Vielleicht empfinde auch nur ich Olivenpflücken als eintönig. Möglicherweise lassen sich dabei Pläne für die Zukunft schmieden oder Probleme lösen, gerade wegen der Monotonie der Bewegungen. Was weiß ich schon davon? Die Frauen tragen ihre traditionelle Kleidung, sie haben bunte Tücher in leuchtenden Farben um Kopf und Körper geschlungen. Auf dem Boden sind noch mehr Tücher ausgebreitet.
Körbe stehen bereit, die kleinen runden Früchte aufzunehmen, einige jedoch scheinen bereits mit Essbarem gefüllt zu sein. Sie werden ausgepackt, und eine der Frauen beginnt eine Weise zu singen, in die die anderen einfallen. Ich schließe die Augen und lasse die Wellen dieser Musik wie ein Morgengebet über mich kommen. Sie lullen mich ein, wiegen mich in ihrem Singsang, Wärme breitet sich in mir aus, und augenblicklich summe ich leise mit. Aus welchem Land die Menschen wohl kommen?
Verstohlen blicken sie zu uns herüber. Ich winke ihnen zu, einige lächeln mich an. So trete ich etwas näher, schaue mich nach Bruno um, ob er mir folgt. Er jedoch konzentriert sich eher auf die Männer, geht ihnen entgegen und beginnt mit ihnen ein Gespräch. Nun bin ich nah genug bei den Frauen, um sie genauer betrachten zu können und um ihnen zu signalisieren, dass unsere Anwesenheit keinerlei Gefahr bedeutet. Die Sorge erübrigt sich sowieso angesichts unseres Aussehens. Geradezu lächerlich komme ich mir vor, ungewaschen und zerknittert. Ich geniere mich gründlich und bleibe auf Abstand, aber die freundlichen Mienen deuten eine Einladung an, näher zu kommen. Das kann ich kaum abschlagen, verspricht die Einladung doch Gutes. Große Thermoskannen stehen da, daneben Becher, Holzbretter mit duftendem Stangenbrot, Käse, Speck und Schinken, Eiern, Tomaten und getrocknetem Fisch. Man reicht mir ein Stück Brot, und all mein Widerstand löst sich auf, der Hunger siegt. Auch die Aussicht, in dieser freundlichen und geselligen Runde den Tag zu beginnen, der für uns so ungewiss ist, verlockt über alle Maßen. Sie lachen und schwatzen untereinander französisch mit lustigem Zungenschlag. Als sie merken, dass ich sie nicht so recht verstehe, da auch diese Sprache von einem Dialekt gefärbt ist und sie zudem sehr schnell sprechen, fallen sie in ein Gemisch aus Englisch mit italienischen Wörtern, welches mir nur zu gut bekannt ist, spreche ich doch mit Bruno seit Jahren »Dinglisch«.
Sie kommen von der Elfenbeinküste und sind Saisonarbeiter, die aber hauptsächlich für einen vornehmen Herrn arbeiten. Er hat sie am Morgen mit seinem großen Wagen gebracht und holt sie vor Sonnenuntergang wieder mit den Oliven ab.
Er lebt auf einem riesigen Gut mit Gesindehäusern, in denen sie wohnen; sogar fließendes Wasser gibt es dort, und die Bezahlung ist in Ordnung. Wenn es nichts zu pflücken gibt, verrichten sie andere Arbeiten. Die Männer auf den Feldern in der Umgebung und auch an Gebäuden, und die Frauen waschen Wäsche und putzen Gemüse für die Märkte. Es gäbe immer was zu tun, und auch mal faul sein wäre nicht schlecht, geben sie kichernd zu. Zwei Frauen deuten auf ihre schwangeren Bäuche und kriegen sich gar nicht mehr ein vor Lachen.
Keine fragt sich anscheinend, warum ich so heruntergekommen aussehe, und sofort fühle ich mich etwas weniger schmuddelig.
Bruno kommt nun auch mit einigen Männern zu uns an den reichgedeckten Gabentisch und blickt begierig darauf.
Wir setzen uns alle auf den Boden und begrüßen uns herzlich. Zigmal muss ich unter dem Kichern der Damen meinen Namen wiederholen, da er offenbar für sie äußerst exotisch klingt. Sie wiederholen ihn immer wieder mit verschiedener Klangfärbung.
»Uuda, Uddda, Hudda.« Warum nur haben mich meine Eltern nicht einfach Maria getauft, das kennt jeder.
