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Am Ausgang empfängt die fröhliche Menge die Neuvermählten: Auf dem ganzen Platz wird gefeiert. Sobald das Brautpaar die Schwelle überschreitet, wird es im wahrsten Sinne des Wortes »überschüttet«. Dieser Brauch nennt sich s’arazza, was sich auf den Inhalt der Teller, die die Brautjungfern tragen, bezieht: Korn, grobes Salz, Blüten, aber auch bunte Papierstückchen, Zuckermandeln und Münzen. Der Brauch verlangt nun, dass all dies als gutes Vorzeichen auf das Brautpaar geworfen wird und die Teller danach vor ihren Füßen auf den Boden geworfen werden. Sie müssen unbedingt zerbrechen, damit alles für das Paar günstig ist. Laut Giulias Bruder gibt es dafür einen anderen Grund: Die zerbrechenden Teller könnten eine Anspielung auf die Jungfräulichkeit der Braut sein, ein plausibler Gedanke, wenn man bedenkt, dass keine Teller zerbrochen werden, wenn eine Frau zum zweiten Mal heiratet oder man zweifelt, dass sie noch Jungfrau ist.

»Das waren noch andere Zeiten!«, meint er augenzwinkernd.

Einem anderen Brauch nach soll der Bräutigam im Hochzeitszug immer rechts gehen, um daran zu erinnern, dass der Mann Gott nähersteht als das Weib.

»Aber wie du siehst, geht dein Vetter links. Ein deutliches Zeichen dafür, dass Gott es sich anders überlegt haben muss.«

Das Brautpaar steigt nicht wieder auf den traditionellen Wagen, sondern geht zu Fuß zum Haus von Giulias Eltern. Jetzt begreife ich auch, warum ihre Mutter die Kirche bereits vor dem Schlusssegen verlassen hat. Der Brauch will, dass sie das Brautpaar auf der Türschwelle mit einem Teller mit s’arazza und einem Glas Wasser empfängt. Davon trinken die Neuvermählten dann, und der Rest wird vor der Braut ausgegossen, während sie das eheliche Schlafgemach betritt. Die Wege sind ebenfalls mit Korn und Salz bedeckt. Zwei Züge haben sich gebildet, die vor dem Brautpaar hergehen. Der, in dem Jutta und ich gelandet sind, wird von Frauen in Tracht angeführt, die Weidenkörbe mit Brot und besonderem Gebäck wie den pardulas oder papassinas auf dem Kopf tragen. Diese werden wir später am Ende des Hochzeitsbanketts essen. Der andere ist der Zug mit den traccas, angeführt von der Kapelle, in dem auch die Brautjungfern mit einigen Tänzern gehen. Der feurige Salvatore hat die ganze Zeit unter den eifersüchtigen Blicken des jungen Saxhorns munter gespielt und ist nun mit der Kapelle vor dem Haus der Brauteltern angekommen. Jetzt setzt er die Basstuba ab und lässt sich von einem Kollegen die launedda geben, eine Art Dudelsack aus drei Pfeifen unterschiedlicher Länge und Dicke, die einen mehrstimmigen Klang hervorbringen. Bekanntermaßen gibt es zahlreiche sardische Volkstänze, aber der eigentliche Nationaltanz ist der ballu tundu, ein Kreistanz, der von dieser Launedda begleitet wird. Frauen und Männer halten sich an den Händen und bilden einen Kreis um den Launeddaspieler. Obwohl der Tanz auf den ersten Blick ziemlich einfach erscheint, wird er doch schnell zu kompliziert für jemanden, der ihn nicht von Kindesbeinen an kennt. Seine Schwierigkeit besteht nicht so sehr in der Schrittfolge, sondern in den richtigen Körperbewegungen und dem Rhythmusgefühl. Giulias Bruder meint, es gäbe nichts Vergleichbares zu der Verbissenheit, mit der die Südsarden diesen Tanz betreiben: Man könnte oft meinen, dass es ihnen keinen Spaß macht, aber das stimmt überhaupt nicht, denn in allen Dörfern des Campidano legen die jungen Leute zusammen, damit sie einen Launeddaspieler bezahlen und sonntags tanzen können.

Die Tänzer scheren jetzt aus dem Zug aus. Zuerst verteilen sie sich, dann formieren sie sich allmählich zu einem Kreis um Salvatore. Sie fassen sich bei den Händen und drehen sich langsam um ihn, gehen im Rhythmus seiner Musik vor und zurück. Ein bezwingendes und geradezu hypnotisches Muster aus verschiedenen Schritten und genau festgelegten einheitlichen Bewegungen, die vom wechselnden Tempo der Musik bestimmt werden. So ein Tanz dauert durchschnittlich zwanzig Minuten, kann sich aber auch über eine Stunde hinziehen. Während wir auf die Ankunft des Brautpaars warten, löst sich eine Frau von ihrem Partner, geht in die Mitte des Kreises und tanzt allein vor dem Launeddaspieler. Es ist Borgia. Sobald das Saxhorn seine Angebetete erkennt, fleht er sie an, zu ihrem Tänzer zurückzugehen. Sie weigert sich verächtlich, und der junge Mann wird wütend. Als das Mädchen sich immer sinnlicher und zarter bewegt, wirft er sein Instrument auf den Boden und verschwindet niedergeschmettert.

Das Bankett

Jutta

Ich bin überrascht, wie beeindruckend dieser so urwüchsige Park ist, der unter dem Schutz der UNESCO steht. Tausende Korkeichen stehen darin und bieten Wildpferden Schatten vor der erbarmungslosen Sommersonne. Hohe Gräser sorgen für genügend Futter. Erstaunlich klein sind die Pferdchen, die so gar nicht scheu in kleinen Herden zwischen den Bäumen stehen. Man kann zu ihnen hingehen und sie streicheln. Sie scheinen Besucher gewöhnt zu sein und fürchten keine Gefahr von uns. Jede Menge Fohlen sind darunter, und ich verliebe mich augenblicklich in sie. Unbeeindruckt ziehen sie von Grashalm zu Grashalm, legen sich faul hin oder schlafen mal kurz eine Runde. Es ist ja schließlich schon Nachmittag. Ich hätte auch nichts dagegen, jetzt etwas zu essen und dann ein gemütliches Nickerchen zu machen!

Und dann sehe ich zu meiner großen Freude eine riesige weiß gedeckte Tafel, die zwischen den Eichen steht. Munter flattert ihr Tischtuch im Wind, und sie ist mit allen Gaben dieser Insel beladen. Dem Brautpaar ist die blumengeschmückte Mitte der Tafel zugedacht. Als sich die beiden setzen, kommt mein Schatz zu mir, gibt mir einen Kuss und macht mir ein Kompliment.

»Sei bella!«

Offensichtlich gefällt ihm meine Erscheinung, und auch er hat sich in Schale geschmissen und gibt ein erfreuliches Bild ab. Ja, dann können wir ja endlich Hochzeit feiern!

Kennen Sie italienische Filme aus den fünfziger Jahren? Häufig mit Sophia Loren und Marcello Mastroianni? Genau wie in diesen Filmen verläuft der heutige Nachmittag. Nur in Farbe und nicht in Schwarzweiß.