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»Wenn du dich auf Sardinien verheiratest, kannst du nicht neben deiner Schwiegermutter einziehen. Gewöhnlich verfügt eine sardische Braut über einen eigenen Machtbereich, auf dem sie dann ein riesiges Heim hochziehen muss, in nächster Nähe zu Eltern, Geschwistern, Onkeln, Vettern, alle mit dem gleichen Nachnamen, die auf demselben Fleckchen Erde wohnen.«

»Ach wirklich, ich weiß aber, dass Maurizio und Giulia schon eine Wohnung in Rom haben!«

»Ich spreche doch hier von dem Haus, in dem sie ihre Ferien verbringen werden: im Sommer, zu Ostern, Weihnachten und Silvester müssen sie herkommen, nach Gesturi. Sonst könnten die Leute schlecht über sie denken. Außerdem hat Donna Assunta, Giulias Mutter, das schon so entschieden. Punktum. Wehe, man widerspricht ihr! Was war das für ein Kampf mit den Zuckermandeln für die Hochzeit! Maurizio wollte sie günstig bei einem Freund von ihm, einem Großhändler in den Abruzzen, einkaufen, aber Assunta hat sich zu Recht dagegen gewehrt: ›Die Konfektsäckchen müssen teuer sein, sonst reden die Leute schlecht über uns. Und die besonderen Einladungskarten für den Empfang und das Essen danach müssen reich mit Gold verziert sein wie die Decken eines Königspalastes, und überhaupt muss das Hochzeitskleid das schönste, das prächtigste von allen sein. Man darf den Leuten keinen Anlass geben zu sagen, man hätte gespart, auf keinen Fall!‹ Dafür ist eine sardische Mutter äußerst vorausschauend, die denkt bereits während der Schwangerschaft an die Aussteuer und die Kücheneinrichtung der Tochter. Die ganze Zeit über bestickt sie ständig Handtücher und Damastdecken mit ihren Initialen. Die Braut hätte schon mit acht Jahren ein Wäschegeschäft aufmachen können. Meine Mutter war ja auch so vorausschauend, also, als meine Schwester geheiratet hat, hat sie ihr so viel Zeug zur Aussteuer mitgegeben, das kann man sich gar nicht vorstellen! Sogar eine Reibe, die mein Vater mit Sammelpunkten beim Tanken bekommen hatte, das muss wohl ein Jahr mit armseligen Prämien gewesen sein … Wie auch immer, ich habe mir ausgerechnet, dass für das hier mit allem Drum und Dran, also der kirchlichen Trauung, der Kapelle, den traccas, Trachten, Padre Mariano – der lässt sich gut bezahlen, du glaubst doch nicht etwa, dass du da mit fünfzig Euro Kollekte davonkommst? –, Fotograf, Blumen, Menü mit Hummer und Scampi und dem ganzen Rest, vierzigtausend wohl nicht gereicht haben werden…«

»Vierzigtausend Euro?«, platzt Jutta heraus.

»O ja, vierzigtausend. Was haben Sie denn geglaubt?«

»Aber warum wollt ihr in Italien immer so viel Geld ausgeben?«

»Eine Hochzeit ist eine Hochzeit, meine liebe Signora. Als ich meinen Eltern einmal gesagt habe, dass ich erst heiraten würde, wenn ich selbst etwas Geld hätte, dafür würde ich sie auch um nichts bitten, nur die engsten Freunde und Verwandten einladen, den größten Teil des Geldes für mein Heim und die Hochzeitsreise ausgeben und nichts für sinnlose Hochzeitsbilder, nein, sogar die Gäste bitten, mit ihren Digitalkameras Bilder zu machen, als ich also sagte, ich würde mir eine Einbauküche auf Raten kaufen und im Gegensatz zu meiner Schwester eine Hochzeitsliste für die Geschenke machen, da wurde es ganz still im Raum. Und ich habe gefragt: ›Entschuldigt, habe ich etwas Falsches gesagt?‹ Und wisst ihr, was meine Eltern mir geantwortet haben? ›Dann bleibst du besser Junggeselle!‹«

Seine Redseligkeit ist unerträglich. Endlich sagt unsere Tischnachbarin, eine entfernte Verwandte von ihm oder seiner Frau, wenn nicht sechsten, dann doch fünften Grades, die dieses unentwegte Geschwätz nicht mehr aushält, zu ihm: »Jetzt hör doch endlich mal auf, Tore, lass uns in Ruhe unsere Torte essen!«

