Als sich mir im Olivenhain der Marchese mit einem nicht enden wollenden Namen vorstellte, dachte ich zuerst, er mache einen schlechten Witz. Die Verbeugung vor meiner durchnässten Gestalt, der Handkuss auf meine verdreckte Hand, all das konnte doch nur einem Märchenfilm entspringen.
Doch inzwischen weiß ich, dass er es ernst meinte. Seine Erziehung gebietet ihm, sich stets würdevoll zu verhalten, wie kurios sein Gegenüber auch sein mag.
In der Abenddämmerung erkenne ich eine wunderschöne zypressengesäumte Straße vor einem Haus mit U-förmig angebauten Seitenflügeln. Es scheint inmitten eines Parks zu liegen. Zwei Laternen, die fahles Licht verströmen, erhellen den Eingang. Wunderschön geschnitzt ist die große schwere Eingangstür, die sich nun öffnet.
Eine uralte gekrümmte Frau tritt heraus und redet sofort lautstark auf Signore Marchese ein. Ich verstehe kein Wort, sie spricht mit schwerem sardischem Akzent. Bruno erwidert meine Blicke mit Schulterzucken, auch er scheint sie nicht zu verstehen.
Sie ist irgendwie sauer auf den Marchese, weil er uns mitgebracht hat und sie offenbar keine Zeit hatte, etwas vorzubereiten. Warum nur wollte Bruno die Einladung unbedingt annehmen? Natürlich ist eine Dusche verlockend, und ebenso ein üppiges Abendmahl, aber warum muss man dafür eine alte Frau in Aufregung versetzen? Ich wäre gerne direkt nach Gesturi gefahren, dann könnte ich meine Kleider wechseln und irgendetwas essen und danach in ein BETT fallen. Warum nur will einen jeder auf dieser Insel einladen? Das ist ja reizend, aber mein Bedürfnis danach ist erst einmal gedeckt. Als Bruno mit Valdes gesprochen hat und ich wie üblich nur die Hälfte verstand, hätte er mich doch einbinden können. Ständig wird über meinen Kopf hinweg bestimmt.
Was wäre schon dabei gewesen, die Einladung auszuschlagen! Der Alten hätte es gefallen. So aber sind wir beiden Frauen überrumpelt und müssen uns fügen. Wie im Mittelalter, denk ich mir.
Bruno und ich werden freundlich ins Haus gebeten. Während ich die Schwelle dieser ehrwürdigen Behausung überschreite und noch einmal kurz einen Blick auf die phantastische Auffahrt erhasche, sehe ich, wie ein Stallknecht unsere beiden Maultiere aus dem Anhänger holt und sie zu einer Stallung bringt. Er trägt Sorge, wie lieb, denke ich dankbar. Von nun an ist das Thema Esel für mich erledigt.
Die Eingangshalle ist mindestens ebenso beeindruckend. Eine breite geschwungene Treppe führt in die oberen Geschosse, dunkles Holz und Stein runden den Eindruck eines alten, von vielen Geschichten getragenen Gemäuers ab. Generationen müssen in diesem Haus gelebt haben, ich bin gespannt auf die Familie des edlen Herrn. Man erwartet, dass sich gleich alle Türen öffnen und Kinder, Hunde und die Ehefrau erscheinen, aber nichts von alledem geschieht. Wir stehen etwas verlegen herum und warten auf die Rückkehr des Hausbesitzers. Die alte Frau ist verschwunden. Ich flüstere Bruno leise zu:
»Meinst du, du könntest fragen, ob ich ein Bad nehmen dürfte?«
»Ma certo«, natürlich, antwortet er. Gleich wenn Signor de Valdes erscheint, wird er ihn fragen.
In der Tat werden wir wenig später von dem Faktotum nach oben geleitet. Ein muffig riechendes riesiges Zimmer tut sich auf, jahrhundertelang scheinen hier weder Licht noch Luft hereingekommen zu sein. Frischluft hatten wir ja genug die letzten Tage, wir werden es überleben, doch sobald die Madame den Raum verlässt, werde ich erst mal lüften.
Missmutig öffnet sie einen hölzernen Kleiderschrank mit schweren Messingbeschlägen, um mir schließlich ein großes weißes Unikum von Nachthemd in die Arme zu legen. Augenblicklich hüllt mich der süßliche Duft von Mottenkugeln ein und erzeugt leichtes Würgen.
