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Maurizios Vater, Onkel Peppo, sieht noch genauso aus wie vor dreißig Jahren, als ich ihn zum letzten Mal getroffen habe. Er steht vor dem Platz auf der Bank links vom Altar, der für mich bestimmt ist, und hält seinen Ehering und den von Tante Clara in der Hand. Offensichtlich hatte er sich schon darauf vorbereitet, dass ich verschollen bleibe. Während wir uns umarmen, raune ich ihm zu: »Ich bin dein Neffe Bruno! Achte nicht auf meine Kleidung, aber wenn du mir nicht glaubst, hier sind die Ringe …« Tante Clara ist in diesen Jahren unglaublich gealtert. Ich hätte sie kaum wiedererkannt. Sie steht ganz allein hinter dem Altar. Ich frage ihn nach dem Grund, und er sagt mir, das sei wegen ihrer kleinen Mimi. Seit man ihr als große Ausnahme erlaubt hat, die Hündin zur Trauung mitzubringen – aber nur wenn sie in der Tasche bliebe und nicht bellen würde –, hat sich die ein wenig sonderliche Tante hier hinten verkrochen, aus Angst, ihre weiße Zwergpudeldame könnte herausspringen. Ich muss aber sagen, dass die kleine Mimi nicht einmal fünf Minuten in der Tasche geblieben ist. Von Kopf bis Fuß mit Schleifen geschmückt wie die rosa Zuckermandelsäckchen, die man bei der Hochzeit verteilt, hat sie die ganze Zeit bei ihrem fürsorglichen Frauchen im Arm gelegen. Tante Clara hat sich keinen Moment von Mimi getrennt, nicht einmal, als das Brautpaar die Ringe getauscht hat. Jetzt haben sich neben dem Haupteingang zwei Carabinieri in Gardeuniform aufgebaut. Ob Giulia heil durch die Kirche kommt, ist nicht klar. Da sie nicht an dreizehn Zentimeter hohe High Heels gewöhnt ist, klammert sie sich ständig an ihren Vater, um nicht zu fallen. Inzwischen habe ich es bis zum Altar geschafft.

Ich dränge mich zu Maurizio, der mich natürlich nicht wiedererkennt und mich für einen von der Kapelle hält. »Psst …« Er achtet nicht auf mich, oder vielleicht will er jetzt auch keine Zeit an einen Unbekannten verschwenden. Er ist ganz in eine leise Unterredung mit Padre Mariano versunken. Vielleicht erteilt ihm der Pfarrer die letzten Ratschläge vor der Zeremonie. Jetzt kommt ein Freund hinzu und gibt ihm einen Zettel. Maurizio wird rot, er weiß, dass es einer dieser »Streiche« seiner Kumpel ist, die ihm peinlich sein werden. Er liest nur ein paar Zeilen und muss prompt laut loslachen. So fassungslos, wie der ehrwürdige Pfarrer schaut, muss es sich um einen unanständigen Brief handeln. Padre Mariano entfernt sich verlegen. Giulia hat endlich den Altar erreicht, nachdem sie auf dem Weg ständig über ihre Schleppe gestolpert ist. Maurizio kriegt sich gar nicht mehr ein. Der Zettel rutscht ihm aus der Hand auf den roten Läufer, und bevor der Ministrant sich hinunterbeugen und ihn mit seiner schmalen Knabenhand aufheben kann, stelle ich meinen Schuh darauf, schnappe ihn mir und lasse ihn in meiner Tasche verschwinden. Maurizios Lachen wirkt ansteckend, so ansteckend, dass es jetzt die ersten Reihen hinter den Bänken für die Verwandten des Bräutigams erreicht hat. Dort sitzen seine Freunde: eine Bande von Spaßvögeln, die ihm wohl jede Menge Blödsinn mit der Botschaft geschickt haben und sich jetzt köstlich über ihren gelungenen Scherz amüsieren. Zum Glück dröhnt Mendelssohn jetzt mit voller Wucht. Maurizio kann sich immer noch nicht beruhigen. Giulia steht jetzt vor den Stufen zum Altar, sie sieht ihn empört an. Was denn? Sehe ich da etwa Verachtung für den Mann, den sie gleich heiraten wird?

»Maurizio, Maurizio, was ist denn mit dir los? Jetzt beruhige dich! Ich habe keine Lust, mich völlig zu blamieren, ich bitte dich!«

Kopfschüttelnd geht Padre Mariano zu den Eltern der Braut, um kurz mit ihnen zu reden. Doch ihren Vater kitzelt es in der Nase, und deshalb öffnet er instinktiv den Mund. Anscheinend muss er niesen, aber der Mann hält es geistesgegenwärtig zurück und verbirgt es hinter einem Gähnen. Padre Mariano konzentriert sich jetzt lieber auf seine Pflichten und läutet kräftig die Glöckchen. Daraufhin gehe ich zu Maurizio.

»Psst … Erkennst du mich jetzt, ja oder nein?«

Er hört auf zu lachen, dann wird er ganz blass:

»Duuu? Wie siehst du denn aus?«

»Erkläre ich dir später.«

Giulia steht jetzt neben ihm. Ich stelle mich vor. Sie grüßt mich nicht einmal, sondern zischt mir leise zu:

»Wo sind die Ringe?«

»Die habe ich gerade einer deiner Brautjungfern gegeben«, beruhige ich sie hastig.

Maurizio scheint jetzt ernst geworden zu sein.

