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Die ersten Sterne leuchten am Firmament, und uns steht eine lange Nacht bevor. Eigentlich fühle ich mich total erschöpft, aber sicherlich werde ich kein Auge zutun. Verstohlen gähne ich und krame in meiner Handtasche nach den wenigen Resten unserer Brotzeit und der Wasserflasche. Meine Lippen sind ganz ausgetrocknet, und ich angle in der kleinen Seitentasche nach einem fetten Lippenstift. Meine Finger berühren etwas Rundes, was sich anfühlt, als wäre es in knisterndes Papier eingewickelt. Es wird doch nicht etwa ein einsames Bonbon sein? Tatsächlich finde ich noch zwei weitere vergessene Lieblingsbonbons in meiner erbärmlich schmutzigen Handtasche. Karamellbonbons, Inbegriff aller göttlichen Bonbons. Vor einiger Zeit, also mindestens vor Monaten, als ich das letzte Mal diese Tasche bei mir hatte, muss ich wohl für schlechte Zeiten diese drei wunderbaren Zuckerl gebunkert haben, nicht ahnend, dass sie uns einmal eine kalte Nacht versüßen würden. Soll ich Bruno nun davon erzählen oder dieses Geheimnis für mich behalten, um sie uns in einem eventuell verzweifelten Moment dieser Nacht als Trostpflaster in den Mund zu stecken? Ich entscheide mich für Letzteres, erfüllt mit Dank für diese Gabe. Mit welcher Kleinigkeit man mich heute glücklich machen kann!

Richten die Ansprüche des Menschen sich nicht wirklich nach seinem Bedürfnis, sondern nach seinen Wünschen?

Mein Wunsch wäre, zufrieden und satt auf einem gemütlichen Sofa in sauberer warmer Kleidung herumzulümmeln, eventuell ein gepflegtes Bier in der Hand zu halten und ein gutes Buch zu lesen. Hier habe ich das alles nicht, dafür beobachte ich, wie sich über mir eine Decke voller strahlender, unterschiedlich großer Sterne ausbreitet. Formationen, die von gelehrten Astronomen Namen bekamen, von denen mir nur einige landläufige bekannt sind. Jetzt hätte ich Zeit, sie alle zu suchen und zu benennen, aber ich habe mich bisher nie damit beschäftigt, so bleibt mir nichts anderes übrig, als mich zurückzulehnen und sie zu beobachten.

Der Himmel ist von diesem einzigartigen dunklen Kobaltblau, das nur wenige Minuten anhält, bevor es in das nächtliche Tiefschwarz übergeht. Beim Film nennen wir es die Blue Hour. In diesen Minuten ist es möglich, mit bestimmten Scheinwerfern noch einmal sonniges Tageslicht zu zaubern. Wenn man einen besonderen Effekt erzielen will, wartet man auf dieses Licht. Alles wird vorbereitet, man probt und ist ready for shooting, denn es bleiben maximal 15–20 Minuten, um die Szene »in den Kasten zu bekommen«, wie wir sagen. Aufregend ist das jedes Mal, denn alle sind bemüht, keine Fehler zu machen, die den Erfolg vereiteln würden.

Es ist so still in diesem Moment. Man nimmt einzelne Laute wahr, und ich erkenne jeden. Mein Ohr wird nicht durch das übliche Gemisch Hunderter verschiedener Geräusche verwirrt. Ich höre das genüssliche Kauen unserer beiden Maultiere, wie sie ihre Nüstern ins Heu stecken, entscheiden, welche getrockneten Kräuter sie zuerst fressen. Ich kann auch hören, wie glücklich und zufrieden sie sind, der Platz scheint ihnen zu behagen und offenbar auch unsere Gegenwart. Ich höre auch ein Knistern und Knacken, als ob Äste brechen, Schritte, leise und geheimnisvoll langsam. Hin und wieder vernehme ich ein Räuspern, dann ein leises Schnaufen. Was das wohl sein mag? Wind kommt auf, sanft streicht er durch die Äste, lauwarm mit aufsteigender Feuchtigkeit. Flügelschlagen, Vögel, die sich ein Plätzchen für die Nacht suchen und sich ganz in unserer Nähe niederlassen. In mir breitet sich Frieden aus, wohlig angstfrei. Die Gedanken an lauernde Gefahren haben sich verflüchtigt, ich bin eins mit der Natur.

»Hast du Streichhölzer, Jutta?« Bruno reißt mich aus meinen Gedanken. Es ist durchaus möglich, da ich Zündholzbriefchen sammle. Aus einem hübschen Restaurant oder Hotel nehme ich mir meistens eins als Souvenir mit. Ich kippe den Inhalt der Tasche in meinen Schoß. Meine zerbrochene Sonnenbrille lässt mich kurz zusammenzucken, aber was soll’s – zu Hause habe ich mindestens noch drei weitere. Und tatsächlich erspüre ich ein kleines schmales Briefchen in meiner Hand.

