Da ich neugierig bin, beschließe ich, mich im Bad fertigzumachen und in meine schmutzigen Klamotten zu steigen. Der Gedanke daran ist zwar wenig erbaulich, andererseits will ich aber dieses Zelt so schnell wie möglich loswerden. Das kühle Wasser erfrischt meine Lebensgeister, und Schritt für Schritt werde ich wieder zur fröhlichen und positiven Jutta. Was für ein Zufall, dass die Alte den gleichen Namen wie ich trägt. Ich bin erstaunt darüber, wie tief mich diese Begegnung beeindruckt hat.
Nachdem ich im Badezimmer ordentlich rumort habe, steht Bruno leicht genervt auf. »Es ist gerade mal acht Uhr vorbei, und wir müssen gegen elf bei Maurizio sein. Wir haben alle Zeit der Welt, Gesturi ist nicht mal zwanzig Kilometer von hier entfernt.«
Zu gerne würde ich jetzt fragen, warum um alles in der Welt er uns nicht gestern Abend mal kurz dorthin gefahren hat, aber da jegliche Diskussion eh zwecklos ist und nur Missstimmung heraufbeschwören würde, verkneife ich es mir. »Brauchst du lange im Bad, oder soll ich auf dich warten?«
»Nein, nein, geh schon mal«, fordert er mich auf, und ich weiß doch, wie es ihn stört, wenn ich um ihn herum bin und ihm das Gefühl vermittle, auf ihn zu warten.
Also schleiche ich leise durchs Haus, hinaus in den Park, in der Hoffnung, dass mich Lenardedda, die sicherlich schon längst in ihrer Küche arbeitet, nicht hört.
Draußen ziehe ich meine Schuhe aus und gehe über den Kiesweg auf das taunasse Gras. Es ist unbeschreiblich schön hier. Fast toskanisch mutet dieses Gut an. Mit weit ausholenden Schritten überquere ich die Wiese und erhole mich zusehends von dieser Nacht. Als ich weit genug gelaufen bin, um das Haus mit Stallungen und Anbauten im Ganzen sehen zu können, drehe ich mich um. Es ist wahrlich beeindruckend. Da ich die Läden unserer Fenster geöffnet habe, ist leicht auszumachen, wo wir geschlafen haben. Alle anderen Fenster sind, wie üblich im Süden, was ich einfach nicht nachvollziehen kann, fest verrammelt. Gut, wenn es im Sommer richtig heiß ist, verstehe ich das ja noch, aber wie man jetzt im Herbst auch noch freiwillig im Dunkeln sitzen kann, wird mir immer ein Rätsel bleiben.
Ich kann Brunos Schatten erkennen, als er vom Bad ins Zimmer geht, und winke. Er sieht mich nicht, er sucht mich ja auch nicht! Ich suche eigentlich immer, wenn ich jemanden für kurze Zeit verlasse. Dann denke ich, er wird gleich irgendwo erscheinen, und diesen Moment will ich nicht verpassen. Ich lasse Menschen nicht gerne warten! Zum einen wurde ich so erzogen, zum anderen steckt es einfach in mir, denn Warten empfinde ich als vergeudete Zeit. Bruno hingegen wartet immer auf irgendetwas. Darauf, dass sich was verändert, dass die Person, die schon lange versprochen hat anzurufen, sich endlich meldet, dass das Meer so warm wird, dass man endlich darin schwimmen kann … Warten, warten, warten – auf tausendundeine Sache. Ich selbst verabscheue das, lieber springe ich ins zu kalte Meer, als dass ich auf den Genuss zu schwimmen verzichte. Auf mich muss niemand warten. Ich komme dann, wenn es ausgemacht ist. Ich brauche keine Notlügen. Wenn’s mal wirklich nicht geklappt hat, sag ich, warum. In Italien glaubt man, den anderen zu beleidigen, wenn man sagt: »Sorry, aber ich hab heut Morgen getrödelt, das hab ich einfach gebraucht.« Nein, es wird herumlaviert und irgendein Mist erzählt, und der andere weiß genau, dass er angelogen wird. Aber das zieht er der Wahrheit vor. Was für ein komisches Volk!
Ja, was soll man machen, wenn die Italiener ihn sympathisch finden? Dann müssen sie halt alles, was ihnen diese Regierung antut, aussitzen und warten, dass ein neuer und besserer Präsident vom Himmel fällt. Na, hoffentlich passiert es bald, sonst versinkt dieses wunderbare Land für immer im Dreck und korruptem Sumpf.
Wenig später erscheint Bruno, und wir machen uns auf die Suche nach dem Marchese.
In der Tat übt sich dieser immer noch in seinen Exerzitien und fordert uns zum Mitmachen auf. Das hat mir gerade noch gefehlt! Er zeigt uns einige merkwürdige Übungen, die wenig mit dem landläufigen Yoga zu tun haben, aber ich bin ja offen für alles. Nur zu lange sollte es wirklich nicht dauern! Bruno hingegen ist völlig von den Socken und macht begeistert mit.
Danach erwartet uns ein kurzes, typisch italienisches Frühstück, und dann begleiten wir den Marchese in den Hof. Er habe leider keine Zeit, uns nach Gesturi zu fahren, aber wir könnten seine Ape nehmen, diesen typisch italienischen Kleinlaster auf drei Rädern, er würde sie später holen. Kann es denn nicht EINMAL einfach sein? Muss IMMER wieder was dazwischenkommen? Ich krieg noch die Krise! Halleluja! Nichts wie weg hier!