»Entschuldige, Liebes, ich konnte einfach nicht mehr aufhören …«

Jutta versucht derweil, weiter hinten in der Kirche in einem Grüppchen von Hochzeitsgästen möglichst wenig aufzufallen. Die Orgel verstummt. Stille. Nun beginnt die Zeremonie. Endlich lächelt Giulia einmal. Das Brautpaar will gerade niederknien, da hört es gedämpfte Schritte hinter sich, wie die eines Hühnerdiebs, aber es ist der Fotograf, dem der Objektivdeckel unter das Kleid der Braut gerutscht ist. »Entschuldigung, aber mir ist da der …«

Giulia starrt ihn mit weit aufgerissenen Augen an und ist zu keiner Reaktion mehr fähig. Maurizio kommt ihr ziemlich verärgert zu Hilfe:

»Was erlauben Sie sich, weg da.«

Nun läutet es wieder. Maurizio beißt sich nervös auf die Lippe. Ich setze mich neben den anderen Trauzeugen auf die Bank, es ist Giulias Bruder. Während der Pfarrer mit der Zeremonie beginnt, ziehe ich den zerknitterten Zettel aus der Tasche und überfliege ihn heimlich.

REGELN FÜR EINE GUTE EHE

Lieber Maurizio, liebe Giulia, hier eine Liste der Regeln, die ihr zum Wohl eurer Ehe einhalten solltet:

Meidet den Gebrauch von Kondomen, eine Erektion, die nicht vom heiligen Sakrament der Ehe gesegnet ist, Selbstbefriedigung, Potenzmittel, schmutzige Gedanken, Tiramisu und andere erregende Speisen, Spiegel im Schlafzimmer, den Gebrauch von Peitsche und Handschellen, erotische Phantasien, schmutzige Worte oder antörnende Bemerkungen (wie zum Beispiel diesen unglaublich originellen Anmachspruch, Maurizio, bei eurer ersten Begegnung am Skilift: »Soll ich dir mal meinen ganz persönlichen Skistock zeigen?«).

Vermeidet, über einem Sexshop zu wohnen, zu füßeln, außer ihr tragt Moonboots, Kalender von bekannten Reifenherstellern.

Vermeidet unzüchtige Taten und Gedanken, alles, was einem wohlanständigen Sexualleben entgegensteht, selbst wenn ihr zu einer babylonischen Orgie eingeladen seid oder der Party zum Fünfzigsten eures Lieblingspornostars.

Liebt euch nur, um Kinder zu zeugen. Vollzieht den Beischlaf auf jeden Fall nur in der Missionarsstellung, übereinander wie zwei Toastscheiben bei einem Sandwich, sie unten, schlafend, und er oben, vollkommen regungslos.

Die Trauungszeremonie ist gerade mit dem Ritual de sa cadena zu Ende gegangen, mit dem der Bund fürs Leben symbolisch besiegelt wird. Maurizio steckt den kleinen Finger der rechten Hand in einen Ring, der den Schluss einer Kette bildet, die wiederum um Giulias Taille gegürtet ist. Das Brautpaar hat die »Liebesversprechen« unterschrieben, dieses Dokument wird nun die nächsten fünfundzwanzig Jahre hier in der Kirche aufbewahrt. Erst dann wird man sie lesen! Ob die beiden dann überhaupt noch zusammen sind? Ich wünsche es ihnen von Herzen. Salvatore, genannt Tore, einer der Schutzpolizisten, der den Platz überwacht, aber gleichzeitig Basstuba in der Dorfkapelle spielt, sollte jetzt eigentlich das Zeichen für den Marsch zum feierlichen Auszug aus der Kirche geben. Aber Salvatore hat nur Augen für eine von Giulias Brautjungfern, die mit einem Teller in der Hand das Brautpaar vor der Kirche erwartet. Der feurige Musiker würde gern ihre Bekanntschaft machen. Und das, obwohl der Leiter der Kapelle, der ihn nur zu gut kennt und außerdem weiß, dass er Familienvater ist, ihn vor der Trauung ermahnt hat, nur ja die jungen Mädchen in Ruhe zu lassen. Aber Salvatore hat nun mal eine Schwäche für Frauen – besonders für Dunkelhaarige –, und anstatt das Mundstück seines Instruments anzusetzen und die erste Note anzustimmen, steht er da und raspelt Süßholz. In Gesturi setzt sich die Musikkapelle üblicherweise aus Einwohnern des Dorfes zusammen. Also kennen sich alle untereinander gut. Unter den Musikern, die nur zu Begräbnissen, Prozessionen und Hochzeiten spielen, findet man auch viele junge Leute. Das Sopransaxhorn, ein Neunzehnjähriger, der seit langem leidenschaftlich in Borgia verliebt ist, eben jenes junge Mädchen, das Salvatore sich gerade ausgeguckt hat, kann nicht losspielen, bevor Salvatore nicht die erste Note vorgibt. Das kleine Bombardon, der Apotheker neben ihm, sagt, er solle trotzdem anfangen. Aber der junge Mann will nichts davon wissen. Als er seine kleine Brünette lächelnd und offensichtlich geschmeichelt mit Salvatore reden sieht, wird er von heftiger Eifersucht gepackt und macht ihr eine wütende Szene. Erst der Leiter der Kapelle kann diese beenden. So schnell gibt sich Salvatore allerdings nicht geschlagen, er geht zwar folgsam an seinen Platz zurück, aber mit geschickter Bosheit gelingt es ihm, die Eifersucht des jungen Mannes aufs Neue anzustacheln, indem er ihm triumphierend eine Blume zeigt, die das Mädchen ihm ins Knopfloch seiner Uniform gesteckt hat. Jetzt endlich lässt Salvatore sein Instrument ertönen, begleitet von den anderen Blech- und den Schlaginstrumenten, dabei lässt er die Brautjungfer jedoch nie aus den Augen.