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»Was, von den Ravioli?«

»Genau, von den Ravioli und allen Liebhabern.«

»LIEBHABER?! WAS FÜR LIEBHABER?«, fragen Jutta und der Marchese im Chor.

»Liebhaber … äh … der guten sardischen Küche.«

»AAACH SOOO!«, meint Jutta.

»Guten Appetit, meine Lieben. Es ist mir immer wieder ein Vergnügen, Gäste im Haus zu haben«, beendet der Marchese das Thema.

Ich seufze erleichtert auf. Glücklich taucht meine Gabel in eine wunderbar luftige Artischockencreme.

Giudittas Traum

Jutta

Zurück in unserem Schlafzimmer, bin ich erst einmal glücklich über die herrliche Luft, die zwischenzeitlich durch die offenen Fenster hereingeströmt ist. Zu gerne würde ich bei geöffneten Fenstern schlafen, denn ich befürchte, dass das Naphthalin, das wohl in allen Schränken versprüht wurde, mich ersticken wird. Bruno bekommt aber immer eine Krise, weil er Angst hat zu erfrieren.

So gilt es mal wieder, einen Kompromiss zu finden, mit dem wir beide leben beziehungsweise schlafen können. Ich ziehe die Fensterflügel heran, so dass in der Mitte ein Spalt offen bleibt, und ziehe drei Viertel der Vorhänge zu, dann hänge ich den Bademantel zurück in einen Schrank, der voller altmodischer Damenbekleidung ist. Neugier packt mich, ich muss diese alte Dame näher kennenlernen!

Vornehmlich dunkel ist ihre Garderobe, die fein säuberlich mit jeweils einem Papierstreifen am Kleiderbügel versehen ist, der diesen ekligen Geruch verbreitet. Ich nehme eines der Kleider heraus und stelle fest, dass die Mutter von Signor de Valdes mindestens ein Meter fünfundachtzig groß gewesen sein muss. Auch ihr Leibesumfang war nicht zu verachten. Besonderen Wert scheint sie jedoch auf Spitzen und Rüschen sowie gestickte Blümchen und zart Mädchenhaftes gelegt zu haben, auch um die Strenge ihrer Kleidung etwas aufzuheben. Wie meinte ihr Sohn? Ihr internationaler Modegeschmack war legendär? Ich lache laut auf, diese Verklärung ist wirklich bewundernswert.

In einem Regal befinden sich brav aufgereiht die Schuhe von Madame. Neben den praktischen flachen Tretern in U-Boot-Größe fällt auch hier ihr Hang zum Grazilen auf. In einem Schrank hängen Blusen über Blusen, von zartrosa über creme bis hellblau, alles, was das Herz begehrt. In der Schublade liegen diverse Handschuhe und Schals. Selbst Strümpfe finde ich und frage mich, was das soll. Sicherlich ist die alte Dame schon lange tot, und hier wird etwas konserviert, was einzig der Ernährung von Ungeziefer dient.

Da ich weit und breit keine Anzeichen von einer Ehefrau, geschweige denn Kindern gesehen habe, wird es mit dem Nachlass des Marchese nach seinem Ableben genauso gehen. Alles wird fein säuberlich aufgehoben, damit die Geister der beiden sich nachts verkleiden können.

Kopfschüttelnd öffne ich ein schmales Schränkchen, um es erschrocken gleich wieder zu verschließen. Hab ich richtig gesehen, stehen darin einige Flinten? Vorsichtig öffne ich erneut das Türchen, und richtig, da lehnen drei Gewehre unterschiedlicher Größe an der Rückwand! Und jede Menge Munition liegt in einer Schachtel daneben. Wahnsinn, wie fahrlässig! Wozu brauchte sie im Schlafzimmer Waffen? Musste sie sich verteidigen, weil ihr die Liebhaber auf den Leib rückten? Oder hat sie von hier oben aus mit Schüssen ihr Personal dirigiert? Mir wird zunehmend mulmig. Beklommen schließe ich den Schrank und setze mich auf das Bett. Soll ich jetzt hinuntergehen und darauf bestehen, dass wir, egal wie spät es ist, augenblicklich zu Brunos Verwandtschaft fahren? Andererseits bin ich kein Hasenfuß und neige auch nicht zu Hysterie.