Doch nun geht es an die Arbeit. Tausende Oliven warten darauf, heute geerntet zu werden. Bruno hatte mich nach dem Frühstück zur Seite genommen und mir seinen Plan erläutert. Gestern haben wir uns hoffnungslos verfranst. Die Aussicht, gemeinsam mit unseren Eseln noch auf den richtigen Pfad zu kommen, den hier keiner kennt, da sie alle ortsunkundig sind und wir auch den Namen des kleinen Dörfchens nicht kennen, ist zweifelhaft. So haben wir abgewägt und uns entschlossen, auf den Gutshofbesitzer zu warten. Ich hoffe, er kennt Claudio und Anna und wir können die Esel bei ihm lassen. Maurizio könnte uns dann dort abholen, und unsere Odyssee hätte ein Ende.
Und so kommt es, dass ich unverhofft zur Olivensortiererin aufsteige. Ganz schwierig wird es, wenn du glaubst, du hast eine reife Olive in den Händen, dabei ist es nur eine unreife grüne. Das geht ja gar nicht! Vermischt werden darf hier nichts, alles muss streng getrennt werden, und zwar nach Geschmack und Größe. Bestimmt wird beim Sortieren bereits berücksichtigt, in welcher Salzlauge die kleine Olive eingelegt wird. Na großartig, für mein Temperament genau die richtige Arbeit!
Aber die Stimmung unter diesen freundlichen Pflückern ist derart gut, dass ich mit Vergnügen dabei bin, zumal das Frühstück vom Feinsten war. Der Kaffee hat meine Lebensgeister geweckt, und dieses frische Brot mit Olivenöl und Schinken ist einfach zum Niederknien.
Neben mir, auf einem vom vielen Waschen ausgebleichten afrikanischen Tuch, sitzen vier Frauen, deren Gesichter nicht unterschiedlicher sein könnten. Offensichtlich stammen sie aus verschiedenen Regionen. Die eine hat ein eher hageres nordafrikanisches Gesicht, die andere dagegen ein rundes, weiches, sehr schwarzes. Die dritte Frau hat arabische Züge und ist die stillste von allen, während die vierte kichernd auf ihren Knien herumrutscht, um eine bequeme Sitzhaltung neben dem Berg von Oliven zu finden. So ein langer Lulatsch, denke ich mir. Ich frage sie, woher sie kommt. Aus dem Senegal, sagt sie, und da drüben sei ihr Mann. Stolz zeigt sie in Richtung einer Gruppe von Männern.
»Und du, woher stammst du?«, frage ich die Stille.
»Aus Mali«, sagt sie leise. Zu gerne würde ich jetzt weiterfragen, mich nach ihren Schicksalen erkundigen. Wie kommen diese Menschen hierher, und was erhoffen sie sich von einer italienischen Insel? Sind sie illegal hier und werden als Arbeiter ausgebeutet, oder wurden sie bereits legal in Italien aufgenommen und können über ihr Geld verfügen? Sparen sie Geld, um als reiche Menschen in ihre Heimat zurückzukehren, oder wollen sie sich hier eine Existenz aufbauen? Tausend Fragen hätte ich in meiner Neugier, aber auch ich bin schüchtern. So stelle ich mich erst einmal vor und erzähle von meinen beiden Töchtern und was ich so mache, als Hausfrau, von meinem Hund und natürlich von Bruno, den sie neugierig mustern. Ich erzähle, was uns die letzten beiden Tage passiert ist. Die Stimmung wird immer besser auf unserer kleinen Tuchinsel, und die vier lachen und lachen. Na ja, so komisch finde ich unsere Geschichte nun auch nicht, und ich hege den Verdacht, dass sie entweder sehr höflich sind oder mich eigentlich gar nicht verstehen. Ganz selbstverständlich bin ich davon ausgegangen, dass sie alle Englisch sprechen, aber wer weiß?
Die Stille ist sichtlich aufgeschlossener geworden, denn sie fängt an, mir etwas auf Französisch zu erzählen. Ich frage sie, ob sie auch ein bisschen Italienisch spricht, denn in Französisch bin ich so begabt wie in Italienisch, äußerst bescheiden, aber im Mischmasch geht es vielleicht.
»Mein Name ist Verenice«, sagt sie in entzückendem Singsang, »und ich lebe hier mit meiner vierjährigen Tochter, die auf Sizilien geboren wurde. Seit zwei Jahren darf ich auf dem Hof von Marchese de Valdes leben und für ihn arbeiten.« Sie habe endlich die Aufenthaltsgenehmigung bekommen, da ihr Kind in Italien geboren sei. Einen Mann habe sie nicht, vor ihm und seiner schrecklichen Familie sei sie geflohen, gerade noch rechtzeitig, bevor ihre Schwangerschaft sichtbar geworden sei. Sie sei zu dieser Ehe gezwungen worden, der Vater habe dafür eine Kuh und zwei Schafe bekommen. Sie sei immer noch sehr traurig darüber.