Jutta drückt meine Hand unter dem Tisch. Ein eindeutiges Zeichen, dass auch sie mehr als genug hat. Er dagegen meint, als hätte er eine spontane Eingebung erhalten: »Du hast ja recht, meine Liebe, ich muss endlich auf die Bühne!«

Dann steht er auf, formt die Hände zu einem Megaphon und brüllt: »ICH BITTE MEINE KOLLEGEN MUSIKER, ZU MIR AUF DIE BÜHNE ZU KOMMEN – ODER KLEBT IHR AN DEN STÜHLEN FEST, JUNGS? EIN TANZ FÜR UNSER WUNDERSCHÖNES BRAUTPAAR!«

Alle nicken und schlagen mit dem Besteck beifällig an die Gläser. Ich auch, schließlich ist das die einzige Möglichkeit, ihn loszuwerden.

»WARUM KOMMST DU NICHT MIT, BRUNO, UND TANZT DEN BALLU TUNDU MIT UNS?«, brüllt er mir ins Ohr, dabei schiebt er seinen Stuhl zurück und tritt mir auf den Fuß.

Jetzt wird mir heiß. Allein bei der Vorstellung, er könnte mich mit sich ziehen und in irgendeine peinliche Situation verwickeln, werde ich blass.

»Nein, danke. Ich sehe mir das Ganze lieber von hier aus an …«

»Wie du willst, aber du weißt gar nicht, was du dir entgehen lässt …«

Ich seufze erleichtert. Jutta fragt mich, ob ich etwas von ihrem Baiser und den Maronen mit Schokoladenüberzug kosten möchte … In dem Moment legt mir jemand die Hand auf die Schulter. Vor mir steht Geraldo und lächelt mich an. Er ist wie immer höchst elegant gekleidet: Er trägt einen Blazer mit vergoldeten Initialen auf der Brusttasche, weiße Hosen, dazu eine gestreifte Seidenkrawatte und leichte Boots. »Wie schön, dass du hier bist! Endlich ein Lichtblick!« Ich deute auf Salvatores Platz, damit er sich dorthin setzt. Während die Musiker auf die kleine Bühne zueilen, fühle ich, dass mir Geraldo tröstend die Hand auf den Arm legt.

»Warum willst du nicht tanzen?«, fragt er.

»Ich bin dir sehr dankbar, dass du gekommen bist, Geraldo, aber zwing mich nicht zu etwas, was ich nicht will.«

»Mein lieber Freund, das sind die Menschen deiner Geschichte! Alles hier wirkt fremd auf dich. Aber auch sie sind Teil deiner Reise. All die Leute, die du in diesen vier Tagen kennengelernt hast, aber auch alle Orte gehören in dein Tagebuch, dem du Empfindungen, Gedanken, Gefühle anvertrauen wirst. Glaubst du wirklich, all diese Begebenheiten, Unfälle, Begegnungen seien purer Zufall? Beschränk dich nicht darauf, nur die Dinge zu betrachten, die dir gefallen … Betrachte doch alles und jeden mit der gleichen Begeisterung, demselben Erstaunen, die du für die riesigen Granitblöcke auf den Hügeln hegst, für die erschöpften Maulesel auf den Saumpfaden, diese unberührten Landschaften, die einsamen Nuraghen. Das ist doch das Schöne an einer Reise, dass man unbekannte Orte entdeckt, Menschen kennenlernt, die ganz anders empfinden und die niemand mehr verändern kann, man kann sie nur betrachten und als Erinnerung mit nach Hause nehmen.«

»KOMM, BRUNO, KOMM, JUTTA, TANZT DEN BALLU TUNDU MIT UNS!«, rufen Giulia und Maurizio im Chor.

