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Die Folkloregruppe singt, spielt und tanzt um uns herum. Der Wein fließt in Strömen aus den Karaffen in die Gläser. Die Gäste schwätzen alle lautstark durcheinander. Das Essen wird aus heranfahrenden Autos geholt und auf die Tafel gestellt. Platten mit köstlichen Antipasti, Schinken, Käse, Oliven, Salami, Schüsseln mit dampfender Pasta. Später gibt es Salat, Mozzarella di Buffala, dann riesige Platten mit Zicklein, Schweinehaxen und Huhn und Brot, Brot, Brot! Ich schwelge! Auch mein geliebter Bruno versinkt in den Köstlichkeiten. Aber als Trauzeuge hat er natürlich auch so seine Pflichten. Eine Rede halten zum Beispiel! Weiß der Geier, was er sich da zusammenreimt! Den Hochzeitstanz mit der Braut eröffnen und mit allen Verwandten, Freunden über die guten alten Zeiten und selbstverständlich über Berlusconi reden, ohne sich das Maul dabei zu verbrennen, denn der wahre Anhänger des Präsidenten gibt sich nur versteckt zu erkennen.

Ich sitze vergnügt auf meinem Stühlchen und genieße das Schauspiel.

Hab ich’s nicht schon zu Beginn gesagt? Irgendein älterer Herr wird Gefallen an mir finden und mich zum BALLU SARDU auffordern. Just zu dem Zeitpunkt, als ich meinen vollen Bauch entspannt ausstrecke, ein Glas köstlichen Landwein in der Hand halte, die lauen Sonnenstrahlen mein Gesicht erwärmen und ich dabei bin, in ein kleines Nickerchen hinüberzusegeln, kommt so ein betagter Don Giovanni, um mein Herz zu erobern. O Gott, muss das jetzt sein!? Aber der temperamentvolle Sarde kennt kein Erbarmen, alle meine »No, No, No« überhört er lachend und zieht mich auf die Tanzfläche zwischen den Bäumen. Voller Inbrunst schmiegt er seinen mir mal knapp bis zum Kinn reichenden Körper an mich. Kann man diese Folklorekostüme denn nicht reinigen?, frage ich mich in Anbetracht des Schweißgeruchs, der seinen Achseln entströmt. Aber wenn man eine Nacht mit dem Geruch von Mottenkugeln überlebt hat, wird man ja krisenresistent. Der Gute schwenkt und wirbelt mich gekonnt im Takt der melancholischen Musik herum und geht völlig in ihr auf. Laut summt er mit, und sobald gesungen wird, stimmt er mit seinem vollen Tenor mit ein. Diese Italiener haben einfach die Musikalität mit der Muttermilch aufgesogen, dagegen sehen wir Deutschen doch blass aus. Das Erstaunliche ist, dass es keine Rolle spielt, wie alt oder hässlich der Sänger ist. Sobald er singt, wirkt er sexy, und man ertappt sich bei dem Wunsch, doch jeden Abend vor dem Zubettgehen ein Ständchen geschmettert zu bekommen.

Ich muss mir noch mal gut überlegen, ob ich mir das auch von Bruno wünsche!

Je länger ich mich inmitten all der Hochzeitsgäste bewege, desto mehr schätze ich ihre echte Herzlichkeit und Wärme. Ihre Freude darüber, dass Giulia den feschen Maurizio an Land gezogen hat und die beiden den Bund fürs Leben gewagt haben, ist aufrichtig. Wie bei uns werden Tränen der Rührung und des Abschieds vergossen, sentimental muss man loslassen und die beiden ziehen lassen, obwohl sie schon seit Jahren gemeinsam ihr Leben teilen, aber die Ringe bedeuten dann halt doch noch mehr. Jetzt ist es besiegelt, und das lange Tau, an dem sie ziehen werden, liegt in vier Händen. Ich kann den beiden nur wünschen, dass sie am gleichen Ende ziehen!

Völlig außer Puste darf ich mich endlich wieder auf meinem Stühlchen ausruhen, während mein Tanzpartner seine Blicke auf der Suche nach neuer Beute schweifen lässt. Mein Bruno tanzt mittlerweile auch. Ich könnte mich kringeln, als er versucht, die folkloristischen Tanzschritte nachzuahmen, um dann doch in seinen Tanzstil zu verfallen, der aus den siebziger Jahren stammt, also in den bekannten John-Travolta-Stil. Die Mädels um ihn herum sind jedenfalls beeindruckt. Na, das gefällt meinem Gockel, und er dreht sich und dreht sich.

