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Yassouf

Bruno

Es ist absolut windstill im Innenraum des Nuraghe. Er ist rund und nur ungefähr sieben Quadratmeter groß, und die am besten erhaltene Stelle des Gemäuers, wo wir Arm in Arm geschlafen haben, ist etwa anderthalb Meter hoch und zwei Meter im Durchmesser.

Obwohl es penetrant nach Ziegenbock stinkt, haben wir hier unter einer Heugarbe geschlafen. Diesen unerträglichen Moschusgeruch sondern Ziegenböcke normalerweise in der Paarungszeit ab. Es hat schon etwas gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, aber im Vergleich zur ersten Nacht war das gar nichts.

Yassouf, ein Afrikaner, den wir kurz nach dem Aufstehen kennengelernt haben und der jeden Morgen mit anderen Migranten hierherkommt, um in den Olivenhainen zu arbeiten, erzählt uns vom Besitzer des Hains, einem gewissen Marchese Valdes. Jedes Jahr produziert er in dieser Gegend feinstes Olivenöl und einen ausgezeichneten Wein. Vor vier Jahren hat er einen neuen Weinberg angelegt, um ein Zeichen für das Wiederaufblühen einer Gegend zu setzen, in der früher einmal der beste Cannonau, eine typisch sardische Rebsorte, hergestellt wurde, und um diesen fünfzehn jungen Migranten, fast alle von der Elfenbeinküste, Arbeit zu geben. Yassouf spricht voller Respekt und Bewunderung über seinen Padrone. Es ist schon ein wenig seltsam, einem schwarzen Einwanderer von der Elfenbeinküste zuzuhören, der perfekt Italienisch mit sardischem Akzent spricht, aber wetten, dass wir heute durch ihn wieder jede Menge Neues lernen werden?

Jutta und ich sind ganz hin und weg von diesem freundlichen Lächeln, seiner offenen Art und der Hingabe, mit der der junge Mann die Ohren unserer Esel streichelt. Fil’e und Ferru haben die ganze Nacht über friedlich geschlafen. Jetzt schreien sie und sind unruhig. Yassouf hat sie gerade vom Baum losgemacht, an dem wir sie am Abend festgebunden hatten, aus Angst, sie würden fortlaufen.

»Man braucht sie gar nicht so festzubinden, kein Wunder, dass sie sich nicht beruhigen. Beim nächsten Mal bindet das Halfter einfach einmal um die Fesseln …«

Unsere Maultiere genießen selig das Kraulen hinter den Ohren, und es dauert keine fünf Minuten, da fallen ihnen den Augen zu. Wenn man Yassouf so zuhört, möchte man am liebsten mehr von ihm wissen und verstehen. In Zeiten, wo man alles Fremde verteufelt und kein Verständnis zeigt, kann man ein wenig optimistischer in die Zukunft blicken, wenn man Menschen wie ihm begegnet. Im Gegensatz zu seinen Schicksalsgenossen aus Ghana oder dem Maghreb, die sich in ganz Süditalien ohne Papiere und illegal aufhalten, fühlen er und seine Freunde sich nicht ausgebeutet. Ganz im Gegenteil. Durch die Arbeit in den Olivenhainen des Marchese verdienen sie gut, und das bei freier Kost und Logis. Ich war noch nie in Schwarzafrika, aber Jutta hat dort schon einige Male gedreht und sagt, dass sie sich immer willkommen und geliebt gefühlt hat. Hier in Italien hat unsere letzte Regierung ein verfassungswidriges Gesetz verabschiedet, wonach für Immigranten gleiche Rechte nur dann gelten sollen, wenn es uns genehm ist. Oder besser gesagt, solange wir sie als billige Arbeitskräfte ausnutzen können, die wir danach jederzeit postwendend zurückschicken können! Das kann sogar Yassouf nicht glauben, so etwas hätte er nie von einem Volk erwartet, von dem früher sechzig Millionen Emigranten über die ganze Welt verstreut waren.

