Und hier ist also mein Bezugspunkt, er sitzt neben mir. Wir sind gern zusammen und erleben gemeinsam ein wunderbares Abenteuer, eine bewegende Reise, eine Extratour, wie Geraldo es nennen würde. Wird unsere Liebe ewig dauern? Das ist nicht wichtig! Ich weiß, dass wir uns sehr lieben, auch wenn wir manchmal streiten. Und das fast immer wegen Banalitäten, wie folgender Dialog beweist:
»Hoffentlich ist es nicht kaputtgegangen …«
»Hätten wir nicht besser einfach nur einen Umschlag mit Geld schenken sollen?«
»Wenn sie das gewollt hätten, hätten sie keine Hochzeitsliste aufgestellt.«
»Und warum hast du dann kein Geschenk von der Liste ausgesucht, dann hätten wir das Teil nicht die ganze Zeit mit uns herumschleppen müssen …«
»Weil diese Lampe eng mit unserer Kindheit verbunden ist, das ist eine lange Geschichte … Und, hör mal, für die Reparatur habe ich über dreihundert Euro bezahlt! Außerdem bringt ein Umschlag mit Geld Brautpaar wie Gäste in Verlegenheit.«
»Das stimmt nicht. Man muss nur ein Körbchen mit leeren Umschlägen hinstellen. Da legt dann jeder Gast hinein, was er möchte, und es bleibt alles absolut anonym.«
»Das halte ich für keine tolle Idee … Und wenn es tausendmal bei euch so üblich ist, ich finde das nicht gut.«
»Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Wenn die Umschläge leer und weiß sind, eben A-NO-NYM, fühlt sich niemand dazu verpflichtet, einen Betrag hineinzulegen, den er sich eigentlich nicht leisten kann – das ist das Gute daran!!! Natürlich holt man sein Portemonnaie nicht direkt vor den Augen des Brautpaars raus … obwohl, du würdest das bestimmt tun, so zerstreut, wie du bist! Man geht kurz weg und legt diskret das Geld in den Umschlag. Ich halte das für einen großartigen Kompromiss.«
»Ach was …«
»Was heißt hier ›Ach was‹!?«
»Ich bin absolut nicht deiner Meinung, ich glaube, ein Geschenk sollte auch wirklich ein Geschenk sein … Bei meinen beiden Hochzeiten habe ich nie Umschläge mit Geld bekommen.«
»Hast du dir mal überlegt, wie viele Leute du eingeladen hattest, die vielleicht nur deshalb nicht gekommen sind, weil sie es sich gerade nicht leisten konnten, für festliche Kleidung, Geschenk und Anreise viel Geld auszugeben? Nun sag schon, hättest du da nicht lieber dreihundert Euro in einem Umschlag gehabt, wenn sie dafür mit dir hätten feiern können?«
»Liebes, entschuldige, aber es gibt noch so was wie Anstandsregeln …«
»Ja, ich weiß, ich schäle meine Äpfel nie mit Messer und Gabel so wie du – oder wie es die Anstandsregeln vorschreiben mögen … Gott, du bist vielleicht spießig! Ich glaube jedenfalls, eine Hochzeit sollte ein Tag sein, an dem gefeiert wird, während hier in Italien nur Wert darauf gelegt wird, so viel Geld wie möglich auszugeben!«
»Das stimmt doch nicht. Du erzählst Blödsinn. Dann sag mir mal eins: Wie soll ich denn wissen, wer mir zehn Euro geschenkt hat, damit ich ihn nicht in Verlegenheit bringe, wenn ich ihm bei späterer Gelegenheit etwas für dreihundert schenke, oder wer mir dreihundert geschenkt hat, damit ich mich nicht blamiere, wenn ich ihm ein Zehn-Euro-Geschenk mache??? Spinnst du jetzt?! Dann soll man sich doch lieber Geld für eine Reise schenken lassen, wie sie es gemacht haben. Das finde ich viel sinnvoller und netter. Mit dem Umschlag bringst du nur die Gäste in Verlegenheit, die vor allen Leuten das Geld aus der Börse ziehen müssen. Was ist, wenn jemand kein Geld schenken will, sondern etwas Persönliches? Steht er dann besser da vor denen, die nicht einmal einen Euro geben?«
»Warum hast du ihm dann keine Reise geschenkt?«
»Ich hab es dir doch gesagt – diese Lampe hat einen nostalgischen Wert. Sie stammt aus meinem Schlafzimmer und hat uns bei den Hausaufgaben geleuchtet, wenn Maurizio zum Lernen zu mir kam …«
»BREEEMMSEEENNN!!!«
Ich bremse scharf vor dem Tor des Parks. Dort erwarten uns Giulia und Maurizio feierlich auf zwei herrlichen kleinen Pferden. Sie trägt eine Girlande aus vergoldeten Beeren um den Hals, er die Kette mit dem Ring. Wir umarmen uns. Endlich kann ich ihnen Jutta vorstellen und das Geschenk übergeben. Aber wie immer werden die Geschenke nicht gleich ausgepackt. Das gibt uns die Möglichkeit, schnell unser »Geländefahrzeug« zu parken, dann tauchen wir in einen wahren Garten der Wunder ein: einen riesigen Park, der von außen nicht einsehbar ist. Unter einem weißen Zelt erwartet uns der Willkommensdrink.