So neigt sich der Tag lustvoll seinem Ende entgegen. Die Landschaft hüllt sich in dieses unglaubliche Abendlicht, das mich schon in den letzten Tagen so fasziniert hat. Dazu die Geräusche, die mit dem Wechsel des Lichts einsetzen. Die Natur hat ihren immer wiederkehrenden Rhythmus, gottlob selbst von Menschenhand nicht veränderbar. Die Grillen beginnen zu zirpen, die Vögel suchen ihr Nachtquartier, jeden Abend pünktlich mit dem Nachlassen des Tageslichts, egal, was auf dieser Welt passiert. Sie wissen, morgen beginnt ein neuer Tag, und die Aufgaben werden dieselben sein wie schon an den Tage zuvor. Nur wir Menschen haben immer das Gefühl, etwas zu verpassen. Deshalb gehen wir zu spät zu Bett, trinken und essen zu viel, hetzen von einer Verpflichtung zur andern. Wenn ich noch mal auf die Welt komme, werde ich ein Tier in einem Nationalpark, beschließe ich.

Mein John Travolta lässt sich erschöpft an meiner Seite nieder, auch er findet die Idee meiner Wiedergeburt gut und wünscht sich das Gleiche. Wir streiten noch kurz, ob wir Pferde, Vögel oder Käfer werden wollen. Spielen durch, wer von wem gefressen wird. Dann beenden wir in zärtlicher Umarmung unser sardisches Abenteuer und beteuern uns gegenseitig, dass vor allem wir beide zwei halsstarrige Esel gewesen sind.

Giara di Gesturi

Bruno

Ich bin jemand, der sich leicht dem Zauber von Orten hingibt: Wenn ich irgendwo bin, habe ich manchmal das Gefühl, nicht nur die Stimmen, sondern auch die Gefühle und Empfindungen von Menschen wahrzunehmen, die vor mir hier gelebt haben. Einer von diesen Orten musste natürlich die Giara, das Hochplateau von Gesturi sein, das aber auch zu den Gemeinden Tuili, Setzu, Genuru, Gonnosnò, Albagiara und Assolo und anderen Dörfern in der Umgebung gehört. Durch das Seitenfenster unserer lieben Ape betrachte ich den blauen Himmel und suche dort nach etwas, was mir dieses seltsame Déjà-vu-Gefühl erklärt. Ich sage Jutta, was ich empfinde. Wie schön, dass jetzt hier jemand neben mir sitzt, meine Hand hält und mir zuhört. Es ist mir ungeheuer wichtig, dass ich eine Frau bei mir habe, die jeden Atemzug von mir spürt. Und wie schön ist es, in seinem Leben einen Bezugspunkt zu haben – und noch schöner zu wissen, dasselbe für sie zu sein. Wir fahren ganz allein die Straße zum Parco di Gesturi hinauf, und vielleicht können wir deshalb unsere Gedanken schweifen lassen. Die Gäste des Hochzeitsbanketts sind schon vor einer Weile eingetroffen. Wir mussten ja noch bei Giulias Eltern haltmachen, um uns dort umzuziehen. Jetzt haben wir endlich unsere festliche Garderobe an und unser Hochzeitsgeschenk dabei. Wir sind auf dem höchsten Punkt des Hügels angekommen. Die Landschaft um uns herum ist wunderschön, eine üppige Vegetation, dazwischen quadratische Blöcke aus Vulkangestein. Hier ist alles unberührt, zum Teil von Korkeichenwäldern bedeckt oder mit der typischen Macchia des Mittelmeerraums, Steineichen und Mastixsträuchern. Die charakteristische und bekannteste Tierart, von der sie auch ihren Namen hat, ist eine Wildpferderasse, eigentlich die einzig echten Wildpferde in Europa. Diese Tiere heben sich durch einige Eigenheiten in Gestalt und Körperbau von den bekannteren Rassen ab, die sie zu einer zoologischen Besonderheit machen: Sie sind kleiner als andere Pferde, haben eindeutig mandelförmige Augen, ein sehr dunkles Fell und eine lange Mähne.

Während sich unsere kleine Ape die Kurven hinaufquält, muss ich an den traurigen Blick des Saxhorns denken. Es hat mir richtiggehend weh getan, als ich ihn so davonziehen sah. Als ich noch klein war, hat mir mein Vater immer gesagt: »Gefühle sind das Schönste in unserem Leben. Aber man muss mit ihnen umgehen können.« Das habe ich nicht verstanden. Als ich erwachsen wurde, änderte sich das, und ich wuchs in dem Bemühen auf, jedes Gefühl, jeden Gemütszustand zu kontrollieren. Es gab dann auch erschöpfendere Erklärungen, und natürlich ging es dabei vor allem um Liebe. Genauer gesagt, um das Verliebtsein. Ein gesunder und herrlicher Wahnsinn, der dich packt, wenn du es am wenigsten erwartest. Warum bist du so schnell verschwunden, Saxhorn? Vielleicht hätte sich eine Gelegenheit ergeben und wir hätten uns kennenlernen können, dann hätte ich dir gern etwas über das Leben und Enttäuschungen in der Liebe erzählt. Irgendwann habe auch ich geglaubt, es wäre äußerst schlimm, seinen Bezugspunkt zu verlieren. Das glaube ich immer noch, aber mein Verstand erlaubt mir, wieder nach vorne zu blicken, erneut Freude am Leben zu gewinnen und neue Bezugspunkte zu entdecken.