»Lieber Yassouf, direkt nach dem Krieg war es uns Italienern im Bahnhof von Basel verboten, den Wartesaal zu betreten … Damals waren wir die Afrikaner! Und heute behandeln wir euch genauso. Aber ich versichere dir, dass Italiener in ihrem Herzen nicht böse sind. Sie haben ihre Leiden nicht vergessen. Es liegt an der Regierung.«

»Ich weiß, die meisten Italiener sind gute Menschen. Der Marchese ist immer fair zu uns gewesen. Er hat uns sogar eine Parabolantenne und einen Satellitenreceiver hingestellt, damit wir die Spiele vom Afrika-Cup anschauen konnten. Und Silvester lädt er uns immer zum traditionellen Linseneintopf mit Schweinewurst zu sich nach Hause ein!«

Yassouf möchte alles über uns erfahren, über unsere Esel und warum wir hier gelandet sind. Wir geben ihm eine Kurzfassung der letzten beiden Tage, denn es ist einfach zu viel passiert, um ins Detail zu gehen. Doch wir müssen zugeben, dass wir bei allem Pech einige wunderschöne, vielleicht nicht zufällige Begegnungen hatten. Ich frage ihn nach einem Handy, damit ich meinen Vetter (der uns inzwischen bestimmt schon als vermisst gemeldet hat!) anrufen und ihm wieder einmal ankündigen kann, dass es wohl etwas später wird. Doch hier auf dem Feld dürfen keine Mobiltelefone benutzt werden, aber wenn wir bis um vier Uhr warten würden, könnten wir uns das vom Marchese ausleihen und ihn gleich bitten, uns nach Gesturi zu bringen, das nur sechzehn Kilometer von ihrem Dorf entfernt liegt. Dann bringt sie nämlich der Marchese wieder zurück auf den Bauernhof von Villamar.

Unterdessen kommen die anderen Männer mit den Kunststoffstiegen in der Hand und laden uns ein, mit ihnen neben einer der Baumreihen zu frühstücken. Eine wunderbare Brotzeit: für mich eine große Tasse heißer Milch mit reichlich eingebrocktem Brot und einem Löffel Honig und für Jutta ein schönes Stück Ricotta mit Brot, Wurst und Speck, wie man ihn auch in Niederbayern nicht besser bekommt …

»An guad’n«, wünscht meine liebe Bayerin begeistert in die Runde.

Das wird bestimmt ein wunderschöner Tag.

Hier auf dem Land werden die Oliven noch mit der Hand geerntet. Man lehnt Aluleitern an die Bäume, unter die ein Netz gespannt ist, das vom Morgen bis zum Sonnenuntergang dort ausgebreitet liegen bleiben muss, aber nicht länger, damit die Oliven nicht der kalten Nachtluft ausgesetzt werden. Yassouf ermahnt uns, aufzupassen, nicht draufzutreten oder sie mit den Leitern zu zerquetschen. Nur die Reihe von uralten Bäumen, die sich vierzig Meter an der schmalen Gutsstraße entlangzieht, wird in diesem Jahr nicht von Hand geerntet: Das wäre viel zu zeitaufwendig, weil sie so reiche Früchte trägt. Deshalb setzt man für diese Bäume den Rüttelkamm ein. Auch hier werden Netze gespannt, doch die Früchte werden dann mit einer Maschine, dem sogenannten Rüttelkamm, von den Zweigen geerntet. So ähnlich ist man auch früher vorgegangen, als man mit langen Stöcken die Oliven abgeschlagen hat. Mit dem Kamm aber ist die Ausbeute ergiebiger, als wenn man nur die heruntergefallenen Früchte aufsammeln würde, gleichzeitig vermeidet man die Nachteile der traditionellen Stockmethode, denn der Rüttelkamm schüttelt den Baum ähnlich sanft wie ein Mensch und verletzt die Zweige nicht. Yassouf geht für mich ein solches Gerät holen, das, wie er sagt, höchstens ein Pfund wiegt und angeblich ganz einfach zu bedienen ist. Ein Kinderspiel, meint er, und obwohl die Maschine mit ungefähr 2000 Schlägen pro Minute arbeitet, beschädigt sie den Baum nicht.

»Dann hast du auch zu tun!«

Jutta, die sich in der Zwischenzeit mit einer jungen Afrikanerin angefreundet hat, hilft beim Sortieren der geernteten Oliven. Juttas plötzliches Interesse für eintöniges Sortieren kommt mir doch etwas merkwürdig vor. Ehe ich anfange, nähere ich mich den beiden, um ihr Gespräch zu belauschen.

Jutta: »Die sind wunderschön, Marie Julienne, so etwas hätte ich auch gern in meinem nächsten Film. Sie sehen aus, als wären es deine eigenen!«

Marie Julienne: »Sie tragen sich sehr gut, und ich mache sie selbst.«

Jutta: »Du selbst?! Und wie?«