ich jedoch den verzweifelten Ausdruck in Brunos Augen sehe, lasse ich es bleiben. Weit und breit nur Landschaft. Weder ein Gehöft noch ein Kirchturm, der immer Gutes verheißt, ist zu erkennen.
»Vielleicht habe ich den Mopedfahrer vorhin falsch verstanden, der hat ja nicht mal richtig angehalten«, versucht er sich zu entschuldigen.
»Das gibt’s doch nicht, bitte sag, dass das nicht stimmt, ich kann nicht mehr zurückreiten, und gehen kann ich erst recht nicht mehr, ich bin restlos am Ende!«, flehe ich meinen Lebensgefährten an. Am Himmel brennt die Sonne, meine Uhr zeigt Viertel nach drei an. Wir haben maximal noch zwei Stunden, bis uns die Dunkelheit einholt, und das bedeutet eine zweite Nacht irgendwo hier in der Wildnis. Es ist doch zum Verzweifeln! Hemmungslos lasse ich jetzt meinen Tränen ihren Lauf.
»Wir haben nichts mehr zu essen und zu trinken, es wird gleich saukalt, und wir werden erfrieren. Diese blöden Viecher wissen ja offenbar nicht mal, wie es wieder nach Hause zurückgeht, und was passiert mit uns, wenn es hier Bären gibt oder irgendwelche gefährlichen Krabbeltiere, Skorpione oder Spinnen?«, heule ich schluchzend in seinen Armen.
Mein Ritter breitet seine Arme um mich, und ich überlasse mich völlig meinen Emotionen. All meine Ängste und meine Frustration brechen aus mir heraus. Keine Ahnung, wie lange ich mich so gehenlasse, aber es zeigt seine Wirkung. Alle drei, Esel wie Mensch, sind milde gestimmt. Fast möchte mich mein kleiner Esel mit seinen Nüstern abbusseln. Er hat sein Mäulchen ganz eng an meinen Hals gedrückt, und ich spüre den feuchten Atem. Das lässt mich innehalten, und mein Weinen geht in Lachen über. Ein bisschen schäme ich mich, aber das habe ich gebraucht, jetzt geht es mir gleich besser.
»Amore, wir finden schon etwas, wo wir unterkriechen können. Es wird bald dunkel, und ich fürchte, so schnell kommt hier heute keiner mehr vorbei«, sagt mein starker Mann und hilft mir, wieder aufzusteigen. So zieht er mich und seinen Ferru mit sich weiter. Er erzählt mir von alten Häuschen, aus Stein gebaut, die früher den Bewohnern Schutz vor Hitze und Kälte geboten haben und die heutzutage als Unterschlupf für Tiere dienen oder um Stroh zu lagern. Genau in dieser Gegend stünden sie. Nuraghen hießen sie, und bestimmt würden wir bald so einen turmartigen Bau finden. Wenn es nun mal nicht anders ginge, sollten wir lieber mit so einem Unterschlupf vorliebnehmen, als Gefahr zu laufen, im Freien zu übernachten.