Wie sehr wir uns lieben, selbst wenn wir streiten!
EIN HOCH AUF DAS BRAUTPAAR!
Wir haben entdeckt, dass Salvatores Frau zu Giulias Trauzeugen gehört. Deshalb sitzt auch er an unserem Tisch und unterhält sich, besser gesagt, er redet ohne Punkt und Komma, während seine Frau ihr Make-up auffrischen geht. Der Mann ist wie eine Flutwelle und dazu noch gierig, er verschlingt die Hochzeitstorte wie ein Wolf seine Beute.
»Der hat doch jahrelang nach einer Frau gesucht, das fing an, als er in Amerika war, aber da hatte er keinen Erfolg. Und jetzt ist, so Gott will, der große Tag gekommen. Und wenn wir Sarden etwas machen, dann aber richtig. Er hat gedacht, dass er mit hundert Gästen davonkommt, aber dann hat sich ihre Mutter eingemischt, der Vater, die Onkel … und, na ja, jeder hat seinen Senf dazugegeben, du verstehst schon, jeder hat seine Meinung sagen wollen: Der muss eingeladen werden und der auch, sonst ist am Ende noch jemand beleidigt. Also, schließlich sind wir mehr als dreihundert, einschließlich der Verwandten sechsten Grades.«
»Also, da muss ich mich als Vetter dritten Grades ja geradezu als engen Verwandten betrachten …«
»Gut, du bist wie ein Bruder für ihn. Wenn du mir jetzt noch sagst, dass ihr zusammen in die Schule gegangen seid …«
»Ja, in die Grundschule …«
»Ich spreche hier von Leuten, von denen man nie etwas gesehen oder gehört hat. Seht ihr die an den Tischen dort hinten? Über den Daumen gepeilt werden das so etwa sechzig sein, ach was, das sind mehr. Siebzig, achtzig? Wer kennt die denn? Wer hat die schon mal gesehen?«
»Das werden eben entfernte Verwandte sein.«
»Das sag ich doch gerade. Die Sechser …«
»Sechser?«
»Wir nennen sie so. Das sind die Verwandten sechsten Grades, die man braucht, damit mehr Kohle reinkommt, denn da sie nicht wissen, was sie dir schenken sollen, und nicht so viel ausgeben können, geben sie dir einen Umschlag mit Geld. Also, das läuft so: Ich als der Bräutigam bezahle achtzig Euro pro Person für die Feier mit Hummer und Scampi, aber du als Sechser, den ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, musst mir einen Umschlag mit mindestens dem dreifachen Betrag geben, und das nur, um dich für meine Freundlichkeit zu bedanken. Am Ende kann ich dem Eigentümer des Lokals schließlich fünfzehn- bis zwanzigtausend Euro bar auf die Hand zahlen. Lieber Sechser, Vetter sechsten Grades, sei mir willkommen, denn mein Hochzeitsessen bezahlst du!«
»Du meinst, all die Leute da haben einen Umschlag gegeben …«
»Natürlich, das ist einfacher für sie und viel günstiger für das Brautpaar …«
Jutta kann vor Freude nicht mehr an sich halten und tritt mich gegen das Schienbein. Sie kann mir unter die Nase reiben, dass sie wieder mal recht hatte, und das erfüllt sie mit Stolz:
»HÖRST DU?«
Ich schüttele beschämt den Kopf. Ich empfinde eine gewisse Verachtung für Salvatore. Wir Pechvögel, die wir das Unglück haben, mit ihm am selben Tisch zu sitzen, müssen nicht nur sein banales Geschwätz über uns ergehen lassen, jetzt müssen wir auch noch mit ansehen, wie er den Kopf tief über den Teller beugt und die letzten Krümel der Torte ableckt. Man könnte ihn nicht einmal attraktiv nennen. Was die Frauen wohl an einem wie dem finden? Ich trinke einen Schluck Champagner, während er weiter Blödsinn quatscht.