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Alle erheben sich jetzt, und ich sehe gar nichts mehr außer den Rücken der Hochzeitsgäste.

Die Musik schwillt an, und alle fangen an zu singen. Fremd klingt es in meinen Ohren, auch kann ich nicht ein einziges italienisches Wort heraushören. Ist es Lateinisch oder Sardisch? Die Frauen wechseln sich wie in einem Choral mit den Männern ab. Wunderschöne Stimmen sind darunter. Männerstimmen, fast so hoch im Sopran wie Frauenstimmen. Dann setzen verschiedene Musikinstrumente ein, lange Flöten und Tamburine. Die ganze Kirche bebt unter dieser kraftvollen und fröhlichen Musik. Ich bekomme sofort gute Laune und summe und klatsche mit. Neben mir steht eine ältere dunkel gekleidete Frau und reicht mir eine Stoffrosette mit weißen Bändern, die ich an mein Kleid heften soll. Somit gehöre ich jetzt dazu, ich bin ein Hochzeitsgast! Aber wo ist mein Mann?

Was nun passiert, unterscheidet sich nicht sehr von unserer Tradition. Der Pfarrer feiert eine katholische Messe. Er predigt auf Italienisch, was ich in Teilen verstehen kann, und hält die Messe auf Lateinisch. Andächtig und sehr ernst hören alle zu, beten mit und sagen ihre Sprüchlein auf. Viele Kinder sind auch unter den Gästen, belustigt sehe ich, dass einige Mädel ihre Kommunionkleider tragen.

Jetzt scheint es ernst zu werden für das Hochzeitspaar. Beide knien nieder, und vier Personen stellen sich rechts und links neben sie. Ich traue meinen Augen nicht: Bruno ist wie ein echter Sarde gekleidet, mit Fes und allem Drum und Dran, und steht mit einem Teller in der Hand neben dem Bräutigam. Ich muss ein Foto mit meinem Handy machen und es per SMS nach München schicken, schießt es mir durch den Kopf. Sobald ich den Akku von meinem Handy aufgeladen habe, werde ich Bruno nötigen, sich noch mal in diese Tracht zu quetschen, das ist ja zum Totlachen komisch. In mir gluckst es. Er kann sich ja auch ein neues Autogrammfoto machen lassen, so wie er aussieht, da würden sich seine Fans bestimmt sehr freuen! In Gedanken spiele ich alles durch, bis ich an mir selbst hinuntersehe und mein Aussehen nicht weniger skurril finde. Wir sind wirklich ein großartiges Paar und gehören unbedingt auf die Titelseite der bunten Blätter. Als sardische Witzfiguren erobern wir uns eine neue Karriere!

Einige Ungereimtheiten verhindern einen zügigen Ablauf der Zeremonie. Ich kann leider nicht erkennen, woran die Verzögerung liegt, aber endlich scheinen die Ringe getauscht zu sein, denn Braut und Bräutigam küssen sich, und alle um mich herum zücken ihre Taschentücher. Mist, jetzt hab ich genau das verpasst, was ich doch so gern gesehen hätte. Die Menge vor mir teilt sich, und unter Musik, die von einem vielstimmigen Chor begleitet wird, schreitet Maurizio mit seiner Giulia an mir vorbei. Im Schlepptau ihre Trauzeugen, und als Bruno bei mir vorbeikommt, hakt er mich unter und zieht mich mit nach draußen.

Ein wunderschön geschmückter Karren, den zwei prächtige Ochsen mit verziertem Joch um den Hals ziehen, steht mitten auf dem Platz. Darauf befinden sich ein Sofa und eine Truhe, Körbe mit Silberschalen und diversem anderen.

»Was ist das, tesoro?«, frage ich meinen Schatz.

»Il dote«, antwortet er mir.

»Und was bedeutet il dote

Aber er kann es mir nicht erklären, und ich reime mir zusammen, dass es sich um die Mitgift handelt.

Das Paar setzt sich auf den Kutschbock, und während die Frauen einen lauten Singsang anstimmen und ich aus lauter Begeisterung mitsinge, setzt sich die Prozession, angeführt von dem Ochsenkarren, langsam in Gang. Die Männer spielen auf ihren Flöten, und Bruno, der sich noch nie durch besondere Musikalität ausgezeichnet hat, schwingt das Tamburin.

Wir gehen zum Elternhaus der Braut. Rechts und links unseres Weges steht die gesamte Dorfbevölkerung und wünscht dem Brautpaar alles Gute.

Nach wenigen Minuten haben wir das Dorf durchquert und stehen vor dem Haus von Giulias Eltern, in dem sich laut Bruno wundersamerweise unsere verlorenen Koffer befinden. Von dem Moment an will ich nur noch eines: rein, Koffer suchen und dann nichts wie raus aus diesem Kostüm und endlich wieder Jutta sein. Nein, besser »elegante, saubere, schöne Jutta« sein. Ich schäle mich aus der singenden Gruppe heraus, winke meinem Tamburinmann, er solle mir doch folgen. Dieser ist jedoch noch heftig dabei, musikalisch sein Bestes zu geben, und so mache ich mich auf die Suche nach meinem Gepäck. Gottlob steht es gleich im ersten Raum. Ich will ja nicht langweilen, aber soll ich jetzt ernsthaft beschreiben, wie ein Kleid aus Seide nach vier Tagen zusammengepressten Zustandes aussieht?