Also, was soll’s! Falls ein böser Feind kommt, schieß ich ganz einfach, Munition ist ja genug da!

Gottlob scheint die Bettwäsche nicht in Naphthalin getränkt zu sein, sie riecht erträglich, auch das Nachthemd geht einigermaßen. Aber riesig ist es, und ich könnte Bruno gut mit hineinstecken. Während ich in dem weichen, leicht durchgelegenen Bett versinke und darüber nachsinne, ob es Zufall oder Bestimmung ist, dass wir beide quasi denselben Namen tragen, muss ich wohl eingeschlafen sein …

So weit das Auge reicht, sehe ich grün. Auf dem Hügel, auf dem ich mich befinde, gibt es keine Lebewesen. Ein altes Kettenkarussell dreht sich auf seinem höchsten Punkt. Die Sitze des Karussells sind unterschiedlich. Einer erinnert an einen ausgehöhlten Schwan, ein anderer hat nur zwei Fußstützen und ähnelt einer Schlange. Ein dritter wiederum ist ein umgedrehtes Boot, auf dem man sich nicht festhalten kann. Dann gibt es noch einen Schaukelsitz, mit einer Stange aus Glas. Ich sitze festgebunden auf einem Sitz, der wie der Rücken eines Esels aussieht, nur dass er zwei Köpfe hat, die in entgegengesetzte Richtungen schauen. Ich kann mich nirgends festklammern, denn sobald ich es versuche, beißt mich einer der Köpfe in die Hand. Das Karussell dreht sich und dreht sich. Aus der Säule in der Mitte des Karussells ertönt ein Glöckchen. Eine Frauengestalt, furchterregend hässlich und gefährlich, erscheint. Sie beginnt zu sprechen. »Du allein entscheidest über dein Schicksal. Hier ist die erste Aufgabe. Wenn du den Tee aus dieser Tasse nach zwanzig Minuten allein durch deine Zungenbewegung in deinen Mund befördert hast, wie Ziegen es tun, schnalle ich dich los, und du darfst zum nächsten Sitz springen.« Das Karussell dreht sich immer schneller. Woher weiß ich nur, wann zwanzig Minuten vorüber sind? Die Gestalt scheint zufrieden zu sein, denn wie durch Zauberhand lösen sich meine Fesseln. Ich fliege durch die Luft und lande weich auf dem nächsten Sitz. Wieder taucht das Gesicht auf.

»Hier nun deine zweite Aufgabe. Du musst in das Boot hineinklettern und zwanzig Runden drehen.« Das Karussell dreht sich und dreht sich. Mit meinen Händen taste ich den Rumpf des Bootes ab. Boote haben verschlossene Öffnungen, durch die man eingesickertes Wasser gegebenenfalls ablaufen lassen kann. Ich spüre eine kleine Kerbe, und siehe da, problemlos lassen sich Teile der Holzplanken entfernen. Ich schlüpfe durch, und meine Hände halten sich am Rand des Bootes fest. So drehe ich zwanzig Runden.

Plötzlich kann ich mich nicht mehr halten und falle. Ich sehe die Schaukel unter mir. Meine Hände greifen nach ihr. Das zarte Glas knackt, als ich mich daraufsetze. Wieder ertönt das Glöckchen.

»Gut gemacht, kleine Giuditta, nun deine dritte Aufgabe«, sagt das Gesicht. »Schlag mit der Schaukel zwanzig Purzelbäume.«

Ich beginne kräftig nach vorne und zurück zu schaukeln, immer vorsichtig, damit der Glassteg unter mir nicht bricht, bis ich endlich zum Überschlag komme. Kaum hab ich mich einmal überschlagen, zieht mich ein Sog nach unten, dann katapultiert er mich nach oben, und ich schlage einen Purzelbaum nach dem anderen. Es geht so schnell, dass ich die Orientierung verliere und nicht mitzählen kann.

»Warum schreist du denn so? Ich bin hundemüde und will schlafen!« Dann dreht sich die Stimme um, und das Bett wabert, als ob es ein Erdbeben erschüttert hat. Kurz darauf macht die Stimme »kkkkrrrrrzzzzzzt«.

Noch einmal sage ich mein Versprechen auf und füge ein »liebe Giuditta« hinzu, bevor ich mich in die Löffelchenstellung rolle, um traumlos den Rest der Nacht weiterzuschlafen.