Bruno hat Steine und Holz gesammelt und vor unserem Lager eine Feuerstelle errichtet. Mandeln hat er auch gefunden und mir ein kleines Häufchen zu Füßen gelegt. Ich gebe ihm die Papiertüte, lege zu den Mandeln das kleine übriggebliebene Stück Brot, die winzigen Zipfel Salami und Käse und als Krönung die drei Karamellbonbons. Herz, was begehrst du mehr?

Wenig später flackert unser Lagerfeuer.

»Bruno, komm, wir wollen uns ganz eng aneinanderkuscheln, und decke mich zu«, flüstere ich meinem geliebten Mann ins Ohr. Ich spüre, wie er etwas über uns breitet und mich mit seinen warmen Armen umfängt. Während ich müde in die Glut unseres ausgehenden Feuers blinzele, bin ich trotz aller Strapazen dankbar für diesen Tag.

3. Tag – Samstag

Im Olivenhain

Jutta

Wie wunderbar tief man schlafen kann, wenn Frieden herrscht und man in Liebe umschlungen ist! Ich habe die Nacht ohne Gespenster verbracht, nur mit harmlosen Träumen. Der Wind hatte sich völlig gelegt, und in die Gemäuer des Nuraghe drang die unangenehme Feuchtigkeit kaum ein. Vielleicht lag es auch daran, dass unser Bett aus Heu wirklich kuschelig war.

Unser Schlafplatz liegt tief versteckt in einem Olivenhain, und nur Bruno ist es zu verdanken, dass wir dieses Plätzchen gefunden haben. Mir wäre die Ansammlung von Steinen sicher gar nicht aufgefallen, so eingebettet zwischen all den Bäumen.

Deshalb bin ich auch erstaunt, ein Motorengeräusch zu hören, dem ein mehrstimmiges Gemurmel folgt. Für eine Gruppe Touristen, die eine Wanderung macht, ist es viel zu früh. Die Sonne ist doch gerade erst aufgegangen, und doch scheint ganz in unserer Nähe geschäftiges Treiben zu herrschen. Um meine Neugierde zu befriedigen, muss ich mich vorsichtig aus Brunos Armen schälen, da er noch tief schläft und ich ihn ungern wecken will. Diesmal wartet ja niemand auf uns, und wir können selbst bestimmen, wann wir unseren Weg fortsetzen wollen. Vorsichtig befreie ich mich aus seiner Umarmung und krabbele nach draußen. Unsere Eselchen stehen noch brav, einen Hinterlauf angewinkelt, in ihrer Schlafhaltung da. Ein Wunder, hatte ich doch insgeheim befürchtet, dass sie sich aus dem Staub machen würden. Das Heu haben sie aufgefressen, also nehme ich ein neues Bündel mit und lege es zwischen die beiden. Sofort wachen sie auf, schürzen die Lippen und stoßen lange »Iiiiiiiaaaaas« aus. Ich nehme mal an, vor Begeisterung. Ich streichle sie, und sie tänzeln, soweit es die Stricke erlauben, hin und her. Alles findet nicht gerade leise statt, so dass auch Bruno verschlafen hervorkriecht. In seinen Haaren hängt Heu.

Der Lärm, den wir allesamt veranstaltet haben, lockt eine Gruppe schwarzhäutiger Menschen an. Sicherlich zwanzig Männer und Frauen sind zu sehen. Einige halten lange Holzstangen in der Hand, andere große Netze. Neugierig lugen sie zu uns herüber.

Etwas verlegen rufe ich ihnen ein zaghaftes »Buon giorno« entgegen.

Sie erwidern unseren Gruß und drehen sich von uns weg, als wäre es das Selbstverständlichste, zwei reichlich desolat aussehende Europäer in Begleitung zweier Mulis in einer Nuraghe-Ruine inmitten eines völlig unbesiedelten Agrarlandes vorzufinden.

Ich schaue ihnen zu, wie sie mit eleganten Bewegungen ihre Netze rund um die Olivenbäume auslegen. Erst entwirren sie sie, zupfen kleine Äste und Blätter heraus, dann schwingen sie sie weit ausladend in die Höhe, wo sich die letzten Knäuel lösen, um sie dann sanft auf den Boden gleiten zu lassen. Eine gelassene Heiterkeit geht von ihnen aus. Sie kommen von weit her und haben ihre Heimat verlassen. Dies wäre Anlass genug, um traurig und resigniert zu sein, aber sie scheinen sich in ihr Schicksal gefügt zu haben und glücklich zu sein, in ihrer Gemeinschaft ein Auskommen gefunden zu haben. Sie schwätzen und lachen, zu Beginn eines sicherlich anstrengenden Tages, an dem sie stumpfsinnige Arbeit erwartet.