Salvatore beharrt darauf, jetzt klatschen auch Donna Assunta und die anderen Gäste in die Hände, um uns zu ermutigen. Wir reihen uns in den Kreis um das Brautpaar ein und überlassen uns dem mitreißenden Rhythmus der Musik:

»EIN HOCH AUF DAS BRAUTPAAR!«

Epilog

Villasimius

Bruno

Das sanfte Rauschen der Brandung klingt wie eine Melodie, der Strand liegt im schönsten Sonnenlicht voller Wehmut da, als ob melancholische Sehnsucht untrennbar mit dieser unberührten Landschaft verbunden sei. Wir haben beschlossen, uns vor der Rückreise noch ein wenig Meer zu gönnen. Aber nicht das Meer an der Costa Smeralda, sondern das unendlich weite und wilde bei Villasimius im Südosten der Insel, dessen würzige Salzluft direkt in unser Hotelzimmer dringt. Vom Fenster aus sehen wir die Sarazenentürme und die Leuchttürme, deren Lichter die Küste abtasten, die Granitfelsen und diesen kompakten roten Sand mit weißlichen Einsprengseln; ein Fläschchen damit steht immer noch hier in meinem Bücherregal. Mit den Augen suchen wir den Horizont nach einem Flamingo, einem Kormoran oder einer Silbermöwe ab. Wir hatten Meer dringend nötig, und zwar genau dieses Meer. In dem von grünblauem Wasser umspielten La Caletta lassen wir unsere Erlebnisse noch einmal Revue passieren. Ganz früh am Morgen sind wir zu einem Spaziergang aufgebrochen und haben uns sofort mit einem Fischer angefreundet. Ein alter Mann, sein Gesicht wird mir immer in Erinnerung bleiben. Er war nicht besonders groß, sein Haar war noch nicht ergraut und sein Gesicht sonnenverbrannt und voller Falten. Am Anfang verständigten wir uns nur mit Blicken und ein paar unbeholfenen Worten unsererseits. Er war gerade mit seinem Boot eingelaufen und bot uns Seeigel an, deren köstlichen Geschmack wir so bald nicht vergessen werden. Er trat näher, während er mich unverwandt anschaute, und ich lächelte ihm zu, wie immer, wenn ich einem Fremden begegne. Er lächelte zurück. Jutta ging ans Meer und ließ ihre Füße von den Wellen umspielen, sie war hin- und hergerissen, ob sie nicht schwimmen gehen sollte, obwohl das Wasser schon sehr kalt war. Der Fischer bedeutete mir, mich zu setzen. Mit den Händen strich er den Sand glatt und nahm sich ein Stöckchen. Immer noch sagte er kein Wort, und das erstaunte mich sehr, aber ich respektierte sein Schweigen. Nun zog er viele Linien in den Sand, schrieb für mich seinen Namen »Pineddu« und reichte dann das Stöckchen an mich weiter, weil er meinen wissen wollte. Er lächelte erneut und zeichnete wieder Striche in den Sand, die sich zu Figuren, Szenen und Geschichten zusammenfügten. Vielleicht hatte er sich die Geschichten selbst ausgedacht, Geschichten ohne Worte, nur Linien im Sand, Geschichten, die so lange dauern, bis eine Welle sie wieder fortspült. Einfache, wunderschöne Geschichten aus einer stummen Welt, denn der Mann war stumm, wie ich von den anderen Fischern des Dorfes erfuhr. Er war ein Einzelgänger, er kannte den Klang seiner Stimme nicht, weil er noch nie gesprochen hatte. In seinen Augen leuchtete das Licht des Lebens, und der Schmerz war nur ein leiser Schatten darin. Ich traf ihn am nächsten Tag wieder, er erwartete mich schon an diesem winzigen, wilden Strand und wollte mir wieder Seeigel schenken. Aber an diesem Morgen kam er mit einem Stift, zwei leeren Blättern und einer kleinen Flasche. Es war klar, was er wollte. Er wusste, dass wir am nächsten Tag abreisen mussten. Nun wollte er unsere Geschichte erfahren. Er drückte mir den Kugelschreiber in die Hand und legte mir das Papier auf die Knie. Ich zitterte. Wo sollte ich anfangen? Ich sog den Duft des Meeres ein und begann unsicher, über meinen nächtlichen Ausritt mit Ferru zu schreiben. Jetzt treibt eine Abschrift davon, versiegelt in einer Flasche, irgendwo im Tyrrhenischen Meer, eine weitere ist bei Pineddu geblieben, der kleinen großen Seele von Villasimius. Während ich schreibe, betrachte ich die kleine Flasche in meinem Bücherregaclass="underline" Darin entdecke ich Bilder und Menschen, Erinnerungen, die immer wiederkehren.