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Genauso ohnmächtig wie damals fühle ich mich jetzt. Ich kann nicht stehen bleiben, wo ich möchte. Man bestimmt über mich und schiebt mich vorwärts. Ich werde wütend und versuche mich zu widersetzen, sinnlos.

Und dann stehe ich da! Vor mir eine Absperrung, dahinter Schafe, Ziegen, Bauern mit Transparenten, die wild durcheinanderschreien. Ein bizarres Bild. Es scheint um eine wichtige Sache zu gehen und soll wohl auch uns Touristen ansprechen. Warum sonst suchen sie sich den Flugplatz aus? Der Gestank der Viecher ist unbeschreiblich. Hinter uns schließen sich wieder die Türen, so dass ich nicht sehen kann, ob Bruno angekommen ist. Absurd!

Flug Air One 5498

Bruno

Wunderbar, wenn man nicht das ganze Gepäck mitschleppen muss! Da ich online eingecheckt habe, musste ich den großen Koffer nur am Bag-drop-Schalter abgeben. Mein Rucksack ist trotz der auf den letzten Drücker gemachten Einkäufe ziemlich leicht.

Ich steige in den Shuttlebus, der mich zum Flughafen bringt. Vor mir steht eine Frau mit enormer Oberweite. Auch an Bord ist sie vor mir, ich komme einfach nicht an ihr vorbei. Die Mikrophonstimme kündigt an, dass wir bald starten, ich verstaue mein Gepäck in der Ablage über den Sitzen. Inzwischen setzt sich die Frau auf den Gangplatz, direkt neben meinen Sitz in der Mitte. Sie ist offenbar total in Panik! Sie kennen doch diese Leute, die sich in die Seitenlehnen verkrallen, sobald das Flugzeug sich auch nur bewegt? Die schon auf der Rollbahn bleich im Gesicht werden und nach den ersten drei Minuten in der Luft ihre Mutter an eine Nomadenkarawane verkaufen würden, wenn sie dafür das Flugzeug verlassen und den Rest der Reise schwimmend zurücklegen dürften?

Genau so jemanden habe ich jetzt neben mir. Sie öffnet und schließt ständig ihren Gurt, blickt nervös zu den Stewardessen und landet schließlich, bei einer plötzlichen Turbulenz, beinahe in meinen Armen.

»Passen Sie doch auf«, knurre ich. Kaum habe ich das gesagt – patsch! –, da schüttet mir die dumme Kuh ihren Apfelsaft über meine Hose. Ich funkele sie wütend an und will ihr ordentlich die Meinung sagen, aber mein Zorn verraucht unverzüglich angesichts dieser Körbchengröße Doppel-D.

Ich rufe die Stewardess.

»Ja bitte?«

»Ich möchte mich woanders hinsetzen.«

»Kommen Sie, in der letzten Reihe ist noch ein Fensterplatz frei.«

Ich stehe auf, quetsche mich an ihr vorbei und habe dabei nicht mal einen Gruß für sie übrig.

Mein neuer Platz ist jetzt hinter einem typisch coolen Italiener mit übergroßer RayBan-Sonnenbrille. Er sitzt ruhig, geradezu regungslos da, als habe der Sitz ihn verschluckt. Allerdings nur, bis das Essen serviert wird, denn da klappt er – schwupps – die Rückenlehne zurück. Nun hat er mit Sicherheit mehr Beinfreiheit, aber mich zwingt er so quasi dazu, das Essen aus der Schale zu schlabbern! Also wieder zurück zu Doppel-D!

Als ich an meinen alten Platz zurückkehre, erwidert sie gleich meinen Blick und sagt: »Es tut mir leid wegen Ihrer Hose.«

Sie klingt, als käme sie aus Mailand und leicht nach Upperclass.

»Kein Problem, aber wie geht es Ihnen? Immer noch nervös?«

»Ach«, stöhnt sie, »seit Jahren überlege ich mir schon, einen dieser Kurse gegen Flugangst zu machen, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie auch helfen. Ja sicher, Autofahren ist viel gefährlicher, aber wer kann mir schon hundertprozentig garantieren, dass das Flugzeug, in dem ich fliege, nicht abstürzt? Alles Unvorhersehbare macht mir Angst.«

Jetzt, da wir uns ein bisschen unterhalten haben, ist sie mir gar nicht mehr so unsympathisch. Sie muss so um die vierzig sein und ist Art Director bei einer bekannten Werbeagentur. Sie fliegt für ein Fotoshooting nach Sardinien.