Die Signora öffnet eine nicht erkennbare kleinere Tür und bedeutet uns, ihr zu folgen. Es ist ein Badezimmer. In der Mitte befindet sich eine große gusseiserne Badewanne, ein wahres Prachtstück aus einem anderen Jahrhundert. Wie lange schon träume ich davon, so etwas zu finden und bei mir zu Hause einbauen zu lassen. Auf vier bronzefarbenen Löwenpfoten steht das Ungetüm. Aus der Bronzearmatur läuft heißes, dampfendes Wasser in die Wanne, nachdem ich mit leicht angeekeltem Blick von der Dame, deren Namen ich nicht einmal kenne, begutachtet wurde. Sie drückt mir ein riesiges Stück Seife in die Hand, womit sie bestimmt zum Ausdruck bringen möchte, dass ich eine gründliche Reinigung dringend nötig habe. Bevor sie mich verlässt, deutet sie noch auf ein eisernes Regal, in dem sich Handtücher und allerlei Fläschchen befinden, dann schlägt sie geräuschvoll die Tür zu.
Während ich mich meiner Kleider zum ersten Mal seit drei Tagen entledige, muss ich laut auflachen. Das hier ist wirklich die Krönung dieser Reise. In etwas mehr als 48 Stunden haben wir das Leben auf dieser Insel auf die unterschiedlichste Weise kennengelernt. Ich bin mir sicher, dass es nicht viele deutsche Touristen gibt, denen Ähnliches widerfährt.
Mit einem tiefen Seufzer tauche ich ein und unter. Kann mich lang ausstrecken, fast schwebe ich im Wasser. Diese wohlige Wärme lässt meine Erschöpfung herauskommen, ganz still bleibe ich liegen, nur Nase und Mund ragen aus dem Wasser. Langsam, ganz langsam überkommt mich unendliche Müdigkeit. Still ist es. Wie schon die letzten Tage fühle ich mich allein gelassen, warum um Himmels willen wollte Bruno nur duschen? Zu gerne würde ich jetzt mit ihm gemeinsam in der Wanne sitzen. Wir würden uns gegenseitig abrubbeln und unsere Gedanken austauschen. Könnten ein bisschen lästern über die alte Frau und die Mottenkugeln, lachen über alles Geschehene, und vor allem könnte er mich über den Fortgang des heutigen Abends, der Nacht und des morgigen Tages aufklären. So aber verbringe ich ungezählte Minuten alleine im Wasser, bis meine Haut an Händen und Füßen zu schrumpeln beginnt.
In der Hoffnung, dass es sich um ein Haarwaschmittel handelt, nehme ich ein Fläschchen mit silbernem Schraubverschluss, dessen Inhalt eine parfümierte goldgelbe Flüssigkeit enthält. Ich schütte etwas davon auf meinen Kopf und massiere es ein. So dreckig, wie meine Haare sind, würde ich mir auch ein Ei draufschlagen.
Wenig später bin ich ein neuer Mensch. Ich hülle mich in ein etwas kratziges Handtuch von der Größe einer Tischdecke und gehe ins Schlafzimmer. Auf dem Bett liegt ein rosafarbener Brokatbademantel mit Spitzenkragen, und ein Paar Pantoffeln steht einsatzbereit daneben. Zieh mich an, schlüpf rein und geh runter, scheinen sie mich aufzufordern. Wenn bloß nicht alles so müffeln würde. Aber die Aussicht auf meine Dreckklamotten ist so gar nicht verlockend.
Ich öffne die großen Fenster. Die Fensterläden, deren Sicherungen wohl seit Jahren nicht umgelegt wurden, lassen sich nur schwer bewegen, aber schließlich schwingen die Läden zur Seite, und würzige Abendluft strömt mir entgegen. Ich atme tief ein, horche nach draußen auf das Zirpen der Grillen, dieses untrügliche Geräusch des Südens, das bei uns nur in lauen Nächten zu hören ist und den Sommer verkündet. Ein Gecko, der sich offensichtlich an der Außenmauer in der Nähe des Fensters versteckt hatte, schlüpft herein und saugt sich mit seinen Näpfen an der Zimmerwand fest. Das ist ein gutes Zeichen, Geckos bringen Glück!
Ich lächle ihm zu und sage: »Herzlich willkommen, friss bitte alle Motten und Moskitos auf, ich geh jetzt in der Zwischenzeit hinunter und esse.«
Mit diesen Worten entschwinde ich, als Königinmutter verkleidet.
Sie heißt Lenardedda, nie zuvor habe ich diesen Namen gehört. Es sei ein sehr alter, traditioneller Name aus Sardinien, und sie sei schon vor der Geburt des Marchese als Zimmermädchen in dieses Haus gekommen, habe der ehrwürdigen Frau Mutter gedient, um dann die Erziehung des kleinen Marchese zu übernehmen. Das erzählt mir Marchese Valdes auf meine Frage, wer denn die alte Frau sei, die mich ins Bad begleitet hat. Akzentfreies Italienisch bietet er mir, flechtet elegant hin und wieder ein Wort Französisch ein, um seine Vielsprachigkeit zu demonstrieren. Spanisch sei seine Muttersprache, diese jedoch könne er hier nur in bestimmten Kreisen sprechen, das Volk würde ihn nicht verstehen.