Ich suche das Bad, hänge das Cocktailkleid über die Stange von der Dusche, ziehe den Duschvorhang zu, drehe den Heißwasserhahn auf und verwandle das Badezimmer in eine Dampfsauna. Dann kehre ich zurück zu meinem Koffer, wo sich hübsche saubere Schuhe, meine Schminke, meine Zahnbürste und alles, was ein Frauenherz begehrt, befinden. Im Badezimmer dampft mein Kleid vor sich hin, und nachdem ich es kräftig ausgeschüttelt und mit der flachen Hand glattgestrichen habe, sieht es in der Tat wesentlich besser aus.

Lachen und kräftige Anfeuerungsrufe aus sardischen Kehlen dringen durch das geöffnete Fenster zu mir herein, während ich mich fertigmache. Offenbar versäume ich ein wichtiges Hochzeitsritual. Meine Gedanken schweifen ab zu meiner eigenen Hochzeit, die schon so lange zurückliegt. Als mein damaliger Mann und ich aus der Kirche traten, hatten meine Schwiegereltern, die einen großen Holzverarbeitungsbetrieb besaßen, auf zwei Holzböcke einen dicken Baumstamm gelegt. Unter lauten Anfeuerungsrufen unserer Freunde und Verwandten mussten wir mit einer Säge, so schnell wir eben konnten, diesen Stamm durchsägen. Danach gab es für uns beide ein Schnapsstamperl, und erst dann waren wir in den Augen unserer Hochzeitsgäste ein richtiges Ehepaar. Schön war unser Fest danach. Eine Band spielte auf, launige Reden wurden geschwungen, und meine Eltern trugen ein selbstgeschriebenes Gedicht über das abenteuerliche Leben ihrer einzigen Tochter vor. Peinlich, wie man sich denken kann, jedenfalls für mich! Unsere Gäste fanden es aber lustig! Ja, und dann wurde ich entführt. Das ist Tradition bei uns und meistens der Killer einer schönen Hochzeit. Gottlob wurde ich gleich ins nächste Gasthaus an der Ecke gebracht, und man hatte meinem frischgebackenen Ehemann gesteckt, er solle doch mal als Erstes dort nachsehen. So musste ich nur kurze Zeit unserem wirklich lustigen Fest fernbleiben. Ich bin gespannt, was mich heute hier erwartet!

Als ich jedoch in all meiner Pracht endlich aus dem Haus trete, ist schon alles vorbei. Man versammelt sich wieder zu einer Art Prozession. Nirgends entdecke ich Bruno und hoffe, er zieht sich ebenfalls um. Soll ich nun auf ihn warten? Ehe ich mich’s versehe, ergreift eine Frau meinen Arm und zieht mich mit zu der Folkloregruppe. Die Musikantenschar setzt sich in Bewegung, bergauf, singend und musizierend, und mittendrin das Hochzeitspaar.

Ich befinde mich bereits auf einer Anhöhe, als ich mich umdrehe und Bruno aus dem Haus stürmen sehe. Er eilt uns hinterher. Ich bin erleichtert.

Le Nozze

Bruno

Einige Kilometer vom Casale Valdes entfernt steht eine kleine Kirche, die der Madonna von Villamar geweiht ist. Die feierliche Prozession, die uns nun auf ihrem Weg dorthin entgegenkommt, besteht aus Reitern und den traccas, den typischen kunstvoll geschmückten Ochsenkarren. Die Gläubigen stimmen is coggus an, fromme, der Madonna gewidmete Lieder. Wir bremsen. Viele Menschen säumen die Straße und erwarten ungeduldig die Ankunft der großen Marienstatue auf der holzgeschnitzten Kutsche, die von einem Ochsengespann gezogen wird. Eigentlich findet dieser Umzug immer am dritten Sonntag im August statt, aber dieses Jahr hatte man ihn wegen sintflutartiger Regenfälle verschieben müssen. Weitere religiöse Bruderschaften in ihren Kapuzengewändern kommen hinzu, denen ein Zug von Pilgern folgt, die in leichte weiße Baumwollumhänge gehüllt sind. Man kommt kaum vorwärts und wird von dem Menschenstrom mitgezogen. Alle Gruppen sammeln sich allmählich auf einem großen freien Grasplatz um einige Pfarrer, die sich in der sengenden Sonne im Halbkreis aufgestellt haben. Wir fahren jetzt nur noch im Schritttempo. Vereinzelte Grüppchen von Jugendlichen stimmen ebenfalls religiöse Gesänge an, tanzen hüpfend und klatschen dazu fröhlich in die Hände. Ich weiß auch nicht, wie ich so etwas immer schaffe, aber genau in diesem Moment fliegt mir eine Mücke ins Auge, ich bremse heftig, und dann ist der Kühler meiner Ape schon gegen die Kutsche geprallt. Es folgt allgemeine Aufregung, ein Schutzpolizist und der Kutscher kommen hinzu und fordern uns auf, beiseitezufahren. Ich stelle den Motor ab. Der Hüter des Verkehrs hält unsere Papiere in der Hand, wir sagen ihm, dass wir Freunde des Marchese und zur Hochzeit meines Vetters unterwegs sind. Er bleibt stur, nein, wir können erst weiterfahren, wenn alle Festkarren vor der Kirche eingetroffen sind.