»Grazie mille, Signor de Valdes, für alles.« Ich lass mir wieder die Hand küssen und nehme Platz! Eng ist es und nicht gerade bequem, aber es erfüllt hoffentlich seinen Zweck! Bis sich die beiden Männer mit viel Trara endlich verabschiedet haben, vergeht eine kleine Weile, und ich befürchte, Bruno hat uns auf ein baldiges Wiedersehen bei ihm angekündigt. Dann starten wir unter viel Getöse. Ich winke sicherheitshalber noch mal freundlich, denn die alte Lenardedda ist doch wirklich zum Abschied auf der Außentreppe erschienen. Die schlägt sicher drei Kreuze, sobald wir um die Kurve gerattert sind.
Bei Tageslicht bewundere ich noch einmal ausgiebig die zypressengesäumte Auffahrt. Hinter uns wird der Gutshof kleiner und kleiner, bis er endlich nach einer Kurve ganz verschwindet und wir eine geteerte Straße erreichen. So, nun aber ein bisschen DALLI, es ist schon kurz vor zehn Uhr. Mich beutelt es zur Abwechslung mal wieder, aber mein Rennfahrer neben mir zischt weiter ungebremst um die Kurven. Nach einer Dreiviertelstunde verlangsamt Bruno das Tempo, und wir nähern uns einem kleinen Städtchen. Was ich jedoch außerdem sehe und was mich sehr beunruhigt, ist eine Autokolonne vor dem Städtchen. Über Hunderte von Metern reiht sich Auto an Auto, Menschen sind auf der Straße und stehen tatenlos rum. Hinter uns hat sich bereits eine weitere kleine Schlange gebildet, wir stecken mittendrin. Na, hoffentlich kein Unfall! Ich sehe auf meine Uhr, es ist Viertel vor elf. Um zwölf, so sagte mir Bruno, beginnt die Hochzeitszeremonie. Panik steigt in mir auf. Ich habe mir so fest vorgenommen, hübsch zu sein auf diesem Fest! Unmöglich, dass ich in meinem derzeitigen Aufzug die Kirche betrete!
Wenn das da vor uns Gesturi ist, laufe ich dorthin! Da bin ich allemal schneller als all die Autos. Mein Vorhaben stößt bei Bruno jedoch auf Widerstand. Ich wüsste ja gar nicht, wohin ich in Gesturi muss, und erklären könne er es selbst nicht, weil er noch nie da gewesen sei. Ich solle mal schön cool bleiben, der Stau löse sich bestimmt gleich auf. Na schön, mein Cousin ist es ja nicht, und Trauzeuge bin ich auch nicht! Mir kann’s eigentlich egal sein, wann oder ob ich überhaupt ankomme. Schade ist es allerdings schon, wenn man die Zeremonie versäumt, weil man so kurz vorm Ziel festgehalten wird! Minutenlang palavern wir hin und her, was man tun kann, um hier wegzukommen, aber es bietet sich keine Lösung an. Langsam, aber sicher begeben sich die Fahrer wieder in ihre Autos, und die ersten setzen sich in Bewegung. Auch Bruno stellt den Motor an, und siehe da, wir fahren.
Eine Prozession biegt gerade um die Ecke, als wir in das Dorfsträßchen einbiegen, das zur Kirche im oberen Teil von Gesturi führt. Es ist kurz nach halb zwölf!!!!
Die Yogastunde
Bruno
Geraldo Valdes ist nicht nur ein versierter Wappenkundler, sondern auch ein Fachmann für »Beklopptenyoga«, im Allgemeinen als »Lachyoga« bekannt. Beim Frühstück zeigt er uns ein Foto, wie er lässig auf einem seiner Pferde sitzt, er wirkt glücklich und zufrieden und seine Wirbelsäule beneidenswert biegsam. So möchte ich auch gern in zwanzig Jahren aussehen! Der Gedanke, vor der Abreise ein wenig Lachyoga zu machen, reizt Jutta eher nicht, obwohl sie fleißig normales Yoga betreibt. Ich hingegen verspüre große Lust, solange das Ganze innerhalb einer halben Stunde erledigt ist. Hauptsache, wir kommen nicht zu spät zur Trauungszeremonie! Auf jeden Fall müssen wir noch im Stall vorbeischauen und uns von unseren beiden Freunden verabschieden. Geraldo fährt am nächsten Dienstag zu einer Viehmesse nach Cagliari und hat sich gern bereit erklärt, Claudio die Esel zurückzubringen. Nachdem er Decken für uns besorgt hat, die wir mit Hilfe des Stallknechts auf dem Boden ausbreiten, erzählt er uns von seiner Liebe zum Yoga und wie diese ganz besondere Variante entstanden ist. Barfuß stellen wir uns zunächst aufrecht hin und atmen tief durch, um unseren Körper mit Sauerstoff zu versorgen und ihn zu entspannen. Dann heben wir die Arme nach oben zum klassischen Sonnengruß. Danach wird gelacht, aber mit Witzeerzählen hat es nichts zu tun. Man muss nur Grimassen schneiden und sich lustig bewegen oder Blödsinn erzählen, beispielsweise einen Bären nachahmen, der sich mit dem Rücken an einem Baumstamm schabt, oder Jutta beim Melken einer Ziege. Mit dem Lachen haben wir keine Schwierigkeiten: Wir müssen uns nur gegenseitig zuschauen, und schon platzen wir los. Zwei Minuten lang wird durchgelacht, dann macht man eine Pause, und danach beginnt man wieder von vorn. Einmal tief durchatmen, Grimasse, lachen … Atmen, Blödsinn machen, lachen. Und so fort, bis man nicht mehr mag. Da drängt sich mir eine Frage auf, die ich gleich unserem Guru stelle: Wenn Yoga Meditation und Schweigen bedeutet, was hat dieses »Beklopptenyoga« dann mit der traditionellen Form zu tun?