»Und Sie müssen Sarde sein! Was für eine wunderbare Insel!«

»Nein, ich komme nicht aus Sardinien, ich reise zur Hochzeit eines Vetters.«

»Ach … wie schön!!«

Sie seufzt und lehnt sich entspannt gegen die Rückenlehne. Das deute ich als Aufforderung, die Unterhaltung fortzusetzen.

»Darf ich Ihnen eine ziemlich indiskrete Frage stellen?«

»Fragen Sie ruhig.«

»Sind die echt?«

Einen Augenblick lang glaube ich, dass sie mir nicht antwortet, aber …

»Na sicher! Hier ist alles echt. Die waren schon so, als ich dreizehn war. Als junges Mädchen habe ich mich dafür geschämt, aber mit der Zeit … Schauen Sie nur hin. Ich kenne das. Wenn ich mit Männern rede, wandert ihr Blick immer dorthin. Mir macht es nichts aus. Und außerdem sieht man schon, dass Sie nicht der typisch geile Bock sind, der nicht weiß, wohin mit seinen Augen.«

»Interessant«, sage ich und überlege verzweifelt, wie ich das Gespräch zurück auf ein neutraleres Gebiet lenken kann. Damit mein Blick nicht wieder in ihrem Ausschnitt landet, richte ich ihn auf die Zeitung, in der sie blättert.

»GEDULD DER BAUERN AM ENDE!« Ich lese leise vor mich hin, aber so, dass sie mich hören kann. »Für heute wird ein Protestzug von ungefähr tausend sardischen Hirten am Flughafen von Cagliari erwartet. Und in den nächsten Tagen werden noch weitere Tausende von Demonstranten aus allen Teilen Sardiniens mit Pferden, Eseln und Ziegen dort eintreffen. Sie wollen nicht nur den Flughafen besetzen, sondern auch das Amtsgebäude der Regionalverwaltung. Die Schäfer sind verzweifelt, sie fürchten um ihre Zukunft und die ihrer kleinen Betriebe, besonders wegen des Milchpreises, ein Alptraum, der diesen Sektor tagtäglich bestimmt. Reisende, die zum Flughafen wollen, werden weder die Parkplätze noch den Wartebereich der Abflughalle erreichen können, während Passagiere, die von anderen Flughäfen eintreffen, auf Hunderte Demonstranten treffen, die das Ankunftsterminal besetzen und die Gepäckbänder lahmgelegt haben

Den Blick starr auf den Ausschnitt der Signora gerichtet, brülle ich: »Das Gepäck!«

Die Walküre bleibt ungerührt und zeigt nicht das leiseste Erstaunen. »Alles in Ordnung?«, fragt sie mich.

In absoluter Schicksalsergebenheit starre ich weiter in das üppige Dekolleté. Vor mir sehe ich zwei große Koffer, die auf Nimmerwiedersehen zwischen zwei riesigen weißen Brüsten verschwinden.

Der Streik

Jutta

Meine Füße schmerzen. Wenn ich meine Sandaletten ausziehe, laufe ich Gefahr, dass mir einer in dem Gedrängel auf die Zehen steigt. Lass ich sie an, kann ich bald nicht mehr stehen. Die Frage, was ich denn machen soll, hat sich nach einem Blick auf den Boden allerdings erübrigt. Nun wird mir auch klar, warum es hier so stinkt. Der Boden ist übersät von plattgetretenen Ziegenköteln, dazwischen immer wieder gelblich Feuchtes. Halleluja, wie komm ich hier bloß raus?!

Ich krame in meiner Handtasche nach meinem Handy, vielleicht ist Bruno ja schon in der Halle hinter mir, und ich kann wenigstens mit ihm reden. Es klingelt fünf- bis sechsmal, dann geht die automatische Ansage dran.

»Al momento il cliente non è … blablabla.« Er scheint noch nicht gelandet zu sein, komisch!

»Scusi, Signore, lei sa che cosa è?«, frage ich den Herrn neben mir. Ich will wissen, was hier eigentlich los ist.