Die spanische Invasion

Bruno

Jutta ist schon schlafen gegangen. Die Stimmung bei Tisch war heiter und gelöst. Unnötig zu erwähnen, wie köstlich das Essen war. Höchstens am Dessert hätte ich etwas zu kritisieren: Tiramisu mit Granatapfelkernen!! Dafür habe mich beim Trinken zurückgehalten und nur ein Gläschen roten Myrtenlikör für die Verdauung angenommen. Nun würde ich mich auch nur zu gern ins Bett verabschieden, aber ich kann den Marchese nicht allein sitzen lassen, der anscheinend noch ein wenig unterhalten sein möchte. Wir ziehen nach nebenan in die Bibliothek, wo mir Don Geraldo seine wertvolle Sammlung alter Bücher und Handschriften zeigt. Vor allem interessiert er sich für Ahnenkunde, Heraldik und Heimatgeschichte. Er hat selbst zahlreiche Schriften veröffentlicht, gibt daneben Studien regionaler Autoren heraus und beschäftigt sich selbstverständlich auch mit der Geschichte seiner Familie, deren soeben fertiggestellten illustrierten Stammbaum er mir ganz stolz zeigt. Ich muss gestehen, dass im Familienzweig von Fernando Sanchez Rodriguez die schöneren Porträts zu finden sind, während es bei den zahlreichen Del Carmen d’Alagona Valdes im besten Fall vor Höcker- und Hakennasen nur so wimmelt. Und je weiter ich zurückgehe, desto häufiger stoße ich auf schiefe Münder, Segelohren und hervortretende Augen. Alles in allem ist das Schicksal sehr gütig zum Marchese gewesen, der außer Nachnamen und einem Leberfleck am Hals fast nichts von der mütterlichen Seite geerbt hat. Und in diesem Moment gewährt mir der Hausherr auch einen Einblick in seinen großen Sinn für Humor. Ich sehe, dass der Marchese neben jedem Namen auf dem Stammbaum einen Spitznamen notiert hat, damit er sich besser an ihn erinnert. Für die beiden wichtigsten Familienzweige, also die Fernando und die d’Alagona, greift er auf die Welt der Ducks und der Simpsons zurück. Der Urahn Joaquin Fernando heißt dort Onkel Dagobert (und eine seiner Großmütter, Almundina, Oma Duck, ihre drei Enkel Raimund, Ignacio und Dolores sind Tick, Trick und Track), dann stehen auf der anderen Seite der Familienlinie die Fürsten Isabella d’Alagona und Manuel Valdes oder besser gesagt Abraham und Mona (und weiter unten dann ihre Kinder Edmundo und Cristiano alias Herb und Homer). Doch abgesehen von Familienkunde und solchen Scherzen gibt mir der Marchese einen erhellenden Überblick über die spanische Invasion und den Aufstieg der aragonischen Königsdynastie in Sardinien. Alles begann, als der damalige Papst Bonifatius der Achte, der mit dem antikatholischen Verhalten der Sarden unzufrieden war, 1296 beschloss, Sardinien dem aufstrebenden Königshaus von Aragon als Lehen zu übergeben, einem Reich, das ein getreuer Diener der heiligen römischen Mutterkirche war. Der König von Aragon erhielt sofort den Titel eines Königs von Sardinien, aber es gingen erst sechsundzwanzig Jahre ins Land, bis er diese Herrschaft ausüben konnte. Die günstige Gelegenheit ergab sich mit dem Ende des Bündnisses zwischen den Pisanern und dem Judikat von Arborea, das es damals beherrschte. Die Eroberung begann 1323. Die Aragoner besiegten die Pisaner mit Hilfe des Judikats von Arborea ein Jahr später. Das stets angespannte Bündnis zwischen den beiden Reichen zerbrach bald, und danach begann für beide Seiten eine lange Periode von Kriegen. Ihre Nachkommen bekämpften sich mit unterschiedlichem Erfolg (vielleicht waren darunter ja auch Gustav Gans, Donald Duck, Primus von Quack oder Bart Simpson …) bis 1478, als das Haus Aragon dort die alleinige Herrschaft übernahm. Und die dauerte bis 1714!